Herr Forstner, der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance hat in seiner Rede einen tiefen Graben zu den Europäern sichtbar gemacht. Was könnte die Motivation für eine solche Ansage gewesen sein? Was will er damit bezwecken?
CHRISTIAN FORSTNER: J.D. Vance ist Innenpolitiker, nicht Außenpolitiker. Mit seiner Rede, in der er den Europäern politische Zensur, Migrationsfehler und gescheiterte Identität vorwirft, trägt er den Kulturkampf aus der US-Innenpolitik nach Europa. Praktische Konsequenzen folgen aus seiner Rede nicht. Er machte nur klar, was die Trump-Welt um Elon Musk von Europa hält: nichts. Daher war es gut, dass J.D. Vance nicht zu Nato und Ukraine sprach. Zu internationaler Politik durfte er nichts sagen. Denn das ist Chefsache und dazu entscheidet nur Trump mit seiner transaktionalen Dealmaker-Mentalität. Hätte sich J.D. Vance zu internationalen Krisen geäußert, wäre der Schock noch größer gewesen. Denn die Trump-Administration zieht die disruptive Methode aus der Innenpolitik auch in der Außenpolitik durch.

Was bedeutet diese Rede für Europa?
FORSTNER: Trotz der berechtigten Empörung über J.D. Vance, über seine Einmischung in die europäische und deutsche Politik sowie über seine Blindheit gegenüber der Nazi-Geschichte sollte man auch sehen, dass er wunde Punkte angesprochen hat. Europa schwächelt und kann sich geostrategisch gegen Amerika, China, Indien und Russland nicht behaupten. Das europäische Modell multilateraler Kooperation zerschellt an der harten Realität geopolitischer Konfrontation. Die beste Antwort auf Trump ist ein geeintes, selbstbewusstes und starkes Europa, mit wirtschaftlicher Stärke und militärischer Hard Power. Die Trump-Administration glaubt nur an die Nato, nicht die EU, und will Europa spalten, nicht einen.
Wie kann Europa nun die kommenden Jahre mit der Trump-Regierung zusammenarbeiten?
FORSTNER: Europa ist eine Wirtschaftsmacht. Vor Zöllen und Strafen für Tech-Unternehmen haben die Amerikaner Angst. Der transatlantische Wirtschaftsraum ist verschränkt, Europa und Amerika sind einander wichtige Wirtschafts- und Handelspartner. Daher muss Europa alles tun, um einen Handelskonflikt zu vermeiden. Wir müssen mehr über die Bedrohungen aus Russland, China und Iran sprechen als über unsere Differenzen mit der Trump-Administration. Gemeinsame Handlungsfelder und Interessen gibt es genug: Krisenmanagement im Nahen Osten, Sicherheit und Wiederaufbau der Ukraine, Eindämmung Chinas, Abschreckung Russlands, Stärkung der Nato. Europa muss sich dem realistischen Blick Amerikas auf die Welt annähern und eigene Fähigkeiten vorweisen, so dass Amerika entlastet wird. Dann kann man auch mit der Trump-Administration zusammenarbeiten. Neue Bundesregierung heißt neue Chance.

Zur Person
Christian Forstner leitet das Washingtoner Büro der Hanns-Seidel-Stiftung.
Endlich mal ein Interview mit einem Mann, der die Augen vor der Realität nicht verschliesst. 1. "Die Trump-Administration glaubt nur an die Nato, nicht die EU, und will Europa spalten, nicht einen. " Es ist doch nicht die Aufgabe der USA Europa, oder meint er die EU, zu einen. Das muß schon von Europa/der EU aus geschehen. Scheint mit dieser EU und den seit Jahrhunderten gewachsenen Nationalstaaten (Eigeninteressen!!!) nicht bis kaum möglich. 2. "Europa muss sich dem realistischen Blick Amerikas auf die Welt annähern und eigene Fähigkeiten vorweisen, so dass Amerika entlastet wird." Auch hier sehe ich schwarz. Bestes Beispiel: die wirklichkeitsfremde Sicht auf den gesamten "Ukraine-Komplex".
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