Ein Jahr Einwegplastik-Verbot: Was hat es wirklich gebracht?
Im Juli 2021 verbannte die EU viele Kunststoff-Produkte aus den Regalen. Ein Jahr später ist die Bilanz zumindest durchwachsen. Das liegt vor allem daran, dass Verbraucher getäuscht werden.
Der Strohhalm ist aus Pappe, die Einkaufstüte aus Papier, die Einweggabel aus Holz – ein Jahr ist es her, dass die Europäische Union Einwegplastik aus dem Handel verbannt hat. Das Verbot soll die Umweltverschmutzung reduzieren: Laut der Umweltorganisation Greenpeace werden derzeit rund 311 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr produziert, mindestens 150 Millionen Tonnen Plastikabfall werden im Meer vermutet. Doch ändert der politische Eingriff in den Markt daran wirklich etwas?
Zumindest der Blick auf die nackten Zahlen ist eher ernüchternd: Das Verbot von Einwegkunststoff-Produkten in der EU hat laut Universität Kassel dazu geführt, dass sich das Kunststoffabfall-Aufkommen in deutschen Privathaushalten um rund 0,4 Kilo Pro ein Einwohner und Jahr reduziert hat. Global gesehen geht es also höchstens in Trippelschritten voran.
Und doch sehen Fachleute die politische Maßnahme keineswegs als gescheitert an. „Das EU-Einwegplastik-Verbot war ein sehr klares Signal, dass das Konzept der Wegwerf-Produkte aus Plastik in dieser Form nicht länger akzeptiert werden konnte, weil es massive Umweltbelastungen mit sich bringt – sowohl mit Blick auf die Verschmutzung der Umwelt als auch auf die CO2-Emissionen in der Herstellung dieser Produkte“, sagt Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Es sei zudem ein Zeichen an die Industrie gewesen, dass der Staat notfalls auch zu massiven Markteingriffen bereit sei und dies auch von der Bevölkerung mitgetragen werde. Deshalb sei, so Wilts, in vielen Bereichen tatsächlich ein Umdenken erkennbar: Die Industrie suche nach Alternativen zu Einwegplastik, weil das so von den Kundinnen und Kunden eingefordert werde. „Über die verbotenen Produkte hinaus hat die Einwegplastik-Richtlinie also auch eine intensive Debatte darüber angestoßen, wo der Einsatz von Kunststoff tatsächlich sinnvoll ist“, sagt der Experte. Das glaubt auch Jürgen Sutter vom Öko-Institut e.V. in Darmstadt. „Das Verbot war ein wichtiges Signal gegen die Plastikverschmutzung der Umwelt, insbesondere der Meere“, sagt er.
Plastik-Alternativen sind häufig nicht umweltfreundlich
Dass die Bilanz der Fachleute dennoch durchwachsen ausfällt, liegt an einem anderen Phänomen: Das, was den Verbraucherinnen und Verbrauchern als umweltfreundliche Alternative angepriesen wird, ist häufig alles andere als ein Beitrag zur Abfall-Reduzierung.
Gerade im Bereich der Verpackungen gebe es immer häufiger Produkte, die aus einer Kombination aus Papier und Pappe mit Kunststoff hergestellt sind und deren Recycling sehr schwierig sei. Papier erhöht den Druck auf die Abholzung der Wälder. Aluminium verbraucht viel Energie. Und plastikfreies Einweggeschirr aus Pappe, Palmenblättern und Zuckerrohr kann oft gesundheitsgefährdende Stoffe enthalten. „Greenwashing“ ist das Wort für das Konzept – Produkte werden als vermeintlich „grün“ angepriesen, unterm Strich sind sie aber auch nicht besser für die Umwelt.
Zwar wurde große Aufmerksamkeit auf ein Thema gelenkt, doch das ist nur ein Schritt von vielen notwendigen. „Auf europäischer Ebene sollte daher auch dringend diskutiert werden, nicht nur Einwegprodukte aus Plastik in den Blick zu nehmen, sondern insgesamt klare Anreize für den Ausstieg aus der Wegwerf-Gesellschaft zu setzen“, sagt Henning Wilts. „Beim Verbot einzelner Produkte sollte dabei auch immer mitbedacht werden, auf welche Alternativprodukte der Markt vermutlich ausweichen wird.“ Notwendig wäre aus seiner Sicht zudem die umfassende Beteiligung der Industrie an den konkreten Umweltkosten, die ihre Produkte verursachen – von Zigarettenkippen bis hin zu Textilien, die auch immer stärker als Einwegprodukt genutzt würden.
Genau daran macht sich auch die Kritik der Deutschen Umwelthilfe (DUH) fest: Die Verbotsregelung laufe ins Leere, weil statt umweltfreundlicher Alternativen andere Einweg-Produkte angeboten würden. Deren Umweltbilanzen seien ähnlich schlecht wie die von konventionellen Einweg-Plastikprodukten. „Diesen Trend sehen wir vor allem bei großen Fast-Food- und Gastronomieketten“, so die Umwelthilfe. Die Forderung der Organisation: Umweltministerin Steffi Lemke müsse eine Abgabe auf nicht verbotenes Einweggeschirr aus Aluminium oder Pappe von mindestens 20 Cent festlegen und so Anreize zum Einsatz von Mehrweg setzen. „Mit den Einnahmen sollten Mehrwegsysteme gestärkt und Einweg-Produkte gleichzeitig unattraktiv gemacht werden", sagt die DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz.
Umwelthilfe kritisiert viele Verstöße gegen Einwegplastik-Verbot
Stichprobenartige Tests der DUH in über 20 Berliner Imbissen hätten darüber hinaus gezeigt, dass auch ein Jahr nach Inkrafttreten des Verbots in der Gastronomie und im Handel noch immer massenhaft verbotene Einweg-Plastikprodukte eingesetzt würden. In mehr als 90 Prozent der getesteten Läden wurden nach wie vor verbotene Einweg-Plastikprodukte angeboten.
Besonders häufig kommen Einweg-Plastikbesteck, Styropor-Boxen oder kunststoffbeschichtete Pappteller zum Einsatz. „Übrig gebliebene Einweg-Warenbestände müssten nach einem Jahr längst aufgebraucht sein. Vielmehr besteht der Verdacht, dass Händler sich illegal durch Direktimporte aus dem nichteuropäischen Ausland mit verbotenen Einweg-Plastikprodukten eindecken", erklärt Thomas Fischer, DUH-Leiter für Kreislaufwirtschaft. Und auch die Supermärkte tricksen bisweilen: Sie machen Einweg-Tüten aus Plastik einfach um wenige Mikrometer dicker, um sie legal anbieten zu können. Möglich ist das, weil unter das seit 1. Januar 2022 geltende Verbot lediglich Plastiktüten mit einer Wandstärke von 15 bis maximal 49 Mikrometern fallen.
Wie es auch gehen kann, zeigt gerade der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der hat zum 1. Januar eine Verbrauchssteuer auf Einwegverpackungen eingeführt. Pro Einzelmahlzeit wird maximal 1,50 Euro kassiert, unter anderem Fast-Food-Läden mussten zahlen. Als Folge sei Mehrweggeschirr im Stadtbild deutlich präsenter gewesen und die öffentlichen Mülleimer vor allem in der Innenstadt sichtbar leerer. Allerdings wurde die Steuer inzwischen vom Verwaltungsgerichtshof wieder einkassiert.
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Auch in diesem Artikel wird wieder mal viel durcheinandergeworfen. Es sind zwei große Kanäle, die es auseinanderzuhalten gilt. Da ist einmal der Plastikmüll, der in den gelben Säcken gesammelt wird. Der umweltbewusste Verbraucher steckt jeden Fitzel in den gelben Sack, man suggeriert ihm, dass alles recycelt und sauber wieder in den Materialkreislauf kommt. Aber so ist es doch nicht. Mich würde sehr interessieren, wieviel aus den gelben Säcken tatsächlich sortiert und recycelt wird, wieviel irgendwohin verschifft wird und auf teilweise illegalen Deponien oder im Meer landet. Müll ist heute ein mafiöses Geschäft – strengere, eindeutige Gesetze könnten hier viel bewirken. Aber weil immer einer sich daran eine goldene Nase verdient und wahrscheinlich als Lobbyist ganz oben rumschmiert, wird das wohl nichts werden. Der gelbe Sack ist die Quelle des Übels. Hier würde ich mir Transparenz, objektive, tiefgreifende Recherche der Medien und den Arm des Gesetzgebers wünschen. Das zweite Problem ist unsere Lebensweise. Billigklamotten aus vielfach zusammengewürfeltem Gewebe, vielfach verpackte Waren im Supermarkt, Fertiggerichte, schnelllebiges Spielzeug, Giveaways zur Kundenbindung usw. – alles, weil es halt bequem ist, weil man sich gerne mit allem möglichen Zeug umgibt, weil man sich alles aufdrängen lässt, auch wenn man es nicht braucht. Vieles ist unnötig wie ein Kropf. Da kann der Verbraucher sehr wohl etwas erreichen, indem er selbstkritisch hinterfragt, was er in den Warenkorb legt, was er auf der Haut tragen will und was er sich aufdrängen lässt. Manchmal genügt ein "Nein Danke", manchmal hift die Suche nach Alternativen. Das hat nun aber nicht so sehr mit dem Weg des Plastikmülls zu tun, denn diese Wohlstandsprodukte landen meist im Restmüll – da geht es um Mülleinsparung und Müllvermeidung. Kurz: Wer das Ohrenstäbchen aus Plastik verbietet, müsste sich auch die Verpackung ansehen und den Weg, den das Stäbchen zurücklegt, bis es das Verbraucherohr erreicht. Wenn das Konzept nicht stimmt, bleibt immer nur alles Stückwerk.