Es ist eine elegante Choreografie, nach der sich die Crew der Ocean Freedom auf dem Katamaran bewegt. Während man selbst nach der Ausfahrt aus dem Hafen von Cairns schnell einen der Sitzplätze aufsucht, balancieren Skipper Mike und seine Crew in ihren blauen Poloshirts und Shorts barfuß und sehr gewandt entlang der Reling von einem zum anderen Ende des Bootes, schwingen um Stangen herum und geleiten den ein oder anderen schwankenden Fahrgast zu der schmalen Treppe, die vom Ober- zum etwas ruhigeren Unterdeck führt.
„Bumpy“ – holprig - beschreibt Mike die Fahrt und grinst breit über sein wettergeegerbtes Gesicht, das davon erzählt, dass „bumpy“ möglicherweise noch ein eher harmloser Zustand ist im Vergleich dazu, wie er den Ozean schon erlebt hat. Der 50-Jährige mit dem markanten Kinn kam vor 30 Jahren aus seiner Heimat Großbritannien um sich ein wenig umzusehen auf dem fünften Kontinent – und blieb, wie so viele, die man in Australien trifft. Am Great Barrier Reef lebt und arbeitet er nun seit 18 Jahren, aber „immer entdeckt man etwas anderes, wenn man hier unterwegs ist“, sagt er, zwickt die Augen vor dem grellen Sonnenlicht zusammen und blickt übers Meer.
So lang wie Italien: Das Great Barrier Reef erstreckt sich über 2300 Kilometer
Das Great Barrier Reef ist das größte von lebenden Organismen geschaffene System auf der Erde. Sogar aus dem Weltraum ist dieses 1981 zum Weltnaturerbe erklärte Korallenriff zu entdecken. 2300 Kilometer lang, also etwa so lang wie Italien, mit einem Ausmaß von 350.000 Quadratkilometern, was ungefähr der Fläche Deutschlands entspricht, zieht sich dieses vor der Küste Queenslands im Nordosten Australiens entlang - mit nahezu 3000 Einzelriffen, unzähligen Inseln und Sandbänken. Hunderte verschiedene Korallenarten finden sich hier, unzählige weitere Lebewesen bevölkern es: farbenprächtige Fische, Seegurken, Seeanemonen, auch Schildkröten, Delfine, Wale und Haie. Unter der Meeresoberfläche wimmelt es nur so von buntem Leben.

Bei diesem windigen Wetter allerdings ist das Wasser eher trüb, trotzdem zwängen sich die meisten der Touristen auf der Ocean Freedom in die Ganzkörperanzüge, um zu schnorcheln. Die „stinger suits“ schützen vor Sonnenbrand am Rücken, vor allem aber vor der Würfelqualle, die sich zwischen Oktober und Mai hier ebenfalls im Wasser herumtreibt. Hat sie einen einmal in ihren drei Meter langen, feinen Fängen und verteilt ihr Gift auf der Haut, gibt es keine Rettung mehr. Es ist ein schneller, aber qualvoller Tod, kann man nachlesen.
Also nicht lange herumzicken und überlegen, wie vorteilhaft man darin aussieht oder gar, welcher sonnenölverschmierte Körper schon vorher in diesem Anzug gesteckt hat. Derweil hat die Crew schon einmal orangefarbene Rettungsringe und ein langes, mit dem Boot verbundenes Tau ins Wasser geworfen. Daran entlang hangeln sich die ersten vom Boot weg aufs Meer hinaus, wagen den Blick durch ihre Taucherbrillen nach unten – und sind erst einmal enttäuscht.

„Alle kommen hierher und wollen Nemo sehen“, erzählt Mike lachend, jenen berühmten Clownfisch also, orange mit breiten weißen Streifen, bekannt aus dem Zeichentrickfilm „Findet Nemo“. Aber wirklich, es ist trüb heute, doch es ist wie mit dem Sternenhimmel - je länger man hinsieht, desto mehr kann man erkennen, auch im aufgewühlten Pazifik: Korallenformationen in braun-beige, die sich über Meter hinweg auf dem Meeresboden erstrecken, mal wie einzelne Sterne, mal wie dicke Schwämme. Dazu Gebilde, die sich in der Strömung ganz zart bewegen wie Getreideähren im Wind.
Dazwischen Schwärme von kleinen Fischen, dort eine Seegurke und auf einmal zischt seitlich auf einmal ein blau schimmerndes Etwas an einem vorbei. Wenn schon nicht Nemo, dann vielleicht Dori, die blaue Paillettenfisch-Freundin des Clownfisches? So schnell kann man den Kopf gar nicht drehen, noch dazu, wenn man immer darum bemüht ist, den Schnorchel gut über Wasser zu halten, um nichts davon zu schlucken.
Folgen der Klimakrise: Den Algen ist es im Pazifik mittlerweile zu warm
Ursprünglich sind Korallen weiß – ein Kalkskelett mit einer transparenten Hülle drumherum. Ihre braune Farbe erhalten sie durch die Algen, mit denen sie in Symbiose leben, wird einem einige Tage später Britta Schaffelke vom Australian Institute of Marine Science (AIMS) in Townsville erklären. Auch sie ist eine der Vielen, die in Australien geblieben sind. Das warme Wasser trieb die Hamburgerin, die für ihre Doktorarbeit in die Nordsee vor Helgoland abtauchen musste, vor 30 Jahren in die wärmeren Gefilde. Hier forscht sie nun am AIMS über diese Algen, die durch ihre Photosynthese den Korallen Nahrung und Energie geben.
Bittere Ironie dabei: Den Algen wird es – vor allem dem Klimawandel geschuldet – mittlerweile zu warm im Pazifik. Die dramatische Folge: die Korallenbleiche, die in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen wie „Das Great Barrier Reef stirbt“ sorgte. „Das Riff ist nicht gesund, das stimmt, aber es nicht tot“, sagt Schaffelke und erklärt: „Die Algen ziehen sich aufgrund der Wärme aus den Korallen zurück – übrig bleibt das weiße Skelett. Die Korallen leben dann zwar noch, aber wenn die Bleiche zu lange dauert, sterben sie ab.“ So geschehen etwa 2016, als rund 30 Prozent der Steinkorallen auf diese Weise vernichtet wurden.

Am AIMS suchen Schaffelke und ihre Kollegen nach Möglichkeiten, die Algen toleranter gegen die Hitze zu machen. Und sie betreiben Aufforstung: In kleinen Keramikschalen züchten sie Babykorallen, die sie am Riff aussetzen. Der Klimawandel ist jedoch nicht die einzige Gefahr, die dem Riff droht. Eine andere ist der Dornenkronen-Seestern, der beständig am Riff knabbert. Durch die Überfischung sind viele seiner natürlichen Feinde nicht mehr da, deshalb konnte er sich so vermehren, dass er zur Plage wurde und nun sogar Jagd auf ihn gemacht wird. Mit Ochsengalle oder auch einfachem Essig, die ihm injiziert werden und eine tödliche allergische Reaktion auslösen.
„Das Great Barrier Riff ist gehörig unter Druck“, fasst Britta Schaffelke zusammen, aber sie sagt auch: „Das Riff ist unheimlich resilient und kann sich immer wieder erholen.“ Doch irgendwann, so befürchtet sie, werde diese Fähigkeit aufgebraucht sein, vor allem, wenn man dem Klimawandel nicht Einhalt gebietet. Als Touristin aus Deutschland bekommt man in diesem Moment durchaus ein zwiespältiges Gefühl, nachdem man um den halben Erdball geflogen ist und zum Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre sein Scherflein beigetragen hat.
Und dann ist da Skipper Mike, der sagt „Die Leute, die kommen und die Schönheit des Riffs erleben, sind die besten Anwälte des Great Barrier Reefs, weil sie dessen Verwundbarkeit kennengelernt haben.“
Kurz informiert
- Anreise Singapur Airlines fliegt mit Zwischenstop in Singapur von München und Frankfurt nach Cairns. www.singaporeair.com
- Cairns Die Stadt mit Hafen und vielen Bars und Restaurants an der lebhaften Marina ist ein Tourismuszentrum in Queensland. Von hier aus starten viele Touren zum Great Barrier Riff, unter anderem auch Tagestouren mit Ocean Freedom. www.oceanfree.com.au; www.cairnsreef.tours;
- Unterkunft Das Fünf-Sterne Hotel Pullman Cairns International mit Restauran und Spa liegt fussnah zum Hafen. www.pullmancairnsinternational.com.au
- Umweltpreis Das Great Barrier Reef ist für „Champions of the Earth“ des United Nations Environment Program (UNEP) nominiert. Dieser Lifetime Achievement Award ist die höchste Auszeichnung des UNEP, die Verleihung findet im November statt. Unterstützer können sich unter der Adresse https://alifetimeofgreatness.com/ eintragen.
Die Autorin recherchierte auf Einladung von Tourism Tropical North Queensland.
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