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Türkei: Erdogan-Kontrahent Imamoglu – Proteste und über 1000 Festnahmen

Türkei

Festnahme von Erdogan-Kontrahenten Imamoglu: Heftige Proteste und über 1000 Festnahmen

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    Ekrem Imamoğlu gilt als vielleicht wichtigster Gegenspieler von Staatschef Erdogan in der Türkei. Am Mittwoch wurde der Oppositionelle festgenommen.
    Ekrem Imamoğlu gilt als vielleicht wichtigster Gegenspieler von Staatschef Erdogan in der Türkei. Am Mittwoch wurde der Oppositionelle festgenommen. Foto: Oliver Berg, dpa (Archivbild)

    In der Türkei gehen nach der Verhaftung des oppositionellen Präsidenschaftskandidaten Ekrem Imamoglu Abend für Abend Zehntausende Demonstranten auf die Straße. In Istanbul zogen Tausende Studierende in einem Protestzug zum zentralen Kundgebungsort vor der Stadtverwaltung, wie lokale Medien berichteten. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei. In Istanbul, Izmir, Ankara und Eskisehir setzte die Polizei nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa) Wasserwerfer und Tränengas ein, mehrere Menschen wurden verletzt.

    Auch in der Hauptstadt Ankara gingen erneut Tausende auf die Straße, wie auf Fernsehbildern zu sehen war, und riefen Slogans wie „Regierung, Rücktritt!“. Laut dem Innenministerium hat es seit Beginn der Proteste mehr als 1000 Festnahmen gegeben. Innenminister Ali Yerlikaya schrieb auf X zudem von Dutzenden Festnahmen im Zusammenhang mit Beleidigungen des Präsidenten, dessen verstorbener Mutter und dessen Familie nach einer Demonstration in Istanbul. Seit der Nacht auf Donnerstag gibt es, trotz eines Verbotes von derartigen Versammlungen, Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmenden.

    Erdogan-Konkurrent vor Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten festgenommen

    Am Mittwoch, kurz vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten, wurde der Haftbefehl gegen Imamoglu erlassen, der Politiker wurde festgenommen. Er gilt als einer der wichtigsten Gegenspieler von Staatschef Erdogan. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wirft die Staatsanwaltschaft ihm unter anderem Korruption und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation vor. Am Mittwochmorgen hatte Imamoglu ein Video auf der Plattform X veröffentlicht, in dem er berichtete, dass Hunderte Polizisten vor seinem Haus stünden. „Wir erleben eine enorme Tyrannei“, schrieb der 54-Jährige dazu und betonte, er werde nicht aufgeben. Mehrere Fernsehsender meldeten, dass die Polizei sein Anwesen betreten und durchsucht habe. Auch weitere Menschen aus Imamoglus Umfeld wurden festgenommen.

    Türkischer Oppositioneller Imamoglu verhaftet – Kritik aus Deutschland

    Die größte Oppositionspartei in der Türkei, die regierungskritischen CHP, wollte Imamoglu eigentlich am Sonntag offiziell zu ihrem Kandidaten für die nächste reguläre Präsidentschaftswahl im Jahr 2028 ernennen.

    International gibt es scharfe Kritik am Vorgehen der Türkischen Behörden. Die Bundesregierung sprach von einem schweren Rückschlag für die Demokratie in der Türkei. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Vorgänge „bedrückend für die Demokratie in der Türkei, aber ganz bestimmt auch bedrückend für das Verhältnis zwischen Europa und der Türkei“. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte: „Die Festnahme reiht sich ein in eine Serie erhöhten juristischen Drucks gegen den Istanbuler Oberbürgermeister. Und für uns ist die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie.“ Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Festnahme als „äußerst besorgniserregend“.

    Türkei: Ermittlungen gegen Social-Media-Nutzer und Bußgelder für TV-Sender

    Am Freitag schrieb Imamoglu auf X, er wolle gerne eine Erklärung zu den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben werden, abgeben, befinde sich aber derzeit in Untersuchungshaft. Die CHP nennt die Verhaftung einen versuchten Staatsstreich und „zivilen Putsch“, sie rief zu Protesten aus. Das wiederum wies Erdoğans Partei AKP scharf zurück und nannte den Vorwurf den „Gipfel politischer Unvernunft“. Die türkische Polizei ermittelt zudem gegen mehrere Social-Media-Nutzende wegen ihrer Beiträge und meldete am Donnerstag, dass bereits 37 Personen „gefasst“ seien. Die Medienaufsicht bestrafte mehrere TV-Sender wegen Berichten über die Festnahme, woraufhin offenbar Bußgelder fällig werden.

    Das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen Imamoglu hatte sich nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa) schon vorher angekündigt: Am Dienstag wurde bekannt, dass die Istanbul-Universität dem politischen Kontrahenten von Erdoğan (neben 27 weiteren Absolventen) den Hochschulabschluss aberkennt. Das Problem: Dieser ist eine der Voraussetzungen für das Präsidentenamt der Türkei. Hintergrund der Annullierung soll ein angeblich unrechtmäßiger Universitätswechsel sein.

    Präsidentschaftsanwärter Imamoglu plant rechtliche Schritte gegen Festnahme

    Imamoğlu erklärt in einem Video, er wolle gegen die Entscheidung vor Gericht ziehen, habe aber das Vertrauen in faire Urteile verloren. Ihm drohen in einer Reihe weiterer Verfahren Haftstrafen und Politikverbote.

    Sein Anwalt Kemal Polat hatte der Deutschen Presse-Agentur vor Bekanntwerden des Haftbefehls gesagt, Imamoglu könne erst als Präsidentschaftskandidat antreten, wenn alle Rechtswege gegen die Entscheidung ausgeschöpft seien. Der Vorsitzende der CHP, Özgür Özel, sprach bei der Festnahme von einer politischen Entscheidung.

    Imamoglu konnte sich 2019 bei Bürgermeisterwahl in Istanbul durchsetzen

    Ekrem Imamoglu wurde 1970 in Trabzon geboren und studierte Betriebswirtschaft an der Universität Istanbul. Seine politische Laufbahn begann er in der Kommunalpolitik, bevor er 2014 zum Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Beylikdüzü gewählt wurde.

    2019 sorgte der verheiratete Familienvater international für Aufsehen, als er überraschend die Bürgermeisterwahl in Istanbul gegen die regierende AKP gewann – seinerzeit ein wichtiger Sieg für die Opposition in der Türkei. Im vergangenen Jahr konnte sich bei den Wahlen in der Millionenmetropole am Bosporus erneut die Mitte-Links-Partei CHP durchsetzen. (mit dpa)

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    4 Kommentare
    Johann Storr

    Es ist zu befürchten, wenn die AfD mal an die Macht kommen sollten, wird die AfD in Deutschland auch die Opposition als Staatsfeind erklären und wegsperren. Wer näheres dazu wissen mag, lese das Buch des Faschisten Höcke und schaue die Videos seiner Reden an.

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    Maria Reichenauer

    Herr Storr, das ist in der Tat zu befürchten – aus ein bisschen Protest wählen, wie es in diesem Forum schon anklang, wird leicht eine Lawine, die nichts Gutes für die Bevölkerung bedeutet. Wenn man Höcke reden hört, kann es einem Angst werden.

    Franz Xanter

    Leider aber auch verwunderlich, dass die globale Bevölkerung der Türkei wenig dagegen unternimmt. Scheinbar ist die Mehrheit gegenüber Erdogan gleichgültig bzw. akzeptiert dessen autokratisches Gehabe. Demokratische Werte sind in der Türkei nur selten zu finden.

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    Maria Reichenauer

    Herr Xanter, Imamoğlu wurde deswegen verhaftet, WEIL die Bevölkerung ihn wahrscheinlich mehrheitlich unterstützt hätte. Es hat Proteste gegeben, obwohl diese verboten waren. Es ist schwer, gegen einen Autokraten vorzugehen, vor allem, wenn man damit rechnen müsste, im Gefängnis zu landen. Man kann also nicht sagen, es gäbe wenig demokratische Werte in der Türkei. Auch die Deutschen haben im Dritten Reich nicht den Widerstand geleistet, den es gebraucht hätte, um Hitler loszuwerden. Viele, die aufgemuckt haben, haben das mit dem Leben bezahlt. Umso schlimmer, dass man Erdogan immer wieder umschmeichelt, vor allem wenn es um die Flüchtlinge geht, deren Zurückhalten er sich gut bezahlen lässt. Wie es in den Lagern zugeht, will man ja bekanntlich nicht wissen.

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