Keine Farbpalette hält genug Blautöne für diesen Moment bereit. Die Landschaft strahlt nur so vor Blau. Der bläulich schimmernde, fast weiße Himmel scheint sich in der unendlichen Weite zu verlieren. Nur in Schattierungen heben sich linker Hand die tiefblauen, bewaldeten Berge vom Horizont ab. Dreht man sich um, blickt man auf die weite Adria. Die ersten taubenblauen schimmernden Segelboote sind bereits unterwegs, doch das tiefblaue Meer ist noch still und unberührt. Ein Gefühl von Freiheit liegt in der Luft. Alles kann passieren und der bläulichen Morgenidylle doch nichts anhaben. Auch den zwei Rennradlerinnen nicht, die von der Terrasse am Straßenrand das Panorama bewundern und das Ziel ihrer Reise bestaunen: das Mittelmeer.
Der Höhepunkt einer Radreise nach Triest
Was wie ein Traum klingt, ist der Höhepunkt einer Radreise von Ljubljana nach Triest, die alles zu bieten hat: sattgrünen Wald, berühmte und weniger berühmte Seen, steile Berge und Pässe, rasante Abfahrten und türkisfarbene Flüsse. Unterwegs wechseln sich kulturelle Überraschungen und kulinarische Highlights ab. Steile Pässe, mehrere platte Fahrradreifen, geschlossene Supermärkte und rücksichtslose Autofahrer können das Abenteuer nicht vermiesen. Hauptsache rauf aufs Rad.
Tag 1: Von Ljubljana in den slowenischen Wald
Los geht`s in der Hauptstadt. Wenn man früh genug bucht, ist die Hauptstadt super per Tag- und Nachtzug erreichbar, große grüne Busunternehmen fahren die Stadt regelmäßig an. Wer zu spät bucht – in der Hauptsaison und mit dem Rad heißt das April - dem blüht eine preiswerte, aber lange Zugreise mit vielen Umstiegen. Ein Beispiel: Gegen 18 Uhr los in Freiburg – Karlsruhe – Stuttgart – Ulm - München - Salzburg (zwischen 3 und 5 Uhr schläft es sich prächtig im sicheren Warteraum der ÖBB) – Villach – Ljubljana.
Der Bleder See hat einen großen Vorteil
Doch die Belohnung am nächsten Mittag folgt. Die alten, großen Stadtvillen, roten Backsteinkirchen und marmornen Brücken erinnern an die Zeit der österreichischen Besatzung und italienischen Annexion. Der Tivoli-Stadtpark am Rande der Altstadt, die größte Parkanlage des Landes, lädt nicht nur zum Spazieren, Lesen und Picknicken ein. Geschützt unter Platanen schließen die Bikepackerinnen die letzten Reisevorbereitungen ab: Isomatten, Schlafsäcke und Tarp gleichmäßig verteilen, mitgebrachte Taschen montieren und den ersten Platten flicken. Bei der einen werden aus Adiletten Radschuhe, die andere klebt ihre kaputten Tennisschuhe. Pünktlich zur Teatime ein vorerst letzter Schluck Kaffee aus einer Porzellantasse. Und los geht es. Quer durch den Park, raus aus der Stadt und hinein in den Wald.

Die slowenische Familie lädt gleich zum Likör ein
Nach etwa 50 Kilometern, es ist bereits Abend, feiert eine slowenische Familie in einem kleinen verlassenen Ort auf dem Plateau einer Hügelkette den Geburtstag des Großvaters. Anstatt nur die Flaschen an einer alten Tiertränke aufzufüllen, heißt die Familie die Radfahrerinnen sofort per Zeichensprache oder auch einmal auf Englisch willkommen: Čevapčiči vom Grill, eine Scheibe Brot: Wer seid ihr, woher kommt ihr, seid ihr alleine unterwegs, trinkt ihr noch ein Bier mit uns? Nein, aber wenigstens einen Schluck Likör.
Der erste Schlafplatz wartet nicht weit. Mit Sicht auf die Berge. Und er bietet sogar Äste zum Aufhängen der verschwitzten Klamotten. An den Büschen lässt sich perfekt ein Tarp spannen.
Tag 2: Tourihotspot Bleder See
Tiefhängender Nebel verwandelt das Tal in einen Hexenkessel. Ein paar Minuten, Nutellabrotscheiben und Apfelschnitze später verwandelt die Sonne das Spektakel in ein Bild, wie aus dem Katalog eines Outdoor-Kaufhauses. Bevor es heiß wird, aber schnell weiter. Die Hügelpartie hat vorerst ein Ende, Bauernhöfe, kleine Siedlungen wechseln sich mit mehr Landstraßen ab, als in das Tal des Flusses Sava zu passen scheinen. Kombis schlängeln sich an SUVs und Caravans vorbei. Jedes Auto schleppt mindestens ein E-Rad oder aufgeblasenes Gummitier mit sich. Die Menschenmassen strömen zu einem der Top-Reiseziele des Landes: zum Bleder See. Wer an Slowenien denkt, hat ihn sofort vor Augen: ein tiefblauer See, in der Mitte eine verlassene Insel mit einer romantischen, einsamen Kirche. Den See hat man leider nicht allein, aber der Besucherandrang hat auch seine positive Seite: Einige Geschäfte haben sonntags geöffnet - unter anderem eine Bäckerei. Gestärkt geht es entlang des Flusses durch Wälder, gelegentlich halten kleine Ortschaften etwas Zivilisation bereit. Und kurz vor dem Nationalpark entlang des gut ausgeschilderten Radweges warten große Wiesen auf müde Radlerinnen und ihr Tarp.
Tag 3: Biker- und Radlerparadies: Der Vršič-Pass
1.611 Meter hoch, 94 Kilometer lang, 51 Mal Kurven: Der Vršič-Pass ist ein Paradies für Rennradfahrerinnen und Biker. 51 Mal heißt es, mit dem Rennrad die Kurven schneiden. Wer den höchsten Straßenpass Sloweniens nicht hoch gedrängelt werden möchte, muss früh aufstehen. Der erfrischende Nebel zieht sich bis zur Hälfte. Danach scheinen ihn die Bäume mit ihren Tannennadeln aufzupiksen. In den letzten Biegungen überholt ein steirischer Motorradfahrer die Radfahrerinnen, die von Briten angefeuert den Gipfel erklimmen. Die einen genießen den Erfolg mit einem Müsliriegel, umzingelt von Schafen und quatschen mit Gleichgesinnten. Andere flicken ihr eierndes Hinterrad erneut, damit es wieder bergab gehen kann. Es rollt sich geschwind hinunter. Der ein oder andere Campervan bremst die waghalsige Abfahrt aus, was der Sause ins Tal keinen Abbruch tut.
Die Kulturhauptstadt wartet mit einer Überraschung auf
Hunger stellt sich ein, doch jede Pizzeria ist zu, der Supermarkt macht Mittagspause. In jedem Dorf steigt die Hoffnung, an etwas Essbares zu gelangen. Denn mit etwas Brot, Käse und Eis im Magen würde sich das türkisfarbene Bergwasser besser genießen lassen. Entlang der Soča rollen die Räder automatisch weiter, immer etwas bergab, kurzer Badestopp. Der letzte Gedanke vor dem Einschlafen am Flussufer: Bin ich in Kanada?
Tag 4: Entlang am türkisblauen Wasser
Verlässt man einmal die idyllische Soča, kehrt die brüllende Hitze zurück. Denn früher oder später muss man die Radrunde „Slovenian West Loop“ verlassen, wenn man nicht wieder in Ljubljana ankommen möchte. Dann geht es nicht nur Richtung Italien, sondern in die Stadt, die sich neben Chemnitz europäische Kulturhauptstadt nennen darf: Nova Gorica. Und darauf sind sie mächtig stolz, überall hängen Plakate und EU-Flaggen. Doch das Besondere: Es fühlt sich an, wie eine Grenzstadt. Das Stadtgebiet geht in die gegenüberliegende italienische Stadt Gorizia über, die Häuser haben schon einmal bessere Zeiten gesehen und die Schilder sind konsequent in slowenischer und italienischer Sprache geschrieben. Kurz vor der Grenze zwischen Italien und Slowenien gibt es dennoch für die Radlerinnen nichts Wichtigeres als eine Wassermelone aus dem Supermarkt. Der Wechsel zwischen zwei Staaten: ein Schild an der Ausfahrt eines Kreisverkehres mitten im Industriegebiet. Auf italienischer Seite verraten die Einwohner am Rathausplatz, wo es das beste Eis gibt. Nach dem feinen Gelato wird es auf einmal eng mit der Schlafplatzsuche. Bis nach Triest darf es an diesem Tag noch nicht gehen. Der Flixbus zurück nach Deutschland ist erst auf den nächsten Tag gebucht, das Hostel ebenfalls. Abseits der Landstraße kurz vorm Großraum Triest schläft es sich am besten.
Tag 5: Zur Ankunft erst einmal „Un Café, por favore“
Der letzte Morgen bringt noch einmal einen ordentlichen Motivationsschub mit sich. Für Frühstück bleibt keine Zeit. Die Adria wirft ihre Brise vorraus, hinter jedem Hügel, hinter jeder Kurve, könnte das Mittelmeer kommen. Und dann ist es da. Ganz Blau. Genauso, wie die Stadt Trieste, die Berge und Boote am frühen Morgen schimmern.

Und dann ist es wieder weg, als es zwischen roten, gelben und blauen Häusern bergab in die Stadt geht. Doch die Abkürzung abseits der Landstraße stellt sich als eine steilen Kopfsteinpflasterpiste heraus. Wohl dem der keine Gepäckrolle an seinem Lenker hat und effektiv bremsen kann. Ansonsten ist der Putz der bunten, italienischen Häuser weicher als gedacht.
Zwei Länder, vier Nächte, 320 Kilometer und 5140 Höhenmeter später. In einem kleinen, italienischen Café an einem Platz in der Triester Altstadt, eine Straßenecke vom Ufer entfernt, reißen sich die beiden Rennradfahrerinnen die engen Schuhe vom Fuß, machen ihre Handys wieder an und siehe da: Der Akku an Erholung und Lebensenergie ist wieder voll aufgeladen. Und dennoch freut sich der Körper über ein Frühstück für drei Euro: „Un cappucchino e un cornetto per favore!“
Gut zu wissen:
Anreise: Sevnica liegt etwa eine halbe Stunde von Ljubljana entfernt und ist an das Nightjet-Netz der ÖBB angeschlossen. Außerdem gibt es direkte Flixbusverbindungen aus Deutschland. Der Flughafen Ljubljana liegt nördlich der Hauptstadt auf dem halben Weg nach Bled.
Abreise: Triest ist über Udine gut mit dem Zug erreichbar. Busverbindungen führen direkt nach Deutschland. Der internationale Flughafen Triest mit Direktflügen nach Deutschland liegt mehr als 30 Kilometer nördlich der Hafenstadt.
Unterkunft: Wildcampen ist in Slowenien offiziell verboten. Vor allen in den Nationalparks wird das kontrolliert. Am Weges Rand gibt es aber immer wieder Campingplätze oder Pensionen.
Infrastruktur: Rechts und Links gibt es in Etappennähe erreichbar immer wieder Supermärkte, Cafés und Restaurants. Sonntags haben die meisten Geschäfte allerdings geschlossen
Slovenian West Loop: Die Route folgt etwa der Hälfte des Slovenian West Loops. Wer die Rundfahrt vollenden will, muss in Nova Gorija Italien ansteuern
Reisezeit: Wer radeln will, sollte im Früh- oder Spätsommer nach Slowenien kommen. Der August wird sehr heiß.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden