Arbeiten gegen das schlechte Gewissen? Freiwilligendienst als Geschäftsmodell
In exotische Länder reisen und dort Gutes tun. Freiwilligenarbeit ist keine Domäne der jungen Generation. Doch der Einsatz der Volunteers in armen Ländern ist nicht unumstritten.
Ferne Länder bereisen und dabei Gutes tun: Als Karin R. mit 60 Jahren den Lehrerberuf an den Nagel hängte, suchte sie nach einer neuen Aufgabe. „Daheim zu sitzen, sich in örtlichen Vereinen zu engagieren und mit dem Seniorenkreis auf Wanderungen zu gehen, war nicht so mein Ding“, erzählt die Heidelbergerin. Der Entschluss, sich zu einem Freiwilligendienst zu verpflichten, fiel der (Un-)Ruheständlerin nicht schwer. Es gab weder Ehemann noch Kinder.
Die Badenerin wandte sich an unzählige karitative Organisationen, fuchste sich endlose Stunden durchs Internet und stieß schließlich auf die Seite „Wegweiser Freiwilligenarbeit“ des ehemaligen Erasmus-Studenten Frank Seidel.
Ein halbes Jahr später tauschte sie ihre schicke Altbauwohnung gegen ein einfaches Zimmerchen bei einer Familie im ländlichen Nepal. Drei Monate lang unterrichtete sie die Kinder des Dorfes in Englisch, was ihr aufgrund ihres Berufes nicht sonderlich schwerfiel. Die Monate in dem armen asiatischen Land seien die beste Zeit ihres Lebens gewesen, betont Karin R., auch wenn sie sich keine Illusionen über die Freiwilligenarbeit macht: „Womöglich habe ich mehr von der ,guten Tat’ profitiert als die Menschen in Nepal“, so die heute 63-Jährige.
Das boomende Nischenprodukt Freiwilligendienst hat auch die Best-Ager im Blick
Freiwilligendienst: Seit Jahren boomt in armen, von Europäern, Amerikanern und Australiern gern besuchten exotischen Ländern ein Geschäftsmodell, das auf das große Herz der Urlauber zielt – vor allem in jenen Orten, die auf der Bucket-List vieler Touristen stehen. War Volunteering bei sozialen oder ökologischen Projekten lange eine Domäne der jungen Generation, so hat das boomende Nischenprodukt mittlerweile auch die Best-Ager im Blick. Kein Wunder: Schließlich bringen die rüstigen Herrschaften nicht nur Berufserfahrung mit, sondern oft auch den nötigen Geldbeutel. Denn die neue Lust am Helfen lassen sich kommerzielle Anbieter teuer bezahlen.
Raus aus der Komfortzone, rein ins Kurzzeit-Praktikum in den Townships Südafrikas oder aufs Forschungsboot im Malediven-Atoll, um beim Schutz gefährdeter Walhaie im Indischen Ozean zu helfen: Das Angebot an kommerziellen Freiwilligen-Projekten rund um den Erdball ist groß. Das Problem einer Tourismusindustrie, die auf Mitleid und Hilfsbereitschaft der umworbenen Klientele setzt: Gut gemeint ist nicht gleichbedeutend mit gut gemacht.
Freiwillige müssen mindestens sechs Monate arbeiten
Die Reisen, gekleidet ins Gewand des Altruismus, beruhigen zwar das eigene schlechte Gewissen, im wohlhabenden Teil der Welt daheim zu sein, steigern womöglich die eigene Reputation im Bekanntenkreis und pimpen bei jungen Menschen den Lebenslauf auf. Doch die Vorstellung, bei einem mehrwöchigen Einsatz in einem Entwicklungsland tatsächlich etwas bewirken zu können und den Menschen nachhaltig zu helfen, ist unrealistisch. Es braucht Zeit, bis Volunteers mit Kultur und Sprache des Gastlandes vertraut sind, bis sie sich in ihre Aufgaben eingearbeitet haben. Deshalb ist bei vielen staatlich geförderten Freiwilligenprogrammen eine Mindestdauer von sechs Monaten verpflichtend.
Als die damalige Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) 2008 das „Weltwärts“-Programm vorstellte, das junge Menschen mit staatlicher Förderung in die Welt schickte, sprach sie von einer „Globalisierung mit menschlichem Antlitz“. Mehr als 40.000 junge Menschen waren seitdem auf Auslandseinsatz – mit einem ordentlichen monatlichen Zuschuss vom Staat für Unterkunft, Verpflegung, Reisekosten, Versicherung und einem Taschengeld. Kritiker sprachen schon damals von staatlich finanzierten Abenteuerreisen für Ethno-Touristen, weil mit den millionenschweren Etats in den Zielländern Sinnvolleres angestellt werden könnte.
„Weltwärts“ ist zudem nicht der einzige staatlich geförderte Freiwilligendienst. Daneben gibt es den Internationalen Jugendfreiwilligendienst, das Freiwillige Soziale oder das Freiwillige Ökologische Jahr sowie das Programm „Kulturweit“ von der Deutschen Unesco-Kommission.
Nur mal schnell die Welt retten: Helfen als Tourismus-Konzept?
Einfach buchen lassen sich diese Einsätze nicht. Wer schnell mal die Welt retten möchte, mit finanzieller Unterstützung vom Staat, der muss ein zeitaufwändiges Bewerbungsverfahren durchlaufen. Zudem schreckt die Mindestdauer potenzielle Bewerber ab und ältere Weltverbesserer sind gänzlich ausgeschlossen. Das könnte mit ein Grund sein, warum das Nischensegment Volunteering-Tourismus einen solchen Boom erlebt. Während die staatlich geförderten Programme 6000 bis 7000 Teilnehmer pro Jahr zählen, haben sich die Zahlen bei kommerziellen Anbietern laut einer Studie von „Tourism Watch“ innerhalb weniger Jahre auf zuletzt 30.000 Teilnehmer im Jahr verdreifacht.
Organisationen wie der Verein „Gemeinsam für Afrika“, dem etliche Kinderhilfswerke angehören, sehen dies kritisch: Freiwillige brächten oft nicht die erforderlichen Qualifikationen für bestimmte Einsätze mit – beispielsweise in der Arbeit mit Kindern, Behinderten oder im Gesundheitswesen.
Bei der Suche aufs Qualitätssiegel der Anbieter achten
Wer sich trotz aller Gegenargumente für einen Freiwilligendienst entscheidet, sollte zumindest darauf achten, ob sein Anbieter ein entsprechendes Qualitätssiegel vorweisen kann. Die Agentur für Qualität in Freiwilligendiensten – kurz Quifd – sowie die Gütegemeinschaft Internationaler Freiwilligendienst prüfen, ob bei den Programmen Qualitätsstandards eingehalten werden, ob es eine fachliche und persönliche Begleitung gibt, ob Krisen- und Notfallpläne vorhanden sind.
So schön Reisen in exotische Länder sind: Wer den Armen und Schwachen auf diesem Globus helfen will, kann dies auch im heimischen Wohnzimmer tun. Denn mittlerweile gibt es sogar Online-Programme, bei denen Menschen wie Karin R. nepalesischen Kindern beim Lernen und Hausaufgaben machen helfen können.
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