Issa al H. wirkt schmächtig als er um 10.50 Uhr den großen Gerichtssaal im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts (OLG) betritt. Im blauen Pullover, den Kopf gesenkt, sitzt er auf der Anklagebank. Eine Sicherheitsglasscheibe trennt den mutmaßlichen Attentäter von Solingen von den Kameras, die ihn minutenlang ablichten. Die Pose wirkt so, als begebe sich da ein mörderischer Dschihadist plötzlich in eine Büßerhaltung. Am 23. August 2024 soll der syrische Flüchtling auf dem Solinger „Festival der Vielfalt“ drei Menschen getötet und acht weitere Gäste mit einem 15 Zentimeter langen Tranchiermesser teils lebensgefährlich verletzt haben. Und zwar im Namen der Terror-Miliz IS. Ein Terroranschlag, der bundesweit für große Bestürzung sorgte.
Da sitzt der Tatverdächtige nun. Und schaut verschämt zu Boden. Als der 5. Strafsenat unter dem Vorsitz von Winfried van der Grinten eintritt, erhebt sich der Angeklagte brav von seiner Bank. Ein eher seltener Vorgang bei radikalen Islamisten, da viele das westliche Rechtssystem ablehnen. Für sie bildet meist die Sharia den Leitfaden ihres Lebens.
In diesem Terror-Prozess läuft manches anders
In diesem Terror-Prozess läuft allerdings vieles anders. Die Verteidigung stellt keine Anträge, die womöglich später im Falle einer Revision vor dem Bundesgerichtshof helfen könnten. Bundesanwalt Jochen Weingarten beginnt zeitnah die Anklage zu verlesen, die kaum ein grausiges Detail zum Tathergang ausspart. Mord in drei und versuchter Mord in zehn Fällen sowie die Mitgliedschaft beim IS, lauten unter anderem die Vorwürfe.
Zunächst einmal schildert der Ankläger aus Karlsruhe den Weg der Radikalisierung des Angeklagten. Spätestens seit 2019 soll sich al H. mit salafistischem Gedankengut und dem IS beschäftigt haben. 2020 befasst sich der syrische Migrant mit dem Thema „Heiliger Krieg“. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel und dem folgenden Nahostkonflikt entwickelt der Islamist demnach den Entschluss, so viele Ungläubige wie möglich zu töten. In Telegram-Chats spricht er etwa mit dem Verantwortlichen des IS für ausländische Attentäter, dessen Kampfnamen Abu Faruq lautet, über seine Attentatspläne. Der Terror-Instrukteur bestärkt al H. in seinem Vorhaben.
Bundesanwalt: Angeklagter soll stets auf die Halsregion gezielt haben
Am frühen Morgen des 23. August produziert der an seiner Arbeitsstätte in einem Döner-Laden ein Bekennervideo. Am frühen Abend informiert er seine Hinterleute, dass er es machen werde. Um 21.37 Uhr nimmt das Blutbad seinen Lauf. Akribisch beschreibt Bundesanwalt Weingarten die Angriffe. Mit Allahu Akbar-Rufen habe der Angeklagte stets auf die Halsregion gezielt. Zum Schluss stellt Bundesanwalt Weingarten die nachträgliche Sicherungsverwahrung in den Raum.
Die Verteidiger bekunden in ihrem Eingangsstatement den Angehörigen der Opfer und Überlebenden der Messerangriffe ihr tiefes Beileid und Mitgefühl. Dann folgt das mit Spannung erwartete Teilgeständnis des Angeklagten, das die Verteidiger verlesen: „Ich habe schwere Schuld auf mich geladen, drei Menschen sind durch meine Hand gestorben. Ich habe Unschuldige getötet und verletzt und unendliches Leid über diese Menschen gebracht. Deshalb verdiene ich die lebenslange Freiheitsstrafe.“ Erstaunt erkundigt sich der Vorsitzende, ob dies so richtig vorgetragen sei. Al H. hebt seinen Kopf. „Ich bin schuldig, das ist dann so“, erklärt er. Zugleich legt der Angeklagte Wert auf die Feststellung: „Ich habe Unschuldige getötet, nicht Ungläubige.“
Ist al H. ein Opfer von IS-Machenschaften?
Die Aussage deutet auf eine Strategie hin, in der al H. sich selbst als Opfer von IS-Machenschaften gerieren könnte. In den zwei Befragungen durch den psychiatrischen Gutachter hat der Migrant behauptet, durch den IS-Instrukteur Abu Faruq hereingelegt worden zu sein. Dies schildert der Sachverständige im Gerichtssaal. So habe al H. berichtet, wie sehr ihn Bilder von getöteten palästinensischen Kindern im Gaza-Konflikt bewegt hätten. Er habe diese Aufnahmen auf seinem Telegram-Kanal weiterverbreitet und sei daraufhin von einem Unbekannten angeschrieben worden, der ihn aufgefordert habe, einen Anschlag in Deutschland zu begehen.
Al H. will nicht gewusst haben, dass der IS im Hintergrund gestanden habe. Dieser Kontaktmann habe ihm das Gehirn gewaschen. Bei der Tat habe er erstmals in seinem Leben unter einer Wahrnehmungsstörung gestanden und auf der Bühne die Leichen palästinensischer Kinder gesehen, führt der Psychiater weiter aus. In der Vorstellung des Angeklagten habe ein israelischer Polizist dazu gelacht - diesen habe er attackiert und sei dann in einen Wald geflüchtet. Tags darauf habe er sich einer Polizeistreife gestellt.
Wenn es die palästinensischen Kinder nicht gegeben hätte, so seine Aussage, hätte er es nicht getan. An weitere Taten könne er sich nicht mehr erinnern.


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