Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ als „zugänglich“ zu charakterisieren, dürfte wohl nur sehr versierten Leserinnen und Lesern einfallen – oder vielleicht Besuchern der Gemeinde Polling, die dort am Kirchplatz stehen und auf den Beginn des „Dr. Faustus-Weges“ stoßen. Auf fünf Kilometern durchs Dorf, über Felder und Hügel kann man hier zu einem Rundweg starten, der nicht nur Ausblicke auf die Voralpenlandschaft bietet, sondern auch ein großes Werk der Literaturgeschichte – sozusagen im Vorbeigehen auf 13 Tafeln mit Textstellen – nahebringt.
Die Mutter von Thomas Mann lebte in Polling
Und das nicht von ungefähr, Thomas Mann, der am 6. Juni 150 Jahre alt geworden wäre, kannte den kleinen, im Pfaffenwinkel gelegenen Ort von eigenen Aufenthalten, als er seine dort lebende Mutter besuchte, und war offenbar so entzückt von dem oberbayerischen Dorf nahe Weilheim, dass er es in seinem „Doktor Faustus“ als „Pfeiffering“ verewigte. Und zwar als Rückzugsort der Hauptfigur Adrian Leverkühn.

„Polling hatte Atmosphäre“ wird der Dichter auf der ersten Tafel des gut ausgeschilderten Weges am Kirchplatz zitiert und dazu trägt auch das ehemalige Augustiner-Chorherren-Kloster mit seiner eindrucksvollen Kirche bei. Bevor es losgeht also erst einmal hinein in die Kirche, die als eines der bedeutendsten Bauwerke der Gotik im bayerischen Alpenvorland gilt - in ihrem Inneren aber in verspieltem Rokoko glänzt - und dann erst weiter auf den Spuren jenes Tonsetzers Leverkühn, der sich dem Teufel verschrieben hatte, um göttliche Musik zu erschaffen.
Ein Blick bis auf die Murnauer Alpen
Vorbei geht es an dem Haus, in dem Adrian Leverkühn die Zwölftonmusik erfand, am Bach entlang und über die Bahnlinie zum Ammerberg, der aber eher ein Hügel ist und dessen Besteigung keine Mühe macht. Von hier aus hat man bei klarem Wetter den schönsten Blick auf die Bergkette der Murnauer Alpen und die Wettersteingipfel. Über Wiesen und durch ein Waldstück gelangt man schließlich zum Streicherweiher (im Roman der Klammerweiher), jenem kleinen Tümpel, der auch heute noch so bitterkalt sein soll, wie im Roman beschrieben, und in dem Adrian sich beinahe ertränkt hätte. Zwischendrin, bei Tafel 5, bietet sich ein kleiner Abstecher zur STOA116 an, jener Säulenhalle, die der Künstler Bernd Zimmer mitten in die Landschaft errichtet hat: ein Beton-Ufo mit 116 Stelen, jede unterschiedlich von Künstlern gestaltet.

Eineinhalb bis zwei Stunden folgt man den Wegen, auf denen einst Thomas Mann wanderte und die er im Roman auch Adrian Leverkühn gehen ließ. Und wer will, kann auf dem Zionsberg Rast machen und dort das „Gemeindebankerl“ nutzen, um sich doch noch ein wenig tiefer mit dem „Doktor Faustus“ zu beschäftigen – mit Blick auf das idyllische Polling, das zu einem Stück Weltliteratur geworden ist.
Kurz informiert
Anfahrt: mit dem Auto über die B 17 bis Ausfahrt Weilheim und dann auf der Staatsstraße 2057 bis Polling, mit dem Zug bis Weilheim und dann mit dem Bus 936
Die Wanderung: Der Weg führt bequem auf Kieswegen oder asphaltierten Straßen über etwa fünf Kilometer und ist gut ausgeschildert.
Einkehr: Die Alte Klosterwirtschaft in Polling mit schönem Biergarten liegt direkt gegenüber dem Kloster. Hier soll schon König Ludwig II. eingekehrt sein (Dienstag Ruhetag, Tel. 0881/12232998, www.klosterwirtpolling.de)
Der Roman: Thomas Mann schrieb den Roman „Doktor Faustus“ in den Jahren zwischen 1943 bis 1947, als er im Exil im kalifornischen Pacific Palisades lebte. Eine Taschenbuchausgabe ist im Fischer Verlag erschienen.
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