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Interview: „Zahnerhalt ist das höchste Ziel“

Interview

„Zahnerhalt ist das höchste Ziel“

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    Dr. Bijan Vahedi, 49, ist Vorstandsmitglied der DGET (Deutsche. Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie) und niedergelassener Zahnarzt in Augsburg.
    Dr. Bijan Vahedi, 49, ist Vorstandsmitglied der DGET (Deutsche. Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie) und niedergelassener Zahnarzt in Augsburg. Foto: Vahedi

    Herr Dr. Vahedi, Sie sind Zahnarzt aus Augsburg und führen eine endodontische Fachpraxis, die sich im Schwerpunkt auch mit Zahnunfällen befasst. Was ist das eigentlich genau? Was gehört alles dazu?
    BIJAN VAHEDI: Zunächst einmal kann man sich fragen: Wie entsteht ein Unfall? Häufig betroffen sind natürlich Kinder und auch Teenager, weil diese noch einen anderen Bewegungsdrang haben als Erwachsene. Aber auch bei Erwachsenen liegen gewisse Häufungen vor. Ein großes Feld ist hier der Sport. Kampfsportarten sind zu nennen, aber auch Fußball, wenn etwa zwei Spieler beim Kopfballduell zusammenprallen. Steigende Zahlen verzeichnen wir auch bei Stürzen mit dem Tretroller, wenn Leute mit dem Gesicht auf den Lenker fallen. Ein Klassiker für uns ist überdies der Unfall auf dem Trampolin, wenn man sich das eigene Knie in den Mund rammt. Nicht zuletzt kommen natürlich auch Verkehrsunfälle und Gewalt als Zahnunfallursachen infrage.

    Was genau kann aus Sicht eines Zahnarztes verunfallen?
    VAHEDI: Das fängt an beim teilweise abgeschlagenen sichtbaren Anteil des Zahnes, aber nicht nur das. Der Zahn kann teilweise ausgeschlagen und locker sein, aber immer noch Verbindung über die Wurzel zum Kiefer haben. Manchmal passiert es natürlich auch, dass der Zahn in den Knochen hineingedrückt wurde. Der Kieferknochen selbst kann brechen. Dann haben wir noch das große Feld der Weichteilverletzungen. Die Zähne haben die Lippen verletzt oder gar die Zunge durchgebissen. Oft liegen natürlich Kombinationen vor.

    Worauf muss ich achten, wenn ich als Betroffener einen Zahnunfall erleide oder jemandem helfen will?
    VAHEDI: Zuallererst, auch wenn es banal klingt: Versuchen, nicht in Panik zu geraten. Das ist oft schwieriger als man denkt, gerade, wenn Kinder betroffen sind. Es ist selbst für den Zahnarzt wichtig, hier Ruhe zu bewahren. Ganz wichtig ist aber eine grundlegende Information, die vielen nicht bekannt ist. Ein Zahn ist über bestimmte Fasern und Zellen mit dem Körper verbunden. Wenn diese austrocknen, dann gehen sie zugrunde. Versucht man dann, den Zahn wieder in den Kiefer einzusetzen, dann erkennt der Körper den Zahn nicht mehr als seinen eigenen und versucht, ihn abzustoßen.

    Das heißt also?
    VAHEDI: Wenn man zu einem Zahnunfall kommt oder ihn selbst erleidet, sollte man alle ausgeschlagenen Zahnteile sichten und einsammeln. Man kann sie abspülen, wenn sie im Dreck lagen, aber man sollte sie nicht putzen. Dann ist es wesentlich, die Zähne richtig zu lagern, bitte nicht in einem Taschentuch. In Apotheken gibt es Zahnrettungsboxen, die eine Nährflüssigkeit enthalten, in dem die besagten Zellen überleben können. Und dann so schnell wie möglich zu einem Zahnarzt!

    Aber was mache ich, wenn ich keine Zahnrettungsbox habe?
    VAHEDI: Die Zahnteile sollten dann möglichst feucht gelagert werden, etwa in kalter H-Milch oder Wasser. Zur Not auch im Mund! Alles ist besser als eine trockene Umgebung. Nach einem Unfall muss es schnell gehen, eine Versorgung sollte innerhalb von 60 Minuten beginnen, sonst wird es schwierig. Manche trauen sich auch, den Zahn zurück in das Loch zu stecken, das entstanden ist. Das wäre eine gute Idee.

    Was ist bei Kindern zu beachten?
    VAHEDI: Ein verlorener Zahn beim Heranwachsenden ist aus zahnmedizinischer Sicht eine Katastrophe, denn er kann nicht ersetzt werden. Ein Implantat wächst nicht mit und kann erst im Erwachsenenalter als Ersatz dienen. Darum ist der Zahnerhalt das oberste Ziel. Ein ausgeschlagener Zahn sollte unter allen Umständen wieder eingesetzt werden. Gelingt das nicht, entstehen zahlreiche Folgebehandlungen. Das Ganze kann im Laufe des Lebens insgesamt 25.000 bis 30.000 Euro kosten.

    Können Sie uns anschauliche Beispiele aus Ihrer Praxis nennen?
    VAHEDI: Ich erinnere mich an ein neunjähriges Mädchen, das beim Spielen mit der Schwester gegen den Schreibtisch geprallt ist. Die Schneidezähne waren dann nach hinten verschoben. Was gut war: Es gab Smartphone-Fotos von dem Mädchen, die gezeigt haben, wie die Zähne vor dem Unfall standen. Das war für mich wichtig, denn ich musste die Zähne ja wieder – unter leichter Betäubung – in die alte Position schieben. Da war es gut für mich zu wissen, wie es vorher war. Ich konnte die Zähne dann schienen – und es war abgesehen von regelmäßigen Kontrollen keine weitere Behandlung mehr nötig. Die Zähne konnten komplett erhalten werden. In einem anderen ähnlich gelagerten Fall waren bei einem Mädchen ebenfalls die Zähne nach hinten verschoben. Das die Zähne umgebende Gewebe war stark angegriffen. Ich musste eine Wurzelkanalbehandlung durchführen, bei der die Pulpa, so heißt das körpereigene Gewebe im Wurzelkanal, ersetzt werden musste durch eine stabilisierende Füllmasse. Denn die Pulpa war nicht mehr vital. Wenn man diese dann nicht ersetzt, können sich Entzündungen bilden, die bis zur Auflösung des Zahnes führen können.

    Haben Sie noch ein Beispiel?
    VAHEDI: Die Krone eines Zahnes bei einem elfjährigen Jungen war ausgeschlagen, ein Fußballunfall. Wir konnten die Krone rechtzeitig wieder ankleben und die Vitalität des ganzen Zahnes erhalten. Das Zahnwachstum konnte so weitergehen, trotz des Unfalls. Das ist natürlich ein gutes Ergebnis.

    Wie kann ich mich noch weitergehend informieren?
    VAHEDI: Wir von der DGET (Deutsche Gesellschaft von Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie) haben speziell hierfür die Präventions-Website www.rette-deinen-zahn.de ins Leben gerufen. Zum einen möchten wir über das unterschätzte Thema Zahnunfälle aufklären und auch klare Handlungsempfehlungen für den Fall der Fälle geben. Eine kürzlich von uns durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass 65 Prozent der Bevölkerung nicht wissen, was am Unfallort bei einem abgebrochenen Zahn zu tun ist.


    ZUR PERSON: Dr. Bijan Vahedi, 49, ist Vorstandsmitglied der DGET (Deutsche Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie) und niedergelassener Zahnarzt in Augsburg

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