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Syrien: Ein halbes Jahr nach Assads Sturz: Syrer wollen nach Hause

Syrien

Ein halbes Jahr nach Assads Sturz: Syrer wollen nach Hause

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    Zwei Buchhändler stöbern auf einem Freiluftbüchermarkt in Damaskus in ihrem Sortiment. Der Alltag kehrt langsam zurück in Syrien.
    Zwei Buchhändler stöbern auf einem Freiluftbüchermarkt in Damaskus in ihrem Sortiment. Der Alltag kehrt langsam zurück in Syrien. Foto: Moawia Atrash, dpa

    An der Grenze zwischen der Türkei und Syrien stauen sich Lastwagen, voll beladen mit Umzugsgut, dazwischen warten Reisende mit Koffern, Taschen und Säcken. Tausende Syrer kehren derzeit in die Heimat zurück – manche nur zum Verwandtenbesuch am islamischen Opferfest, viele aber für immer. Auch an einem Grenzübergang aus dem Libanon nach Syrien gibt es Andrang, der in den kommenden Wochen noch wachsen dürfte: Nach dem bevorstehenden Ende des Schuljahres in den Nachbarländern erwarten Experten und Politiker eine Rückkehr-Welle.

    Mehr als fünf Millionen Syrer auf der Flucht

    Mehr als fünf Millionen Syrer – etwa ein Viertel der Bevölkerung – sind nach Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 vor Diktator Baschar al-Assad geflohen, die meisten in die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien, hunderttausende auch nach Europa. Seit Assads Sturz am 8. Dezember wollen viele wieder nach Hause. Trotz politischer Spannungen, Gewalt und Wirtschaftskrise in Syrien sind bereits rund 400.000 Syrer aus dem Ausland zurückgekehrt. Mehr als eine Million zog zudem aus Zufluchtsorten innerhalb des Landes in ihre Städte und Dörfer zurück.

    Auch der Arzt Mohammad Alabbas aus Homs will nach Hause. Vor 13 Jahren hatte er in seiner Heimatstadt an Demonstrationen gegen Assad teilgenommen, dann brachte er sich in der Türkei in Sicherheit. Der heute 45-Jährige gründete in der Fremde eine Familie und bekam einen Job bei der britischen Hilfsorganisation Hihfad.

    Nun hat Alabbas in Homs eine Mietwohnung für sich, seine Frau und seine vier Kinder gefunden. Er hat Glück gehabt: „Ich kenne viele Syrer in der Türkei, die zurück wollen, sich aber keine Wohnung leisten können“, sagte er unserer Redaktion. „Das zweite große Problem ist, dass es keine Jobs gibt.“

    Hinzu kommt, dass viele Schulen zerstört sind. Die Kinder von Alabbas wurden in der Türkei geboren und kennen Syrien nur aus Erzählungen. Ihr Vater will sie in Homs übergangsweise auf eine Privatschule schicken und hofft, dass der Wiederaufbau des staatlichen Schulsystems schnell vorangeht.

    „Endlich festen Boden unter den Füßen, in meinem eigenen Land“

    Hoffnung ist ein Wort, das oft fällt, wenn Alabbas über seine Pläne spricht. „Ich weiß, es gibt riesige Herausforderungen in Syrien: Die Regierung ist schwach, es gibt Sicherheitsprobleme“, sagt er. „Aber ich freue mich darauf, endlich festen Boden unter den Füßen zu haben, in meinem eigenen Land, mit meinem eigenen Pass.“

    Dass sich so viele Syrer nach Hause wagen, liegt daran, dass es in ihrem Land besser läuft als erwartet. „Wenn man sich die riesigen Herausforderungen anschaut und bedenkt, dass viele glaubten, es werde bald ein neuer Bürgerkrieg ausbrechen, dann gibt es auf jeden Fall Anlass zu vorsichtigem Optimismus“, sagt Julien Barnes-Dacey von der europäischen Denkfabrik ECFR, der gerade Damaskus besucht hat. Besonders wichtig sei die Aufhebung der US-Sanktionen gewesen.

    Auch Michael Bauer, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Beirut, sieht Chancen für die Wirtschaft. „Andererseits ist die Sicherheitslage weiterhin prekär“, sagte er unserer Redaktion. „Die territoriale Kontrolle der Zentralregierung ist eingeschränkt, verschiedene Milizen haben weiterhin ihre Waffen und werden diese wohl auch nicht so bald abgeben.“ Die Massaker an Alewiten entlang der Küsten im März zeigten nach Einschätzung von Bauer, wie fragil die Lage ist. „Dschihadistische Milizen, bestehend aus syrischen und ausländischen Kämpfern, sind eine ernsthafte Gefahr für den Übergangsprozess.“

    Mohammad Alabbas und andere Rückkehrer lassen sich davon nicht aufhalten. „Nach dem Ende des Schuljahres wird es eine riesige Welle von Syrern geben, die zurückkehren“, sagte Alabbas. „Ich bin ja auch dabei.“ Der türkische Innenminister Ali Yerlikaya erwartet ebenfalls, dass sich viele Syrer mit dem Beginn der Sommerferien ab Mitte Juni auf den Weg machen werden.

    Wie die Türkei hat auch Europa ein Interesse an einer Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihre Heimat. „Die Europäer sollten sich weiter engagieren, aber dabei auch ihre Erwartung deutlich machen, dass die neuen Autoritäten in Syrien die Sicherheitslage verbessern und radikale, dschihadistische Kräfte unter Kontrolle bringen müssen“, sagt Bauer. Es müsse „einen glaubwürdigen politischen Prozess geben, der auch Minderheiten – aber nicht nur diesen – das Gefühl vermittelt, dass jeder im neuen Syrien seinen Platz hat“.

    Barnes-Dacey sagt: „Die Syrer werden zurückkehren, wenn sie echte Garantien für eine stabile Zukunft haben.“ Für Mohammad Alabbas hat die Zukunft schon begonnen. „Ich bin superglücklich, nach Hause gehen zu können“, sagt er. „Mein Traum wird wahr.“

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