Britische Premierminister inszenieren sich seit Jahrzehnten bewusst in der Nähe ihrer Streitkräfte – sei es auf Panzern, in Militärstützpunkten oder direkt an der Front. Die Bilder sind stets ähnlich und auch die Botschaft bleibt unverändert: Großbritannien steht hinter seinen Truppen. Der Labour-Premier Keir Starmer setzte diese Tradition am Donnerstag fort, als er symbolisch an der Kiellegung eines neuen Atom-U-Bootes der Royal Navy im Nordwesten Englands teilnahm. Es wird als Teil der Nato-Strategie zur nuklearen Abschreckung dienen. Es war nicht sein einziger Termin mit Symbolkraft: Anschließend reiste er zu einem Gipfel hochrangiger europäischer Militärs in London, um zu besprechen, wie die Ukraine nach einem möglichen Friedensabkommen geschützt werden kann.
Denn seit US-Präsident Donald Trump die Militärhilfe für das kriegsgebeutelte Land infrage stellt und auf einen schwierig zu wahrenden Waffenstillstand zwischen Moskau und Kiew drängt, treiben insbesondere Großbritannien und Frankreich Europas Verteidigungsfähigkeit voran. Sie stellten in Aussicht, im Fall eines Waffenstillstands eigene Truppen in die Ukraine zu entsenden, verlangen jedoch die Rückendeckung der USA. Und: Sie rufen zur Bildung einer „Koalition der Willigen“ auf, um den Frieden in dem Land zu sichern. Nach einer Videokonferenz am Samstag, an der unter anderem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz sowie Nato- und EU-Offizielle teilgenommen hatten, trafen sich am Donnerstagnachmittag Militär-Vertreter aus mehr als 30 europäischen und anderen verbündeten Staaten bei einem Gipfel in London, um in die „operative“ Phase der Gespräche einzutreten, wie es hieß.
Man müsse von „politischen Konzepten“ zu „militärischen Plänen“ übergehen, die „den Himmel, die Meere und die Grenzen der Ukraine sicher und geschützt zu halten“, sagte Starmer im Vorfeld des Treffens. Während sich Großbritannien und Frankreich in der Vergangenheit auf den Einsatz von Bodentruppen konzentriert hatten, betonte der britische Premier am Donnerstagabend die Rolle der See- und Luftstreitkräfte zur Friedenssicherung und sagte, dass es verschiedene Wege zu einem dauerhaften Waffenstillstand geben könne. Dabei müsse die Unterstützung der Ukraine bei der Selbstverteidigung Priorität haben: „Sie haben die Fähigkeiten, sie haben die Truppenstärke und sie haben Erfahrung an der Front“, sagte er.
Putin stellt weitreichende Forderungen
Das Treffen fand unter denkbar schwierigen Voraussetzungen statt. Denn die Verhandlungen über einen Waffenstillstand mit Russlands Präsident Wladimir Putin sind zäh und von weitreichenden geopolitischen Interessen geprägt: Moskau fordert derzeit einen Stopp westlicher Waffenlieferungen als Vorbedingung und lehnt ausländische Truppen in der Ukraine kategorisch ab. Marion Messmer von der Denkfabrik Chatham House glaubt deshalb, dass „Pläne für viele verschiedene Szenarien nötig“ seien. Die Militärs müssten sich sowohl auf die Möglichkeit eines Friedensabkommens mit einer anschließenden Friedenstruppe vorbereiten als auch darauf, dass Putin einen Waffenstillstand oder ein Friedensabkommen nicht akzeptiert oder sofort bricht. Laut dem britischen Nato-Experten Jamie Shea müsse überdies entschieden werden, welche Unterstützung Länder wie Spanien, Italien oder Polen zur Verfügung stellen, die eine Truppenentsendung ausgeschlossen haben. Auch, welchen Beitrag Deutschland leisten könnte, ist bislang unklar.
Ein Problem sei, dass viele Länder erst ein Friedensabkommen und dessen Ausgestaltung sehen wollen, bevor sie sich engagieren, sagt Shea. „Jetzt aber ist die Zeit für verbindliche Zusagen”, erklärt er. Ihm zufolge müssten die Militärchefs eine „sofort einsatzbereite Truppe zur Überwachung eines umfassenden Waffenstillstands aufstellen, falls es den USA gelingen sollte, Moskau zu einem solchen zu bewegen“.
Auch in der EU rumort es
Unterdessen trafen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU. Seit der Abkehr Trumps von der bestehenden Weltordnung scheint es zur Gewohnheit zu werden, dass sie sich in immer kürzeren Abständen versammeln und nach Antworten suchen, wie sie ihre eigene Sicherheit garantieren könnten. Während zumindest rhetorisch Konsens darüber herrscht, dass die EU aufrüsten muss, gibt es Streit darüber, wer das alles wie bezahlen soll. Vor allem Ungarn gilt weiterhin als Außenseiter und Quertreiber.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas rief dazu auf, fünf Milliarden Euro für Munitionslieferungen an die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Es brauche „nicht nur Worte, sondern auch Taten“, um im Abwehrkampf gegen Russland zu helfen. Wenn die Ukraine „stärker auf dem Schlachtfeld ist, ist sie auch stärker am Verhandlungstisch“. Die Estin hatte Anfang der Woche noch bis zu 40 Milliarden Euro gefordert, musste aber zurückrudern, weil sich im Kreis der Mitgliedstaaten Widerstand formiert hatte. Während sich nord- und osteuropäische sowie die baltischen Staaten, die Russland und die Ukraine in der direkten Nachbarschaft haben, bereit zeigen, mehr Geld für Europas Verteidigung zu investieren, sind jene geografisch von der Front weiter weg liegenden Länder wie Italien, Spanien oder Portugal auch hier zurückhaltender. Sie leisten in Bezug auf ihre Wirtschaftskraft nicht nur deutlich weniger als etwa Deutschland. Sie sind auch hoch verschuldet. Auch deshalb will die EU-Kommission ein neues 150 Milliarden Euro schweres Finanzinstrument schaffen, das EU-Darlehen an die Hauptstädte weiterleiten würde. Doch Frankreich und Co. lehnen neue nationale Schulden für die Verteidigung ab und wünschen sich vielmehr gemeinsame Schulden oder Zuschüsse, die sie nicht zurückbezahlen müssen. Die Sparsamen im Kreis der Europäer, angeführt von Deutschland und den Niederlanden, wüten traditionell gegen gemeinsame Darlehen.
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