
Der neue Bußgeldkatalog hat bisher fast keine Wirkung erzielt


Vor einem Jahr trat der neue Bußgeldkatalog in Kraft. Seither sind bestimmte Verkehrsverstöße teurer. Aber ein Unfallforscher sagt: noch nicht teuer genug.
Wer in der Nacht mutterseelenallein auf Landstraße oder Autobahn unterwegs ist, mag sich nach dem Sinn von Geschwindigkeitsbegrenzungen fragen. Und nach dem Sinn von Bußgeldern, wenn auf dieser Fahrt ein Blitzer zuschlägt. In Ballungsräumen und bei normalem Verkehr sieht die Sache ganz anders aus, wie Siegfried Brockmann aus langjähriger Erfahrung als Wissenschaftler weiß. Brockmann leitet die Unfallforschung der Versicherer (UDV) und präsentiert eine Rechnung, die eindrucksvoll Sinn und Nutzen von Tempolimits und Strafgeldern belegt.
Brockmanns Rechnung geht so: Zwei Fahrzeuge nähern sich einem Kind, das die Straße überquert. Ein Wagen fährt 30 Stundenkilometer, der andere 50. Das erste Auto kommt vor dem Kind zu halten. Wie groß ist an dieser Stelle die Restgeschwindigkeit des anderen Wagens – 20, 25 oder womöglich 30 Stundenkilometer? Die Wahrheit ist, er hat noch gar nicht angefangen zu bremsen. Beim ersten Fahrer betragen Reaktionszeit und Bremsweg knapp 14 Meter. Der andere legt 17 Meter zurück, bevor er überhaupt reagiert. "In dem einen Fall hat der Unfall gar nicht stattgefunden. In dem anderen Fall ist das Kind tot", sagt Brockmann.
Raser und Falschparker: Höhere Bußgelder schrecken viele nicht ab
Seit gut einem Jahr ist der neue Bußgeldkatalog gültig. Zahlreiche Verschärfungen sollten vor allem die Sicherheit für Fußgängerinnen und Radfahrer erhöhen. Brockmann und sein Team nahmen in München und Hamburg mit eigenen Geschwindigkeitsmessungen den Autoverkehr unter die Lupe, werteten Zahlen und Befragungen aus. Ihre am Dienstag in Berlin vorgestellte Studie kommt zu dem wenig euphorischen Schluss, dass die Bußgelderhöhung nur einen "überschaubaren Erfolg" hatte. Denn zwei Drittel der Autofahrerinnen und Autofahrer lassen sich demnach "von einer bloßen Erhöhung des Bußgeldes nur begrenzt beeindrucken".
Dabei müssten die Stellschrauben lediglich ein wenig angezogen werden. Würde es beispielsweise bereits ab einer Geschwindigkeitsübertretung von elf statt bisher 21 Kilometern pro Stunde einen Punkt in Flensburg geben, hätte das der Studie zufolge "einen deutlichen Effekt auf das Verhalten und damit auf die Verkehrssicherheit". Auch der Kontrolldruck sorgt dafür, dass Fahrerinnen und Fahrer eher bereit sind, den Fuß vom Gas zu nehmen. Hamburg kaufte etwa 20 mobile Blitzer, die per Anhänger zu verschiedenen Stellen transportiert werden können. Das Geschwindigkeitsniveau sank in der Folge drastisch. "Die meisten Kraftfahrer haben im Kopf eine Rechnung aus Entdeckungswahrscheinlichkeit und Bußgeldhöhe", sagte Brockmann. Ist nur eines von beiden niedrig, steigt die Bereitschaft zu Geschwindigkeitsübertretungen.
Die letzte Änderung des Bußgeldkatalogs war ein ziemliches Gezerre. Der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) musste rechtliche Unsicherheiten korrigieren und sich viel Kritik gefallen lassen. Noch immer gibt es Unwuchten. Wer beispielsweise verbotenerweise mit einem E-Scooter auf dem Gehweg fährt, muss 15 Euro Bußgeld zahlen. Für Radfahrerinnen und Radfahrer werden in einem solchen Fall 55 Euro fällig.
Unfallforscher Brockmann fordert: Weg mit der Radarwarn-App
Brockmann regt mit Blick auf das Thema Geschwindigkeit eine wissenschaftlich abgesicherte Überarbeitung des Punktekatalogs an. Denn ein Eintrag in Flensburg sei "eine sehr wirksame Drohung". Die Bußgelder fallen dem Fachmann zufolge grundsätzliche ausreichend hoch aus, sollten aber der Inflationsrate entsprechend angehoben werden.
Schließlich ist da noch die Sache mit den Radarwarn-Apps. Brockmann kann sich darüber ziemlich ärgern, es geht ihm um die Warnung vor mobilen Blitzern. Rund 20 Prozent der Befragten gaben in seiner Studie an, ein Radarwarngerät oder eine entsprechende Software-Anwendung zu benutzen. Hinzu kommen die Warnungen im Radio sowie die Hinweise durch entgegenkommende Fahrzeuge, wie Brockmann beklagt. Der Verkehrssicherheit sei das nicht zuträglich. Denn wenn insgesamt ein Viertel aller Kraftfahrer die Standorte von Blitzanlagen kenne, könnten diese keine Wirkung entfalten, sagte der UDV-Chef und forderte ein Verbot solcher Apps.
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Beeindruckend.
Da stellt ein Experte fest, was Experten seit langem feststellen. Er ist "Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Dort hat er einen interdisziplinären und verkehrsträgerübergreifenden Ansatz für die Verkehrssicherheitsforschung etabliert." (Wikipedia) Er ist kein Anti-Auto-Aktivist.
Und dann gibt es viele Leserexperten, die der Meinung sind, es besser zu wissen. Ziemlich viel Meinung, für so wenig Ahnung.
Wenn man verschiedene Kommentare hier liest, so scheint einer nicht geringen Zahl von Kommentatoren (Fahrzeugführern?) es vollkommen egal, wo Blitzerkontrollen durchgeführt werden. Ich bevorzuge jedenfalls Gefährdungspunkte, Unfallschwerpunkte etc. wie eben Kindergärten, Schulen, Altenheime etc. und nicht die klassischen Punkte ohne Gefahrenbezug nur für städtische Kassen. Sinn und Zweck von solchen Kontrollen waren ursprünglich Geschwindigkeitskontrollen an bestimmten Schwerpunkten und nicht gewollte Geschwindigkeitsreduzierungen auf verkehrstechnisch vollkommen ausgebauten Straßen ohne jeglichen Gefahrenbezug.
Dann sollten Sie sich erst einmal mit den tatsächlichen Zahlen vertraut machen, Franz X. Hier wurde beispielsweise der Blitzer an der B300 angesprochen:
>>siehe der Blitzer, der an der Kreuzung B300/Kriegshaberstraße aufgestellt wurde, weil er am vorigen Standort nicht genug erwirtschaftet hat.<<
Erkundigen Sie sich einfach mal, wie oft es dort schon gekracht hat, dann wissen Sie auch den wirklichen Grund und nicht irgend eine Vermutung.
Geschwindigkeitsbegrenzungen dienen nicht nur der Sicherheit, sondern auch dem Lärmschutz. Es kann nicht dem Einzelnen überlassen werden, sich nach Gutdünken darüber hinwegzusetzen. Die Kontrolldichte und die Strafen müssen deutlich erhöht werden, damit das eine offensichtlich unbelehrbare Minderheit von selbstbezogenen Egoisten endlich auch kapiert.
Sagt man - das mit dem Lärmschutz. Ist wohl nur selten haltbar. Ob ich mit dem 2. Gang hochtourig in einer 30iger-Zonbe fahre oder mit dem 3. Gang niedertourig in einer 50iger Zone fahre ... . Je niedertouriger ich fahre, desto leiser ist der Autolärm.
Wolfgang B., da müssen Sie sich halt besser informieren:
"Das Rollgeräusch nimmt im allgemeinen mit der 3. bis 4. Potenz zur Geschwindigkeit zu, diese ist somit ein essentieller Faktor. Bei Personenwagen übertönen die Rollgeräusche die Motorengeräusche ab ca. 40 km/h, bei Lastwagen ab 60 km/h."
@ Wolfgang B.: Sagen Sie.
Erstens entsteht ein erheblicher Anteil des Kfz-Lärms durch das Abrollen der Reifen.
Zweitens: Um niedertourig mit 50 km/h zu fahren müssen sie an der Kreuzung erstmal beschleunigen und bei der nächsten wieder abbremsen.
Drittens haben Sie natürlich recht: Man kann sehr laut 30 km/h fahren, wenn man unbedingt laut sein will. Für diese Spezies Kfz-Führer hält der neue Bußgeldkatalog 80 € Strafe bereit. Ich bin der Auffassung auch hier könnte mehr Kontrolldruck helfen. Was meinen Sie?
@ VonWalter K
Wenn man sich das Verkehrsverhalten so mancher Verkehrsteilnehmer an Kreuzungen, Einmündungen etc. ansieht, so dürfte man zu einem anderen Ergebnis als überhöhte Geschwindigkeit kommen. Unfallursache ist hier hauptsächlich falsches vorsätzliches Verhalten der Verkehrsteilnehmer, wie z.B. Einfahrt in Kreuzungen bei Gelblicht, meist schon Rotlicht wenn keine Blitzanlage vorhanden, Abbiegen ohne Blinkernutzung (ja, auch dies kann zu einer Gefährdung und zum Unfall führen), Ignorierung von kreuzenden Fußgängern/Fahrradfahrern, usw. usw. Sicherlich sind auch schnellfahrende Kfz manchmal beteiligt, du die Geschwindigkeit ist meist einem anderen Grund als der Geschwindigkeit selbst geschuldet.
Na - da schlägt ja wieder was ganz schön Wellen. :)
Ob das Abrollgeräusch wirklich so hoch ist - wenn ich an stark einer befahrenen Straße stehe habe ichden Eindruck, daß ich die Motorgräusche stärker wahrnehme als das Abrollen der Reifen, aber vielleicht ist das auch eine audiometrische Täuschung. Möglich. Anmerkung zum Kotrolldruck erhöhen: ist nach meiner Einschätzung aus personellen Gründen einfach undurchführbar.
@Walter K: Genau das hat die Augsburger Allgemeine berichtet, als der Blitzer an diese Kreuzung gestellt wurde.
Führt doch einfach für alles die Todesstrafe ein. Dann sind seltsame "Experten" vielleicht zufrieden?
Fakt ist: Die Bussgelder sind lächerlich niedrig. Tatsächlich als Strafe wahrgenommene Fahrverbote werden viel zu spät erst fällig. Beispielsweise innerorts erst ab gewerteten 61 durch eine 30er-Zone. Abzüglich Tachovoreilung und Messtoleranz stehen da 70 auf dem Tacho, das fährt man nicht mal eben aus Versehen. Lerneffekte sind gleich null, die Radiowarnungen müssten ohnehin verboten werden.
Und dann hat man noch dieses lächerliche Gejammer von Leuten wie Franz X. die hinter all dem eh nur eine Abzocke des armen Autofahrers sehen. Da hab ich einen krassen Lifehack für Sie: Einfach max. so schnell fahren wie auf diesen runden Schildern mit rotem Rand geschrieben steht. Aber Regionalklasse 12 lässt grüßen. Nicht umsonst zahlen die Augsburger die höchsten Versicherungstarife deutschlandweit. Aber schuld sind ja immer die Auswärtigen an den vielen Unfällen, gell?
@ Cristina M., dann könnten Sie sich ja auch gleich noch zu Ihrem Lieblings-Italiener und wieder zurück fahren lassen.
Aber den brauchen Sie ja bei dem von Ihrem so bewunderten Klimawandel aber bald sowieso nicht mehr. Dann können
Sie ja die feinen südländischen Speisen alle selber machen. Dank der vielen guten Früchte des Klimawandels, gell.
"... sowie die Hinweise durch entgegenkommende Fahrzeuge, wie Brockmann beklagt..." Es erscheint schon bemerkenswert, welch ein Realitätsbezug hier besteht. Scheinbar soll alles und jedes hier mit Bußgeld belegt werden, auch in keiner Weise nicht rechtlich relevante Gesten, Hinweise etc. Um so mehr kann es nur verwundern, wenn man die Hauptstandorte von Blitzern, sei es stationär oder mobil, betrachtet. Keine bis sehr sehr wenige können zu jeglichen Zeiten vor Schulen, Krankenhäusern, Altenheimen etc. erblickt werden. Mehr "Einnahmen" lassen sich natürlich an den Stellen erwirken, an welchen aufgrund der innerörtlichen Gegebenheiten schneller gefahren werden kann und wird. Nur sieht man hier in den wenigsten Fällen Gefährdungspotential. Und letztlich "... Kraftfahrer die Standorte von Blitzanlagen kenne, könnten diese keine Wirkung entfalten ...", dieser Ansicht kann doch schon damit widersprochen werden, dass eben an solchen Stellen Fahrzeugführer bewusst langsamer fahren. Würden diese Stelle sich an Gefährdungspunkten wie z.B. Kindergarten, Schulen etc. befinden, hätten wir dort wesentlich weniger Problemfälle als derzeit. Aber natürlich ist dies den Einnahmen abträglich.
Es ist doch völlig egal, wo die "Blitzer" stehen. Die Autofahrer müssen lernen, dass sie sich überall an die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten haben. Dann geschehen weniger Unfälle und der Durchschnittsverbrauch nimmt ab. Um diese Ziele zu erreichen, kann es gar nicht genug Tempokontrollen geben.
Hoffentlich kommen die autonomen Fahrzeuge bald. Die könnte man so einstellen, dass sie die Höchstgeschwindigkeit einhalten. Und ich könnte mich in die Arbeit fahren und abends wieder abholen lassen, dann brauch ich keinen Parkplatz.
@Wolfgang L: Problem ist, dass nicht da kontrolliert wird, wo es sinnvoll ist, sondern da wo es sich lohnt, z.B. siehe der Blitzer, der an der Kreuzung B300/Kriegshaberstraße aufgestellt wurde, weil er am vorigen Standort nicht genug erwirtschaftet hat.
Wolfgang L.
Und diese Ziele und die Maßnahmen zum erreichen dieser Ziele haben Sie in welchem unbekannten Regierungspapier gelesen?
>>> Autofahrer müssen lernen, dass sie sich überall an die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten haben. Dann geschehen weniger Unfälle <<<
Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, sind die häufigste Ursache für Unfälle mit Personenschaden.
Gefolgt von Missachten der Vorfahrt und Abstandsfehler.
Christina M., dann fahren Sie aber die doppelte Strecke.
@ Michael K.: >> Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren <<
Stimmt. Das sind meine meisten Unfälle. Beim Rückwärtsfahren zu früh die Lenkung eingeschlagen und mit der Tür an einen Pfeiler im Parkhaus und mal an einen Baum. Und mal an einen Poller. Eigentlich waren es aber keine Unfälle, weil ich allein beteiligt war. Nur jedesmal 3.000 Euro teuer :(
Wieder der nächste "Experte" für den die Geschwindigkeit die alleinige Ursache allen Übels ist.
Es ist also Egal, wie alt meine Reifen sind, ob meine Lichter gehen, ob ich meine Bremsen ohne Ahnung mit Billigschrott aus dem Internet gerichtet habe, meine Stoßdämpfer o.ä. am Ende sind.
Sie vermischen hier Dinge, die nichts direkt miteinander zu tun haben, Andreas T. Denn es ist Fakt, dass sich sehr viele Verkehrsteilnehmer eben NICHT an die vorgeschriebene Geschwindigkeit halten. Ergo sind entsprechende Kontrollen auch keine Abzocke, dass sie nicht an Ihnen genehmen Orten stattfinden hat vielleicht auch mit den Erfahrungen der Verkehrsbehörden zu tun. Zudem braucht es für solche Kontrollen auch Personal und entsprechendes Gerät, würde vor jeder Schule ein Blitzer stehen, dann können Sie sich den Bedarf selbst errechnen.
Ihre Reifen werden durchaus auch mal von Streifen kontrolliert, spätestens beim nächsten TÜV-Termin müssen sie den Regeln entsprechen, genauso wie Ihre Bremsen. Und Ihre Lichter fallen bei Dunkelheit sofort auf, wenn sie nicht gehen. Dann können Sie drauf warten, bis Sie angehalten werden. Nur haben technische Veränderungen an Ihrem Fahrzeug eben andere Kontrollmechanismen als die Kontrolle der Geschwindigkeit. Da hat es jeder Autofahrer selbst in der Hand, ob er zur Kasse gebeten wird oder nicht.
@Walter K: Der TÜV prüft die Profiltiefe und ob die Reifen porös sind, aber nicht ob sie was taugen. Es gibt kein gesetzliches max. Alter für Reifen und bei keiner meiner Polizeikontrollen wurde bisher geprüft, ob meine Reifen in gutem Zustand sind. Ich will damit nicht sagen, dass die TÜV Prüfung öfter gemacht werden soll, aber bei Unfällen immer nur auf die Geschwindigkeit zu schauen, ist der gleiche Fehler, Schülern mit schlechten Noten Faulheit zu unterstellen.
Die Geschwindigkeit ist einer von vielen Einflussfaktoren, aber der Einzige über den ständig gesprochen wird.
Und wo habe ich von Abzocke gesprochen? Das Kontrollen durchgeführt werden ist ja richtig, aber wenn ich in der Zeitung lese, dass stationäre Blitzer versetzt werden, weil sie an ihrem alten Standort nicht genug erwirtschaftet haben und die Städte und Kommunen das Geld der Bußgelder im Vorfeld schon im Haushalt einplanen, dann ist das meiner Meinung nach nicht sinn der Sache.