Jean-Côme Bertrand steht auf dem Sprungturm in der größten Schwimmhalle Bergens. In wenigen Sekunden wird sein Körper auf etwa 50 km/h beschleunigen und dann hart auf der Wasseroberfläche aufschlagen. Bertrand überprüft noch einmal, ob das Becken frei ist, dann nimmt er Anlauf. Er springt ab, steigt hoch in die Luft, streckt seine Beine und Arme weit weg von seinem Körper. Dann fällt er und schlägt mit einem Bauchklatscher auf der Wasseroberfläche auf. Es platscht, der Aufprall ist in der ganzen Schwimmhalle zu hören. Das Wasser spritzt in die Höhe.
„Das war gigantisch“, sagt Bertrand, nachdem er am Beckenrand wieder aufgetaucht ist. Dabei freut er sich wie ein Kind. „Nochmal“, sagt er und steigt den Sprungturm wieder nach oben. Dødsing nennt sich die Sportart, die der 33-Jährige in Bergen betreibt, auf Englisch ist der Begriff „Death Diving“ geläufig, auf Deutsch wird es mit „Todestauchen“ übersetzt. Der Name ist Programm. Für Bertrand allerdings hat der Sport rein gar nichts mit dem Tod zu tun. „Dødsing bedeutet viel für mich. Es hat mein Leben verändert. Es ist das Gefühl von Freiheit“, sagt Bertrand.
Dødsing: Um was geht es beim Todestauschen?
Todestauchen entstand in den 1970er Jahren in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Bei der Extremsportart springen die Teilnehmer aus etwa 10 Metern Höhe möglichst spektakulär ins Wasser. Im Sprung strecken die Sportler die Beine und Arme so lange wie nur möglich vom Körper ab. Erst kurz vor dem Aufprall rollen die Springer sich zusammen, um Verletzungen zu vermeiden.
Die erste offizielle Weltmeisterschaft fand 2008 in einem Schwimmbad in Oslo statt. Seither erfreut sich die Spaßsportart einer immer größeren werdenden Beliebtheit, mit einem eigenen Verband und einer Liga. Noch spektakulärer zeigt sich die Sportart, wenn statt in einem Schwimmbad von Klippen in die Fjorde Norwegens gesprungen wird.
„Es geht auch darum, einen eigenen Stil und eine Persönlichkeit zu entwickeln“, erklärt Bertrand. „Selbst aus 100 Metern sollen die Leute sehen, dass ich das bin“. Außerdem sei es wichtig, kreativ zu sein. Bei einem Wettbewerb letztes Jahr in der Halle in Bergen spuckte er im Sprung Feuer. Bis zu 1000 Personen seien dort gewesen, sagt Bertrand. Auch seine Tochter im Publikum sei begeistert gewesen. Es sei das beste Event in seinem Leben gewesen.
Todestauchen: So macht es Jean-Côme Bertrand
Bertrand kam aus Paris ins norwegische Bergen. Davor machte er viele andere Sportarten wie Klettern oder Boxen. Durch die Gemeinschaft unter den Sportlern fand er schnell Anschluss. „Ich kam nach Bergen nicht wegen des Dødsings, aber ich bleibe auch wegen des Dødsing hier“, sagt er.
Auf dem Weg durch die Schwimmhalle wird Bertrand immer wieder von Freunden und Bekannten aufgehalten. Dann spricht er mit ihnen über seine Sprünge und wie viel Freude er daran hat. Doch trotz des ganzen Spaßes nimmt er die Sportart sehr ernst. Vor dem ersten Sprung ins Wasser wärmt sich Bertrand mindestens eine halbe Stunde auf.
Im Tribünenbereich des Hallenbads ist ein Trainingsbereich mit Matten und Trampolinen aufgebaut. Während Jugendliche dort trainieren, dehnt Bertrand seine Hände, die Arme, die Beine. Dann springt er noch einige Minuten mit einem Seil.

Nach einer aufwärmenden Dusche beginnt er mit kleineren Sprüngen von einem 1-Meter-Brett. Schon hier zeigt Bertrand, dass er ein durchtrainierter Athlet ist. Mit Schrauben, Saltos und teils wilden Sprüngen zieht er die Blicke im Schwimmbad auf sich. Immer wieder applaudieren auch andere Springer im Schwimmbad. Bertrand scheint die Aufmerksamkeit zu genießen. Dann klettert er auf den 10-Meter-Turm in der Halle und schaut nach unten, ob das Becken frei ist. Mit Anlauf springt er ab, für einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde er in der Luft stehen. Dann fällt er und schlägt auf dem Wasser auf. Mit der richtigen Taktik tue das auch nicht weh und sei nicht gefährlich, erklärt Bertrand.
Jean-Côme Bertrand lebt auf einem Segelboot
Über das Todestauchen fand er auch sein neues Zuhause. Ein Freund und er beschlossen, sich jeweils ein Segelboot zu kaufen. Bertrand zahlte etwa 7000 Euro für das Boot. Während der Freund mit seinem Boot weiterzog, blieb Bertrand im Hafen von Bergen. „Das ist großartig“, sagt der 33-Jährige, „ich kann mit meinem Boot überall hin, wo ich möchte. Dann gehe ich ins Innere meines Bootes und da ist alles, was ich brauche: meine Küche, mein Kissen, meine Decke.“

Das Boot hat vielleicht zehn Quadratmeter, eine spärlich eingereichte Kochecke ist überfüllt mit Lebensmitteln. Wenn sich Bertrand einen Kaffee machen will, muss er zunächst einen Kanister Wasser herauskramen, um den Wasserkocher zu befüllen. Dann rührt er in einer Tasse die Kaffeekrümel an. Das „Wohnzimmer“ besteht aus zwei Bänken, die mit blauem Stoff überzogen sind, in der Ecke liegt ein Kissen mit Anker-Symbol. Hier schläft er auch, wenn ihn seine Tochter besucht, die zeitweise auch bei ihm wohnt. Im hinteren Teil des Bootes befindet sich das „Schlafzimmer.“ Um ins Bett zu gelangen, muss Bertrand ins hinterste Eck kriechen, stehen kann er in diesem Teil des Boots nicht. Die Toilette neben dem Bett dient als Ablagefläche für seine Klamotten. Er nutze die Badezimmer im Hafen, erklärt er. Im Hafengebäude befinden sich Toiletten, Duschen und Waschräume. Für seinen Anlegeplatz zahlt er eine Miete von umgerechnet etwa 280 Euro im Monat.
Das Schlimmste daran, auf einem Boot zu wohnen, sei die Feuchtigkeit und die ständigen Bewegungen des Bootes auf dem Wasser. „Ein Boot bewegt sich immer“, sagt Bertrand. Trotzdem liebt er sein Leben dort. Aktuell könne er sich kein anderes Leben als auf einem Boot vorstellen. „Dieses Leben passt zu mir“, sagt er. Diese Woche noch will er mit seinem Boot und ein paar Freunden zum nächsten Dødsing-Training aufbrechen. Dann will er in einen der Fjorde Bergens springen.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden