Die Grünen stehen nach nur vier Monaten vor einem Härtetest
Bei den Grünen wird hinter den Kulissen erbittert um die Nachfolge von Familienministerin Anne Spiegel gerungen. Ihr Rücktritt stellt die Partei völlig unerwartet vor eine ernste Belastungsprobe.
Für Toni Hofreiter wird das wieder nichts mit dem Ministerposten. Nach dem Rücktritt von Familienministerin Anne Spiegel war der Biologe und passionierte Alltagsradler für kurze Zeit als Nachfolger im Gespräch. Doch die Grünen folgen bei der Neubesetzung des ihnen zustehenden Ressorts strikten Regeln. Wer auch immer Spiegel nachfolgt, sollte möglichst ein linker Fundi sein, dass es eine Frau sein muss, ist unumstößlich. Hofreiter erfüllt das erste Kriterium, das zweite erkennbar nicht. Nachdem er zur Regierungsbildung als Verkehrsminister im Gespräch war, seine Partei das komplizierte Ressort aber lieber der FDP überließ, muss sich Hofreiter also weiter gedulden. Derweil ringt die Parteispitze um eine Nachfolgerin und die Suche erweist sich als kompliziert.
Während die Koalitionspartner FDP und SPD auf eine schnelle Nachfolgelösung dringen und vor allem Kanzler Olaf Scholz einen zügigen Vorschlag erwartet, damit die Opposition ihm erst gar nicht Handlungsunfähigkeit vorwerfen kann, laufen bei den Grünen die Drähte heiß. Vor Ostern werde eine Lösung gefunden sein, hieß es zunächst in der Parteispitze. Mittlerweile scheint nicht einmal das mehr sicher, denn die Personalie könnte noch im Streit enden.
Ekin Deligöz wäre geeignet für die Nachfolge von Anne Spiegel
Eigentlich kann die Nachfolge, jedenfalls von außen betrachtet, schnell geregelt werden. Mit Spiegels Staatssekretärin Ekin Deligöz stünde eine Politikerin parat, die den Posten vom Fleck weg übernehmen könnte. Die Neu-Ulmerin und frühere Konstanzerin ist seit 1998 Bundestagsabgeordnete. Im November 2020 wurde sie kinder- und familienpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, die verheiratete Mutter zweier Kinder gilt zudem als ausgewiesene Haushaltsexpertin. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes und Mitglied des Komitees von UNICEF Deutschland, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Mehr Qualifikation im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geht kaum noch. Wenn da nicht die Grünen-Arithmetik wäre. Deligöz kommt - zumindest vorerst - nicht infrage, weil sie dem Realo-Flügel ihrer Partei angehört.
Die Grünen-Doppelspitze aus Ricarda Lang, die aus dem linken Lager kommt, und dem Realo Omid Nouripour sieht sich deshalb schwierigen Verhandlungen ausgesetzt. Denn die Fundis präsentieren ihnen gerade Kandidatinnen, deren Qualifikation für das Familienministerium durchaus mit einem Fragezeichen versehen werden darf. Gehandelt wird zum Beispiel Co-Fraktionschefin Katharina Dröge. Die Diplom-Volkswirtin gilt als Wirtschaftsexpertin, das ist zwar kein Hindernis für die Führung eines Ministeriums. Aber die Grünen-Mitglieder, die traditionell ein gewichtiges Wörtchen bei der Personalfindung mitreden wollen, könnten sich schon fragen, ob da nicht andere mit einschlägigerer Erfahrung zur Verfügung stünden. Das Problem der Grünen-Linken ist indes: Andere mit einer dem Amt entsprechenden Qualifikation sind derzeit auch nicht in Sicht.
Auch Ska Keller ist im Gespräch
Ska Keller ist ein weiterer Name im Kandidatinnenkarussell. Sie gehört als Grünen-Politikerin dem Europäischen Parlament an und das bereits seit 2009. Der Bundespolitik ist sie damit sehr fern, es könnte ihr ergehen wie Anne Spiegel, die als vormalige Landesministerin den Stress in einem Bundesministerium offenbar unterschätzte und darin unterging. Der Grünen-Spitze schwant deshalb auch hier, dass die Basis Kellers Berufung nicht gutheißen würde.
Als eine weitere Nachfolgerin wird Katrin Göring-Eckardt gehandelt, und sie wäre vielleicht schon eher vermittelbar. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende und amtierende Bundestagsvizepräsidentin genießt einen guten Ruf, wird zwar dem Realo-Flügel zugerechnet, ließ sich aber von den Grabenkämpfen mit den Fundis nie anstecken. Göring-Eckardt, 1966 im thüringischen Friedrichroda geboren und Mutter zweier Söhne, hat sich in ihrem politischen Leben kontinuierlich für die Förderung von Familien und Kindern eingesetzt. Doch ob das in den Augen der Mitglieder reicht, ein Ministerium zu führen? Göring-Eckardt scheint sich auf ihrem Posten als Bundestagsvizepräsidentin zudem wohlzufühlen. Würde sie dort abgezogen, hätte die Grünen-Spitze bei der Suche nach ihrer Nachfolge die nächste Baustelle vor der Tür.
Beginnt die Suche wieder von vorn?
Damit zeichnet sich bei den Grünen ein Szenario ab, das vielen Sorge bereitet: Der linke Flügel wird, so die allgemeine Erwartung, an seinem Vorschlagsrecht festhalten. Dass die Fundis eine wirklich qualifizierte Kandidatin präsentieren, scheint derzeit hingegen weniger wahrscheinlich. Lang, Nouripour und der gesamte Bundesvorstand könnten sich genötigt sehen, den Personalvorschlag der Fundis zurückzuweisen - und die Suche würde wieder von vorne beginnen.
Für die Grünen läuft es eigentlich gerade ziemlich gut. Im Kabinett von Olaf Scholz sammeln Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck täglich neue Fleiß- und Sympathiepunkte. Bei der Landtagswahl am 8. Mai in Schleswig-Holstein könnten die Grünen das Ergebnis der letzten Wahl deutlich steigern, es in Nordrhein-Westfalen eine Woche später sogar mehr als verdoppeln. Da kommt es höchst ungelegen, dass nur vier Monate nach der Regierungsbildung eine ernste Belastungsprobe ins Haus steht.
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