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Rechtsruck in Europa: Wie rechtspopulistische Parteien die EU herausfordern

Analyse

Rechtsruck könnte zum Europa-Trend werden

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    Karol Nawrocki hat mit seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in Polen für einen weiteren Erfolg rechtsgerichteter europäischer Politiker gesorgt.
    Karol Nawrocki hat mit seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in Polen für einen weiteren Erfolg rechtsgerichteter europäischer Politiker gesorgt. Foto: Czarek Sokolowski, AP/dpa

    In diesen Tagen verwenden sehr viele EU-Beamte sehr viel Zeit darauf, wie sie sogenannte „Datenpunkte“ reduzieren können. Übersetzt aus der technokratischen Brüsseler Sprache ins Normaldeutsch heißt das, dass die EU-Kommission die Anzahl der Informationen senken will, die Unternehmen erfassen müssen, um nachzuweisen, dass sie umweltfreundlich wirtschaften. Stichwort Bürokratieabbau. Am Ende sollen von den 1115 existierenden Datenpunkte nur noch ungefähr die Hälfte übrigbleiben. Auch wenn solche Vorstöße in Brüssel begrüßt werden, stellt sich immer lauter die Frage: Verliert sich die Union in Details, während die Europafeinde in Warschau, Paris, Den Haag, Bratislava oder Budapest zunehmend – ob in der Regierung oder auf dem Weg an die Macht – das Projekt Europäische Union von innen auszuhöhlen versuchen?

    Dabei knallt es immer häufiger in der Gemeinschaft. Bei der Präsidentschaftswahl Anfang Juni gewann der von US-Präsident Donald Trump und Polens oppositionellen PiS-Partei unterstützte Kandidat Karol Nawrocki knapp – und ging auf Konfrontationskurs mit dem Ministerpräsidenten Donald Tusk. Der Rechtspopulist Nawrocki kündigte Widerstand gegen den proeuropäischen Kurs der Regierung an. Immerhin hat Tusk die selbst gestellte Vertrauensfrage am vergangenen Mittwoch im Parlament überstanden.  In den Niederlanden ließ unterdessen der Rechtspopulist Geert Wilders das Regierungsbündnis platzen, angeblich wegen eines Streits über die Asylpolitik. Wilders hatte wochenlang mit dem Bruch gedroht, falls die ohnehin bereits strikte Migrationspolitik nicht noch verschärft werde.

    In Deutschland liegt die AfD in Umfragen konstant über 20 Prozent

    In Deutschland liegt die AfD in der Wählergunst konstant über 20 Prozent. In Österreich durfte Herbert Kickl, der die rechtspopulistische FPÖ weiter radikalisierte, nach dem Wahlerfolg 2024 zumindest kurz davon träumen, „Volkskanzler“ zu werden. Der Trend in zahlreichen EU-Ländern zeigt ins rechte Lager, in dem Regierungen wie jene des Nationalisten Viktor Orbán aus Ungarn oder die der Slowakei bereits auf Mitstreiter warten. 

    Die beiden Dauerstörenfriede sorgen am Tisch der EU-Mitgliedstaaten schon jetzt regelmäßig für Ärger und Frust. Und sie könnten bald hohe Gesellschaft bekommen. In zwei Jahren finden in Frankreich die Präsidentschaftswahl, in Polen die Parlamentswahlen statt. Was, wenn die französischen Rechtsextremen dann den Präsidenten stellen und Tusk als Regierungschef Geschichte ist, weil die nationalpopulistische PiS wieder übernimmt? Zerfällt dann die EU? „2027 ist das Schicksalsjahr für Europa“, lautet der Dauerslogan in Brüssel. Die Gefahr: Fallen Frankreich und Polen als stabilisierende Pfeiler der Union aus, wackelt das ganze Konstrukt. Oder ist zumindest bis 2029 vollends blockiert. Dann hilft auch kein Kommissionsplan zur Halbierung der „Datenpunkte“ mehr. 

    Die EU-Kommission setzt auf politischen Druck und finanzielle Anzeizen

    Was also tut Brüssel, um die Bürger zurück auf die proeuropäische Seite zu holen? Aktuell setzt die Kommission auf den bewährten Mix aus politischem Druck und finanziellen Anreizen. Nach Ansicht vieler Insider ist das nicht genug. Die Kommission mache „Business as usual”, kritisierte ein hochrangiger Beamter aus dem EU-Parlament. Es sei „fast schon sensationell“, wie die Behörde den Ernst der Lage verkenne. Ob es um die gestiegenen Lebenshaltungskosten oder Probleme bei der Mobilität geht: Jetzt müsste man die Gesetzgebung eigentlich auf 2027 ausrichten, meinte ein anderer EU-Offizieller.

    Aber hat die EU den Mut, sich zum Grünen Deal zu bekennen, wenn Bürger und Unternehmer wegen zu hoher Kosten, auf der Kippe stehender Arbeitsplätze oder zu viel Bürokratie wüten? Werden die EU-Länder die angekündigten Milliarden Euro in Europas Verteidigungsfähigkeit investieren, wenn die Kommunen über fehlende Mittel für Kitas und Schulen stöhnen? 

    Müsste die Politik den Fokus mehr auf soziales legen?

    Statt „de facto den Zweitwagen der oberen Mittelschicht zu bezahlen“, sollte das europäische Klimaschutzpaket nachjustiert sowie mit einem sozialen Programm verbunden werden, forderte ein hochrangiger Beamter hinter vorgehaltener Hand. Man müsse pragmatisch vorgehen, sich weniger in der Detailgesetzgebung verlieren, dafür den Fokus mehr auf das Soziale legen. „Nur wenn wir aus der Starre herauskommen, können wir den politischen Kampf gegen die Extremisten aufnehmen.“ Der polnische Ministerpräsident Tusk hatte im Wahlkampf versucht, sich mit Anti-EU-Rhetorik zu profilieren – ohne Erfolg. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schwenkte derweil – zumindest bei EU-Themen – eher in Richtung Mitte. Die Zusammenarbeit mit der Chefin einer Partei mit ausgewiesenen Mussolini-Verehrern gilt in Brüssel längst nicht mehr als Tabu, Meloni wird vielmehr als konstruktive Akteurin gepriesen. Ist auf EU-Ebene die Annäherung der richtige Weg? Oder die Isolierung?

    Manfred Weber, Chef der christdemokratischen Europäischen Volkspartei, betrachtet es für die kommenden Jahre als „unsere politische Hauptaufgabe, die autoritäre Welle zu stoppen“. Seiner Ansicht nach werde das „nicht mit Belehrungen gelingen“, sondern nur, indem man die Probleme der Bürger „beherzt“ aufgreife und löse, sagte der CSU-Politiker und nannte als Beispiel den Kampf gegen die illegale Migration. Seiner Ansicht nach brauche die Politik „wieder mehr Orientierung“. Nicht die Populisten dürften die politische Agenda bestimmen, „sondern wir als bürgerliche Parteien müssen die entscheidenden Zukunftsaufgaben skizzieren“, so Weber.

    Über die Rolle, die Migration für das Erstarken der Rechten spielt, gehen die Meinungen auseinander

    Die Analyse, warum die Orbáns dieser Welt an Auftrieb gewinnen, fällt aber nicht überall gleich aus. Schaue man sich die Zahlen bei der Zuwanderung an, gingen diese „in allen Ländern stark runter, auch in Deutschland“, sagte etwa der grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund. Das aber habe „null Auswirkungen darauf, dass die AfD wieder schwächer würde“. Seiner Meinung nach schade es mehr, „wenn man ständig Sachen verspricht, die man nicht halten kann“, so Freund. „So frustriert man die Leute.“ 

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    6 Kommentare
    Peter Zimmermann

    1. Ist das in Europa schon länger so und 2. Tendieren die Menschen in Krisenzeiten immer zu den vermeintlich starken und einfachen Lösungen, das war noch nie anders. Notfalls wird den Leuten auch ohne Krisen einfach Angst gemacht, nur ist die dann ein sehr schlechter Ratgeber und erzeugt eher noch mehr Probleme

    Willi Dietrich

    Ja, der Rechtsruck in Europa schreitet immer mehr voran. Wenn der Artikel meint, dass mit der AfD über 20 % der Menschen "rechts" sind, so ist m.A.n. dies nicht richtig, denn in Deutschland sind es weit mehr als 20 %, da Teile der Union, vor allem im Osten, stark nach rechts tendieren. Man denke hier an Jens Spahn, den Rechtsaußen der Union.

    Wolfgang Boeldt

    Zitat: "Schaue man sich die Zahlen bei der Zuwanderung an, gingen diese „in allen Ländern stark runter, auch in Deutschland“, sagte etwa der grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund. Das aber habe „null Auswirkungen darauf, dass die AfD wieder schwächer würde“. -- Man macht es sich viel zu einfach wenn man das Erstarken der Ränder immer nur auf Migration/Einwanderung/Asyl u.ä. einschränkt. Es geht um mehr, um viel mehr. Und ob die vermeintlich "einfacheren" Lösungen nicht funktionieren, wie die selbstgefälligen etablierten Parteien immer behaupten - der Beweis ist noch nicht erbracht.

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    Robert Miehle-Huang

    Naja, diese "vermeintlich einfacheren Lösungen" kommen doch überwiegend nicht von den "selbstgefälligen etablierten Parteien", sondern überwiegend vom rechten Rand, oder etwa nicht?

    Wolfgang Steger

    Endlich einmal outen Sie sich, was man immer schon vermuten konnte, als Fan der AfD.

    Wolfgang Schwank

    Im Gegensatz zu Frau Prybil meine ich, dass es zur Aushöhlung von Innen nicht die sog. Europafeinde braucht. Das erledigen Kommission, Parlament Beamtenmoloch ganz von selbst. Vielleicht sollten die elitären Köpfe besser mal über die Fehlentwicklungen nachdenken und die Umsetzung der Idee von Europa, konzentriert auf das Wesentliche, komplett neu aufsetzen.

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