
Die Sargmacher aus Ghana fertigen verrückte Kreationen

Zum reichen kulturellen Schatz zählt die Bestattungstradition des Volkes der Ga-Adangbe. Für das ideale Leben nach dem Tod werden Särge bunt gestaltet.
Das Städtchen Gomoa Mpota döst in der Mittagshitze. Der Transitverkehr scheint es in seiner Ruhe nicht zu stören. Die Küstenstraße N1 ist Ghanas meistbefahrene Überlandstraße. Als Teil des Dakar-Lagos-Highways verbindet sie das Land im Westen Afrikas mit seinen Nachbarn Togo und der Elfenbeinküste.
Ziegen schauen aufmerksam auf die vorbeisausenden Mopeds, klapprigen wie nagelneuen Autos und Lastkraftwagen mit Bananenstauden. Ein paar Früchte kleben breitgerollt auf dem Asphalt. Als die Fahrbahn einen Augenblick lang frei ist, holen sich die Tiere endlich ihren süßen Snack und reinigen damit zugleich die Straße. Und dann rollt schon wieder die nächste Blechlawine an.

In der Tischlerei von Serious und Florence Hanson hört man keinen anderen Motorenlärm als den vom Highway. Durch die Werkstatt schallt der gleichmäßige Scheuerton von Sandpapier auf Holz. Mal wird gesägt, mal wird gehobelt. Hin und wieder klopft und klappert es. Jedes Geräusch entsteht durch manuelle Arbeit. Beim Volk der Ga-Adangbe, zu dem die Eheleute Hanson zählen, pflegt man das Handwerk noch im wahren Wortsinn.
Bestattungen in Ghana: Landwirte schätzen Särge in Form von Früchten
Gomoa Mpota in der Zentralregion, zehn Kilometer vom nächsten Strand und 60 von der Hauptstadt entfernt, hat einen Markt und wenige Geschäfte. Kein Ziel für klassische Shoppingtouren. Wer aber ausgefallene Ideen für ein Begräbnis sucht, findet sie hier garantiert. Denn in puncto „Hülle für die letzte Reise“ erfüllt Serious Wood Works Fantasy Coffins auch die schrägsten Wünsche. Fast alle Auftragswerke sind so bunt und fröhlich, dass man sie auf den ersten Blick für Kinderspielzeug halten könnte.
„Die meisten unserer Kunden wollen sich in einem Sarg bestatten lassen, der zum Beruf oder Charakter passt“, erläutert Firmenchef Serious Hanson. Denn im Glauben seines Volkes ist der Tod nur Anfang einer neuen Daseinsweise. Von einem Sarg, der auf den Toten zugeschnitten ist, erhofft man sich für ihn ein ideales Leben nach dem Tod. Serious Hanson zeigt auf die Kreationen in seiner Werkstatt. Die beiden Fische und das Boot dort drüben baute er für Fischer, das Buch für einen Lehrer. In dem Schraubenschlüssel soll einmal der Leichnam eines Autoschlossers ruhen.
Sehr populär bei Leuten aus der Landwirtschaft seien Särge in der Form von Früchten. Beispiele dafür zeigt Serious auf Fotos: Gurken, Kürbisse und Chilischoten. Und was hat es mit der grünen Riesenflasche auf sich? In großen Lettern liest man darauf: „Aromatic Schnaps“. Tatsächlich war auch sie ein Sarg – „für einen Alkoholiker“, wie Serious verrät.

„Wichtig ist, dass sich die Toten wohlfühlen“, sagt Florence Hanson, seine Frau und Partnerin, und verweist darauf, dass die Verstorbenen vom Jenseits aus enormen Einfluss haben auf das Leben ihrer Hinterbliebenen. In der Hoffnung auf Belohnung gebe man sich sehr viel Mühe, seine Ahnengeister zu befriedigen. Die Mehrzahl der nicht billigen Bestellungen komme deshalb von den Angehörigen, so Florence.
Tradition bemalter Totenschreine in Ghana ist noch recht jung
Die Tradition der vielgestaltigen und farbenfroh bemalten Totenschreine ist noch keine 100 Jahre alt. Kulturell verwurzelt ist sie in Religion und Brauchtum der Ga-Adangbe. Die aufwendig verzierten Sänften, in denen sie einst bei rituellen Festen ihre Stammesoberhäupter trugen, lieferten Kunsthandwerkern wie Ataa Oko Addo (1919 – 2012), Ataa Owuo (1904 – 1976) und Seth Kane Kwei (1925 – 1992) die Vorlage für die Figurensärge, die seit den 1940er-Jahren entstanden.
Der vermutlich allererste war ein Krokodil – das Familien-Totem einer Häuptlingsfrau, die darin ihren Weg ins jenseitige Leben finden sollte. Ebenso wie bei den Sänften blieben die meisten Tiermotive aus spirituellen Gründen auch für Särge Privileg der Clanchefs. Für gewöhnliche Sterbliche tabu sind deshalb etwa Elefanten, Löwen, Hähne oder Krabben. Auch Standes- oder Machtsymbole wie Thron, Stuhl oder Schwert sind nur den Obersten erlaubt.
Bestattungen in Ghana: Geselle präsentiert Sarg in Form von Gotteshaus
Ein junger Mann mit Sägespänen in den kurzen schwarzen Haaren lüftet den Deckel eines unfertigen Sarges. Oder sollte man besser sagen: Er hebt das Dach von einer Kirche? Geselle Kwaku („Mittwoch“) präsentiert sein aktuelles Glanzstück, einen Sarg in Form von einem Gotteshaus. Mit seinem hohen Spitzdach und zwei Türmen wirkt es gerade groß genug, um einen Menschen in sich aufnehmen zu können.
Wer diese Ehre haben wird, weiß Kwaku schon: „Ein Priester.“ Bis auf Weiteres sei der jedoch noch ganz lebendig und walte in der echten Kirche täglich seines Amtes. Doch sobald dem frommen Mann das Stündlein schlägt, steht sein Refugium fürs Totenreich bereit. Den Auftrag dazu hat er selbst erteilt – so wie viele Kunden hier. „Manchmal kommen sie vorbei, um sich an den Särgen zu erfreuen“, so der Geselle. Auch gibt es welche, die sie mit nach Hause nehmen.
Durchschnittliches Bruttoeinkommen in Ghana beträgt 185 Euro
Geliefert und bezahlt wird in der Regel jedoch erst kurz vor der Trauerfeier. Serious zeigt auf rund ein Dutzend angestaubter Auftragswerke in den Werkstattecken, darunter – jeweils menschenkörpergroß – ein Telefon, ein Geldscheinbündel, eine Trommel. „In diesem Pickup beispielsweise möchte ein Berufskraftfahrer ruhen. Der Mann ist quicklebendig. Sein Sarg steht schon seit 15 Jahren hier.“
Wie für die meisten seiner Särge wird der Tischler eines Tages etwa 300 Euro (185 Euro beträgt das durchschnittliche monatliche Bruttoeinkommen in Ghana) dafür bekommen. Jeder kostet ihn im Durchschnitt einen Monat Arbeitszeit. Als Material nutzt Serious das weiche Holz des einheimischen Wawa-Baums (deutscher Handelsname: Abachi), nur für Sammlerstücke haltbareres Mahagoni.
Aus solchem hat er auch den fünfköpfigen Dämon hergestellt. Der wohl ungewöhnlichste Figurensarg in seiner Werkstatt ist der einzige, für den er keinen Auftrag hatte. Obwohl man meint, gewisse Ähnlichkeiten mit den Thronen alter Ghana-Herrscher zu erkennen, ist die hohle Bestie ein reines Fantasieprodukt. „Die Werbung eines Yoga-Studios hat mich dazu inspiriert“, vertraut der Kunsthandwerker dem Besucher an. Ob er selbst einmal in diesem Sarg beerdigt werden wolle? „Nein“, entgegnet Serious bestimmt, „in einem Hobel.“ Als Tischler eben, ganz konservativ.
Die Recherche fand auf Einladung von Akwaba Travel statt.
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