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Was steckt hinter dem Streit um den Mindestlohn?

Regierung

Wird der Mindestlohn zur Sprengfalle für die Koalition?

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    Schon auf Bundesparteitagen und im Wahlkampf weckte die SPD hohe Erwartungen auf eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro.
    Schon auf Bundesparteitagen und im Wahlkampf weckte die SPD hohe Erwartungen auf eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Wenn es nach SPD-Fraktionschef Matthias Miersch geht, ist die Sache klar. „Ich bin überzeugt: Der Mindestlohn wird auf 15 Euro steigen“, betont der Sozialdemokrat seit Tagen. Er gehe davon aus, dass die hauptsächlich von Arbeitgebern und Gewerkschaften besetzte Mindestlohnkommission dies im Juni bereits für 2026 beschließen werde. „Aber wir haben auch in anderen Fällen schon bewiesen, dass wir, wenn diese Kommission beispielsweise nicht dementsprechend handelt, dann gesetzgeberisch tätig werden können“, fügte er hinzu. Es ist eine Drohung, den Mindestlohn von der Politik festzulegen, ähnlich wie dies die Ampel gemacht hatte.

    Mindestlohn könnte auf 2700 Euro im Monat steigen

    Damals beschloss das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP den Mindestlohn um knapp 15 Prozent auf zwölf Euro anzuheben: Derzeit beträgt er 12,82 Euro. Würde sich die SPD durchsetzen, stiege ein Vollzeitlohn von rund 2300 auf 2700 Euro brutto - der zweithöchste Wert in der EU. Die SPD setzte im Koalitionsvertrag durch, dass die Mindestlohnkommission nicht nur wie bisher die Lohnentwicklung berücksichtigen solle, sondern neu auch ein Ziel von 60 Prozent des mittleren Einkommens.

    Doch ganz so leicht könnte der SPD-Plan nicht aufgehen. Das machte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Steffen Kampeter als maßgebliches Mitglied der Kommission in der Frankfurter Allgemeinen deutlich: „Angesichts der wirtschaftlichen Daten fehlt mir aber die Fantasie, wie man einen übermäßigen Anstieg des Mindestlohns um 17 Prozent auf 15 Euro rechtfertigen könnte“, betonte Kampeter und sprach von einem „ökonomischen Himmelfahrtskommando“.

    CDA-Chef Dennis Radtke gegen neuen Gesetzeseingriff beim Mindestlohn

    Und bei der Union formiert sich nicht nur beim Wirtschaftsflügel Widerstand gegen die SPD-Forderung, notfalls das Votum der Mindestlohnkommission im Bundestag auszuhebeln. Auch der CDU-Arbeitnehmerflügel hält nichts davon: „Die Freude der SPD an politischen Eingriffen ist mir ein Rätsel“ sagt CDA-Chef Dennis Radtke. „Ich würde mir wünschen,wenn die SPD nur mit der halben Leidenschaft dafür kämpfen würde, dass es für kleine und mittlere Einkommen zu strukturellen Entlastungen kommt, die im Geldbeutel spürbar sind. Mehr netto statt Symbolpolitik ist das, was es jetzt braucht.“

    Radtke hält die Einigung im Koalitionsvertrag für ausreichend. „Die neue Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission wird einen wichtigen Beitrag leisten, dass der Mindestlohn zumindest nahe an die 15 Euro kommt“, sagt er. „Die Kommission hat aus meiner Sicht einen Vertrauensvorschuss verdient.“ Die neue Orientierung am sogenannten Medianlohn, sei „ein Meilenstein, den wir als CDA lange gefordert haben“. Der Medianlohn teilt die Lohnverteilung in zwei gleich große Hälften und liegt so mathematisch niedriger als der Durchschnitt. 2014 lag der Medianlohn bei 4300 Euro und der Durchschnittslohn bei 5190 Euro brutto im Monat – alle Sonderzahlungen eingerechnet.

    Um was es beim Streit um die Mindestlohnkommission geht

    Bei dem Streit um die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission geht es aber nicht nur ums Geld, sondern auch um Grundfesten der Sozialen Marktwirtschaft. „Die Tarifautonomie ist kein Selbstzweck für Arbeitgeber und Gewerkschaften, sondern sie wurde ausdrücklich ins Grundgesetz geschrieben, um aus den schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik zu lernen, als der Staat politisch Löhne festgesetzt hatte“, sagt der Tarifforscher Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der Wirtschaft in Köln. „Jetzt droht der Mindestlohn für viele Millionen Beschäftigte zum populistischen Spielball in jedem Bundestagswahlkampf zu werden, das ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich eine ausgesprochen bedenkliche Entwicklung“, warnt der IW-Forscher.

    „Die große Gefahr ist, dass in den unteren Bereichen, etwa bei den angelernten Kräften, gar nicht mehr verhandelt wird“, sagt Lesch. In manchen Branchen stünde in den Tarifverträgen schon jetzt nur noch der Mindestlohn plus X Cent. „Wenn dann noch der Staat per Gesetz und nicht die Mindestlohnkommission eine Rolle übernimmt, die eigentlich den Tarifparteien zukommt, bekommt das Land politische Löhne“, kritisiert der IW-Forscher. Dann würden sich auch Beschäftigte fragen, warum sie noch Mitglied einer Gewerkschaft werden sollten.

    Droht ein Kipp-Punkt bei 15 Euro Mindestlohn?

    Laut Lesch führt der Mindestlohn zu Stauchungen in Tarifverträgen - ein Zusammenrücken von Löhnen im unteren Bereich. „Wenn die Abstände zwischen den unteren Lohngruppen und dem Mindestlohn zu gering sind, fehlt vielen Beschäftigten der Anreiz, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. In der Systemgastronomie bei den Schnellrestaurantketten ist es schon heute schwierig geworden, Beschäftigte zu finden, die bereit sind, für ein paar Euro über Mindestlohn eine Filiale zu leiten.“ Zudem bestehe das Risiko eines Kipp-Punkts, ab dem im großen Stil Jobs verloren gehen, weil sich viele Betriebe den Mindestlohn nicht leisten könnten – oder weil sie wie in der Gastronomie kaum noch Mitarbeiter fänden, da viele in angenehmere Jobs abwandern.

    Der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung IMK, Sebastian Dullien, hält nichts von solchen Befürchtungen. Studien zur Erhöhung auf zwölf Euro, hätten keine relevanten Beschäftigungseffekte festgestellt. „Die Sorgen vor einem spürbaren Beschäftigungsverlust durch die anstehende Erhöhung sind deshalb übertrieben“, sagt Dullien. „Es ist richtig, wenn die Kommission den Mindestlohn in Richtung 15 Euro anpasst“, betont der Ökonom. Die Erhöhung auf zwölf Euro habe durch die unerwartet hohe Inflation wenig bewirkt. „Eine Anpassung in Richtung 15 Euro würde jetzt in etwa das damals beabsichtigte Kaufkraftniveau wiederherstellen.“. Allerdings sei dadurch kein großer Nachfrageschub für die deutsche Konjunktur zu erwarten, räumt der Ökonom der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ein. „Die Lohnsumme der Mindestlohn-Empfangenden ist gesamtwirtschaftlich nicht so bedeutend, dass wir hiervon einen spürbaren Konsumschub erwarten würden.“

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    1 Kommentar
    Wolfgang Boeldt

    Hier bin ich mal auf der Seite der SPD. Die 15€ kämen in die Nähe von 50% des mittleren Einkommens in Deutschland (2024: 52.159€). Die Argumewntatioin von Herrn Kampeter ist zewar formal richtig - 15€ entsprächen einem Anstieg von 17% - aber man muß auch sehen, daß diese 17% von einer sehr geringen Basis ausgehen und absoluit etwas mehr als 2€ betragen würden.

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