Ein Satz im Koalitionsvertrag hat die Tierschützer besonders aufgeschreckt: „Wir schaffen ein eigenständiges Gesetz für wissenschaftliche Tierversuche.“ Er steht nicht beim Thema „Nutztierhaltung und Tierschutz“, sondern unter dem Überbegriff „Innovationsfreiheitsgesetz“. Thomas Schröder, der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, fürchtet deshalb „eine massenhafte legale Ausweitung von Tierversuchen und damit millionenfaches Tierleid für die Forschung“. Er warnt vor einer „echten Katastrophe“.
Andere wichtige Themen spielten für Union und SPD offenbar keine Rolle, sagt Schröder, denn sie stünden gar nicht im Koalitionsvertrag: ein Verbot von Tiertransporten in Drittstaaten etwa, eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen aus Privathaushalten sowie eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht von Hunden und Katzen. Auch beim „dringend benötigten Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung“ drohe „ein Kraftakt“. Denn die für Schröder entscheidende Kehrtwende hin zu weniger tierischer Produktion und einer stärkeren Förderung von tierwohlgerechten Ställen mit Luft, Tageslicht und Bewegungsmöglichkeit sei nicht erkennbar. Und noch etwas kritisiert er scharf: „Wir prüfen die Videoüberwachung auf Schlachthöfen“ heißt es. Für Schröder müsste dort aber stehen: Jeder Schlachthof wird mit Video überwacht.
Tiertransporte und Kastrationspflicht für Freigängerkatzen schafften es erst gar nicht in den Koalitionsvertrag
Letzteres findet Franziska Kersten übertrieben. Die Tierärztin und Bundestagsabgeordnete hat für die SPD in der Arbeitsgruppe Landwirtschaft und Umwelt mit verhandelt. „Viel wichtiger ist für mich, dass wir zielgerichteter und effizienter kontrollieren.“ Zwar erwartet auch Kersten einen Kraftakt, wenn es nun darum geht, die Pläne in die Praxis umzusetzen, sie hebt aber hervor, wie wichtig es für Verbraucherinnen und Verbraucher ist, dass man das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz von der Aufzucht über Transport bis hin zu Schlachtung und Verarbeitung inklusive Außer-Haus-Verpflegung reformieren will. Schröders Ziel, die tierische Produktion zu reduzieren, hält sie „für nicht realistisch, solange Menschen Schnitzel essen wollen“. Denn die Alternative hieße, mehr Fleisch aus dem Ausland zu importieren „dann wissen wir gar nicht, wie es den Tieren ergangen ist“.

In einem Punkt teilt die SPD-Politikerin aber die Sorge mit Schröder: „Auch ich war überrascht über den Satz, dass ein eigenständiges Gesetz für wissenschaftliche Tierversuche im Koalitionsvertrag steht. Das hätte beim Tierschutz verhandelt werden müssen. Hier müssen wir nun sehr aufmerksam sein.“
Bio-Landwirt von den Grünen aus Bayern vermisst den Grundsatz „Weniger Tiere, besser halten“
Auch Paul Knoblach beunruhigen die Pläne. „Ich habe schon auf bayerischer Ebene versucht, dass wir Tierversuche auf das unbedingt Notwendige reduzieren – aber meine Anträge sind leider nicht durchgegangen“, sagt der Tierschutzexperte der Grünen im Bayerischen Landtag. „Jetzt ist zu befürchten, dass es sogar zu einer Ausweitung kommt.“ Damit nicht genug, ist Knoblach wie Schröder vieles zu vage formuliert. Auch er fordert den Grundsatz: „Weniger Tiere, besser halten.“ Vor allem aber sei eine Tiergesundheitsdatenbank notwendig, in der alle erfassten Daten aus allen Haltungen zusammenlaufen, damit Missstände schnell auffallen – beispielsweise, wenn in einer Tierkadaverbeseitigungsanlage von einem Hof besonders viele Tiere kommen. „Das wäre keine neue Bürokratie, sondern nur eine überfällige Zusammenführung wichtiger Daten, um effizienter zu kontrollieren“, erklärt der Bio-Landwirt. Und noch etwas vermisst er: „Kein Wort vom Amt der Tierschutzbeauftragten. Wird es schon wieder abgeschafft? Auch das wäre ein Rückschritt.“
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