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Leipzig mal anders kennenlernen mit originellen Stadtführungen

Leipzig

Wie Sie Leipzig von einer ganz neuen Seite kennenlernen

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    Der zentrale Platz in Leipzig mit dem Rathaus
    Der zentrale Platz in Leipzig mit dem Rathaus Foto: P. M. Ebel /stock.adobe.com

    Frau Pätzold fackelt nicht lange. „Der Sozialismus siecht! Das konnten nur wir Sachsen in der DDR sagen“, erklärt sie und schaut dabei halb neugierig, halb herausfordernd in ihre heutige Besuchergruppe. Diese hat zu Beginn dieser City-Tour die sächsische Mundart noch nicht verlässlich drauf und daher erkennbar Fragezeichen in den Gesichtern. Frau Pätzold hilft gerne nach: „Stand doch überall: Der Sozialismus siegt. Aber ein hartes G können wir Sachsen nicht – also siechte der Sozialismus bei uns.“ Auch modisch: Ausgelatschte, weiße Pumps, eierschalfarbener Mantel und baskenmützenartiger Stoffdeckel auf dem Kopf – Frau Pätzold hat sich so verkleidet, wie vor der Wende die „Stadtbilderklärerinnen“ (DDR-Sprech für Guide) aussahen. „De Bäzoldn“ nennt sie sich als schauspielernde Stadtführerin, heißt bürgerlich Dr. Kirsti Dubeck und ist diplomierte Übersetzerin.

    Warum in Leipzig einiges schief ging

    Als gebürtige Leipzigerin kennt sie die Marotten ihrer Mitmenschen, die eigenwillige Sachsen-Seele („Erdrotation ist für uns schon Bewegung genug!“) und reichlich historische Schrulligkeiten, mit denen sie ihren „Leipzsch“-Rundgang „Midd dor Bäzoldn dorsch de Siddy“ spickt. Immer dabei - wie vor der Wende: Der „Falls-Stoffbeutel“. “Den hatte jeder - falls es was gibt im Laden.“ De Bätzoldn hat ihren persönlichen Schnaps im Beutel. Diese Flachmänner verteilt sie gleich zum Start, mit ein paar Leipzig-Intros. „Warum die Stadt einst so viele Bahnhöfe hatte (jede Bahngesellschaft baute ihren eigenen), wo die einzige Porsche-Orgel der Welt erklingt (in der Nikolaikirche – gesponsert vom Autobauer) und woher der Ausdruck „Lotterwirtschaft“ kommt (Hieronymus Lotter baute Leipzigs Rathaus-Arkaden – leider sehr schief).

    Dr. Kirsti Dubeck alias Frau Pätzold entführt als Stadtführerin in das Leipzig zu DDR-Zeiten.
    Dr. Kirsti Dubeck alias Frau Pätzold entführt als Stadtführerin in das Leipzig zu DDR-Zeiten. Foto: Stephan Brünjes

    Der Rundgang durch Leipzig hat nichts mit Ostalgie am Hut

    Highlights der Tour sind die Momente, wenn Frau Pätzold sich im Vorbeigehen mit Einheimischen kabbelt und so intensiv sächselt, dass es für ungeübte Ohren nicht mehr verständlich ist, aber umso lustiger klingt. Dennoch – der Rundgang ist keineswegs eine Ostalgie- und Zonen-Zoten-Parade. Die Teilnehmer erfahren, dass der mit einem Denkmal geehrte Oberbürgermeister Müller bis heute das wohl beliebteste Stadtoberhaupt ist, weil Müller die Stadtmauern beseitigte und den Leipzigern stattdessen eine Grünanlage bescherte. Mit lokalpatriotischer Begeisterung führt De Bäzoldn durch viele der insgesamt 37 Passagen, erklärt anschaulich deren Geschichte und lässt die zweistündige Tour hier ausklingen mit einem Sprachtest: „Alles hängenlassen, vor allem die Mundwinkel“, rät sie und teilt Fragenkarten wie diese aus: „Kalter Hintern auf Sächsisch? Bofrost...“

    Die Nikolai-Kirche in Leipzig ist ein geschichtsträchtiger Ort.
    Die Nikolai-Kirche in Leipzig ist ein geschichtsträchtiger Ort. Foto: E.M. Ebel/stock.adobe.com

    Man kann natürlich auch eine Lügentour durch Leipzig machen, mit der Krimitour unterwegs sein oder nachts den Nachtwächter erzählen lassen. Es gibt Trabi-Touren oder man macht sich mit Mario Jung, dem Erfinder der Stadtstromer-Rundgänge auf den Weg.

    Mit dem Beamer in die Vergangenheit Leipzigs

    Seine Leipzig-Touren sind einzigartig. Am Treffpunkt projiziert Jung eine Karte von Leipzig in den Grenzen von 1650 an die Wand und erklärt daran anschaulich, dass dies mehr oder weniger immer noch die Umrisse der heutigen Innenstadt sind. Die gebeamte Karte ist animiert, Mario Jung steuert darin Straßenzüge und Gebäude an und hebt sie optisch hervor. Eine prima Orientierung vor dem Start und während der Tour, denn Jung zeigt auf der Karte immer wieder, wo die Gruppe gerade steht. Die Tourteilnehmer bekommen Kopfhörer, damit sie den Guide auch verstehen, wenn dieser ein paar Meter vorauseilt.

    Das tut Mario Jung oft – zu Beginn der Tour ist das etwas gewöhnungsbedürftig. „Ich möchte möglichst viel von Leipzig zeigen“, erklärt er seine Art von Stadtführung, „und das kriege ich nicht hin, wenn die Gruppe sich an jedem Punkt immer erst sammelt und im Halbkreis aufstellt.“ Gehen ist besser als stehen, lautet sein Motto.

    So stromern Jungs Gäste durch Leipzigs City, springen dabei von Epoche zu Epoche und erfahren Überraschendes. Etwa, dass die Straße „Am Brühl“ bis zum Zweiten Weltkrieg eine Art Welthandelszentrum für Pelze war und zeitweise bis zu 700 Pelzhändler beherbergte. Der lebensgroße Eisbär auf einem Dach erinnert daran. Ebenso wie Frau Pätzold führt auch Mario Jung seine Gruppe durch viele Passagen und macht einige davon für ein paar Minuten zu „Kinosälen to go“: Mit ein paar Handgriffen beamt er hier Fotos und Filme an die Wände und erzählt, dass die großen Innenhöfe mancher Passagen zum Be- und Entladen von Kutschen dienten. Denn hier blockierten sie nicht die engen Gassen.

    Filmdokumente über die Montagsdemos in Leipzig

    Besonders spannend sind Mario Jungs Filmdokumente zur Wendezeit und den Leipziger Montagsdemos. „Warum eigentlich montags?, fragt er seine Gäste. Keiner hat eine Idee, schon gar nicht die einleuchtende Lösung, die Jung nun präsentiert: „Es war bekannt, dass viele Stasi-Leute sich montags trafen“, sagt er, „also waren weniger Spitzel unterwegs als an anderen Tagen.“ In einem gebeamten Video ist eine Montagsdemo zu sehen, verknüpft mit dem Appell zu Mäßigung der sogenannten „Leipziger 6“, einer Gruppe um den Gewandhaus-Dirigenten Kurt Masur, die verhindern wollte, dass die Proteste in Gewalt umschlagen. Die Ansprache Masurs wurde damals über das sogenannte „Stadtradio“ verbreitet – das waren einst von den Russen installierte Lautsprecher, die es in vielen Straßen und auf Plätzen gab.

    Stadtstromer Mario Jung erinnert an viele dramatische Momente Leipziger Geschichte, etwa die Sprengung der Universitätskirche St. Pauli, bei der nicht mal die Orgel gerettet werden konnte. Aber der Guide hat auch unfreiwillig komische Dokumente in seinem Beamer, wie das Foto von einer Hausfassade mit der Werbeaufschrift für DDR-Neonleuchten und dem Slogan „Narwa taghell“. In dem Gebäude, erzählt Mario Jung dazu, war es tatsächlich jahrzehntelang taghell. Aber nicht durch viele Neonleuchten, sondern weil seit Kriegsende sowohl ein Dach als auch Geschossdecken in dem Haus fehlten…

    Wissenswertes über Leipzig

    Allgemeine Infos über Leipzig: www.leipzig.travel

    Anreise: Bequem mit der Bahn ankommen im sehenswerten Leipziger Bahnhof, der bis heute ein Doppel-Bahnhof ist, zusammengelegt aus zwei einst separaten Bahnhöfen.

    Übernachten: Das Hotel Innside liegt ein paar Schritte von der Innenstadt entfernt, direkt gegenüber der berühmten Thomaskirche und bietet helle, geräumige Zimmer sowie eine Dachterrasse mit einem der besten Panorama-Ansichten von Leipzig. DZ/F ab 92€

    Die Kette Motel One hat drei, ebenfalls zentral gelegene Häuser in Leipzig. DZ ab 79€. https://www.motel-one.com/de/hotels/leipzig/

    Erleben: Der zweistündige, sächsische Rundgang „Midd dor Bäzold`n dorsch de Siddy“ ist buchbar unter http://www.die-leipzigerin.de/aktuelles_10_baedz.html und kostet 118€. Teilnehmen können bis zu 25 Personen.

    Die Stadtstromer-Tour ist für maximal 40 Personen ausgelegt, kostet 12€ pro Teilnehmer. Infos und Buchungen unter https://www.stadtstromer.com/stadtrundgang/

    Wahr oder falsch – die 1,5-stündige Lügentour richtet sich besonders an Familien mit Kindern ab 6 Jahren. Es ist eine Stadtentdeckertour der anderen Art - denn hier flunkert und lügt der Gästeführer. An jeder Station versucht er, die Gäste hinters Licht zu führen und seine Geschichten an die (kleinen) Leute zu bringen. Die dürfen dann selbst aktiv werden und mit ihrer Lügenkarte entscheiden, ob sie dem Guide glauben oder finden, dass er Quatsch erzählt. Erwachsene 8,50€, Kinder 6,50€. Infos und Buchungen unter https://leipzig-erleben.com/oeffentliche-touren/stadtrundgang-leipzig/rundgaenge-adventszeit/wahr-oder-falsch-die-luegentour/

    Tatort Leipzig – die Krimitour führt auf die Spuren von erstochenen Geliebten, einem von Karl May gestohlenen Pelz oder einem geklauten Gemälde, dass die Diebe zur Tarnung in einen Fernsehsessel einnähten. Einzeltickets 10€, Gruppen bis 25 Teilnehmer zahlen 125€. Infos und Buchungen unter https://www.leipzigdetails.de/events/tatort-leipzig-die-krimitour-stadtfuehrung-leipzig.html.

    Unbedingt sehen in Leipzig: Die Nikolaikirche besichtigen! Einer der jüngeren, deutschen Geschichtsorte überhaupt, denn hier begann die friedliche Revolution 1989 in Leipzig – aus Montagsgebeten wurden Montagsdemos. Die Stadttouren der „Bäzoldn“ und der Stadtstromer stoppen zwar an der Kirche, führen aber nicht hinein. Darum auf eigene Faust besichtigen und die „Porsche-Orgel“ hören. Sie heißt so im Volksmund, weil der Autobauer die Renovierung großzügig förderte. https://www.nikolaikirche.de/

    Unbedingt hingehen: Essen in St. Petersburg oder New York oder Kapstadt oder Tokio – aber immer in Leipzig – nämlich in einem dieser vier Städtenamen-Restaurants des Panorama-Towers! Der ragt 142 Meter mitten im Zentrum auf, war ursprünglich Teil der Uni. Seine Form soll ein aufgeschlagenes Buch symbolisieren, die Leipziger nennen ihn allerdings nur „Weisheitszahn“ oder „Uni-Riese“. Von oben hat man tolle Aussicht über Leipzigs Zentrum und kann zwischen den Mahlzeiten tischkickern, Carrerabahn fahren der Darts spielen. https://panorama-leipzig.de/

    Unbedingt mitbringen: Die Leipziger Lerche, ein leckeres Marzipan-Gebäck, das im 19. Jahrhundert als Ersatz für die Singvögel entstand, die bis dahin geschossen, am Spieß gebraten und verkauft wurden. Die heutigen Lerchen gibt’s auch als Mitbringsel verpackt in vielen Konditoreien wie etwa im Café Kandler an der Thomaskirche oder an der Nikolaikirche. https://cafekandler.de/

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