
Walter Riester: Der verkannte Reformer


Vom Fliesenleger aus dem Allgäu zum Bundesminister für Arbeit und Soziales: Solche Karrieren sind selten in der Politik. Walter Riester ist eine gelungen.
In der Stunde seines größten Erfolges denkt Walter Riester daran, wie alles begonnen hat – als Fliesenleger in Kaufbeuren. Es ist der 11. Mai 2001, Gerhard Schröder und er haben im Kanzleramt gerade ihre Rentenreform vorgestellt, als Riester erschöpft, aber zufrieden zurück ins Arbeitsministerium fährt. Dort applaudieren ihm seine Mitarbeiter, gratulieren ihm zu seinem Erfolg, während er selbst immer stiller, wenn nicht gar etwas verlegen wird.
Es ist ein kurzer, emotionaler Moment. Trotz seines handwerklichen Geschicks, erinnert er sich später, hätte er, der Fliesenleger aus dem Allgäu, unter normalen Umständen das Büro des Bundesarbeitsministers allenfalls am Tag der offenen Tür zu Gesicht bekommen. "Und jetzt stand ich hier und hatte eine wichtige Reform durchgesetzt."
An diesem Mittwoch wird der frühere Sozialminister 80 Jahre alt – doch obwohl die nach ihm benannte Rente wegen der enormen bürokratischen Auflagen und der vergleichsweise mageren Renditen etwas in Verruf geraten ist, war die Entscheidung seinerzeit nicht falsch. Im Gegenteil. In einer alternden Gesellschaft, in der die gesetzliche Rente den gewohnten Lebensstandard nicht mehr annähernd sichern kann, müssen Versicherte auch privat vorsorgen. Das aber tun sie am ehesten, wenn der Staat sie mit Prämien oder Steuervorteilen unterstützt.
Walter Riester zum Rentenmodell: "Schweden war damals schon die Vorlage"
Diesem Prinzip folgt auch das schwedische Modell mit einem profitablen, vom Staat organisierten Fonds, der in den Ampelparteien gerade als Ersatz für die Riester-Rente diskutiert wird. Deren Erfinder aber sagt heute noch: "Schweden war für mich damals schon die Vorlage." Am Ende jedoch hatten Schröder und die Bild-Zeitung etwas dagegen, die den Slogan von der "Zwangsrente" erfand und so schwer gegen den Sozialminister schoss., dass der Kanzler Angst vor der eigenen Courage bekam und die private Zusatzvorsorge nicht wie in Schweden verpflichtend, sondern auf freiwilliger Basis eingeführt wurde.
Walter Riester ist gerade bei der Gartenarbeit, als ihn der Anruf unserer Redaktion erreicht – aber sofort voll im Stoff. "Ach ja, die Aktienrente …" Die FDP habe ihre Rentenpläne inzwischen zum Glück etwas modifiziert, sagt er, und dass er auch bei den anderen Parteien im Moment wenig Neues finde und schon gar nichts Überzeugendes. Überhaupt spiele die Sozialpolitik in der aktuellen Regierungsarbeit keine allzu große Rolle, sehr zu seinem Bedauern. Riester selbst verursacht das zwar keine Phantomschmerzen, aber hat er nicht schon vor der letzten Wahl gewarnt, bei der Rente auf Zeit zu spielen?
"In den nächsten Jahrzehnten", sagte er da, "kommt unser System der Altersabsicherung in viel größere Kalamitäten, als es die aktive Politik bisher wahrhaben will." Es basiert im Kern noch immer darauf, dass Versicherte ein Berufsleben lang in Vollzeit arbeiten. Eine Teilzeitstelle aber, so populär sie bei den Menschen sein möge, die so arbeiten, "bringt eben nur eine Teilzeitrente."

Schröder hatte ihn nach der Wahl 1998 in sein Kabinett geholt, weil Riester sich in der IG Metall einen Namen als kreativer, undogmatischer Tarifpolitiker gemacht hatte. Kein Ideologe, sondern ein pragmatischer Macher, der nach der Meisterschule die gewerkschaftliche Akademie für Arbeit besucht hatte und anschließend Jugendsekretär beim DGB in Stuttgart geworden war.
Walter Riester ist sich auch heute noch sicher: Die Riester-Rente ist besser als ihr Ruf
1977 wechselte er zur IG Metall, wo er bis zum stellvertretenden Vorsitzenden aufstieg und wohl auch noch Gewerkschaftschef geworden wäre – wenn Schröder nicht angerufen hätte. Riester, SPD-Mitglied seit 1966, nahm dessen Angebot an und wurde zu einem der Mitarchitekten der rot-grünen Sozialreformen. Nach vier Jahren als Minister allerdings war für ihn auch schon wieder Schluss: Schröder hatte sich entschieden, das Wirtschafts- und das Arbeitsministerium zu einem Superministerium zu verschmelzen und den früheren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement zum Minister zu machen. Das Angebot, als Kompensation für den Verlust seines alten Amtes das Gesundheitsministerium zu übernehmen, lehnte Riester dankend ab – und widmete sich fortan im Bundestag einem völlig neuen Metier, der Entwicklungspolitik.
Heute lebt er zurückgezogen in Isny im Allgäu, Haus an Haus mit seinem Sohn. Den leisen Spott, die Riester-Rente habe nicht eingelöst, was ihr Erfinder versprochen habe, kontert er gerne mit dem Hinweis, dass auch Bismarck sich nicht ausgesucht habe, dass dereinst ein Hering nach ihm benannt werde. Und überhaupt sei die Riester-Rente besser als ihr Ruf. Er selbst allerdings hat keine – Minister und Abgeordnete sind fürs Alter bereits bestens abgesichert. Sie blieben damals außen vor.
Die Diskussion ist geschlossen.
Die Riester-Rente ist der gewaltigste Schuss in den Ofen der deutschen Sozialgeschichte. Verdienen tun bei diesem Modell nur die Finanzkonzerne, dem Privatanleger bleibt nach Jahrzehnten fast immer gerade einmal die staatliche Förderung als Minimalrendite. Den Rest holen sich die Anbieter über Gebühren und sonstige Tricks. Andere Länder zeigen, dass das auch ganz anders geht. Die Nähe Gerhard Schröders zu Herrn Maschmeyer war damals wohl ausschlaggebend für diesen Betrug am Bürger.