Im Fernsehen sieht alles spielend leicht aus. Die Biathletinnen laufen durch die Loipe bis es spannend wird. Auf der Haupttribüne im Stadion fiebern tausende Fans dem Höhepunkt entgegen: das Schießen. Jeden Treffer auf eine der fünf Scheiben begleiten die Zuschauer mit einem "Hey". Ein Fehlschuss wird mit einem abflauenden "Ohhhh" kommentiert. Hier entscheidet sich das Rennen. Wer nach Fehlschüssen in die Strafrunde muss, hat meist keine Siegchance mehr.
Soweit das Winter-Wochenend-Programm auf der Mattscheibe. Bei meinem Selbstversuch steht die Sonne hoch über den Bergen von Hochfilzen. Doch das ist schon die einzige Gemeinsamkeit mit den Biathlon-Stars. Es ist Hochsommer, Anfang Juli. Das Gras ist sattgrün. Im Fairhotel neben dem Schießstand lugt eine Frau am Fenster zu uns herüber. Eine Zuschauerin, immerhin. Muss man diese Sportlerinnen und Sportler kennen? Auf keinen Fall, wir starten einen Selbstversuch im Biathlon, der Sommervariante.
Beim Sommer-Biathlon ist fast alles wie bei den Loipenjägern
Es ist fast alles da, wie bei den Loipenjägern: Ein Gewehr, allerdings ein Luftgewehr und nicht Kleinkaliber wie bei den Profis, fünf Scheiben zum Abräumen, ein Schießstand mit Gummimatte. Selbst eine Strafrunde, die mit gelben Plastikhütchen auf der Wiese abgesteckt ist, fehlt nicht. Bevor zwei Reporterkollegen und ich die Scheiben über Kimme und Korn in Visier nehmen, geben Anna Leitner und Gerhard Blaas von der "Nordic Academy", die die Kurse für jedermann anbietet, eine Einführung.
"Egal ob im Stehendanschlag oder im Liegen: Wichtig ist es, das Gewehr fest gegen die Schulter zu drücken", erklärt Gerhard Blaas. Im Liegen dient der Unterarm als Stütze. Im Stehen liegt der Unterarm auf dem Bauch auf. Der andere Arm mit der Hand am Abzug sollte möglichst rechtwinklig abgespreizt sein. Klar, hundertmal im Fernsehen live oder Zeitlupe verfolgt. Oder vor Ort als Reporter unserer Zeitung bei Weltcups oder Weltmeisterschaften gesehen. Aber selbst auf der Matte zu liegen oder zu stehen und auf festen Stand und Anschlag gleichzeitig zu achten, erfordert höchste Konzentration. Unsere Trainer machen ihre Sache gut und loben. "Der Anschlag sieht ordentlich aus", sagt Anna Leitner und fügt hinzu: "Wir hatten Erwachsene da, die haben das Gewehr mit dem Abzug nach oben gehalten." Wir sind zwar blutige Anfänger, aber mit Grundkenntnissen aus dem Fernsehen.
Die Scheiben beim Schießen sind zehn Meter entfernt
Zehn Meter sind die Scheiben lediglich entfernt. Im Biathlon-Stadion von Hochfilzen, in dem bei der Weltmeisterschaft 2017 Laura Dahlmeier aus Garmisch-Partenkirchen mit fünf WM-Titeln ihre Karriere startete, stehen die Scheiben in 50 Metern Entfernung. Damals durfte ich als Reporter über die Dahlmeierschen Triumphe berichten. Jetzt heißt es selbst: Laufen, zielen, schießen. Der Treffer-Bereich einer Scheibe misst im Durchmesser 4,5 cm (liegend) bzw. 11,5 cm (stehend). "Das ist, als würde man im Stehen aus 50 Metern eine Klorolle anvisieren", erläutert Anna Leitner, die als Juniorin selbst Biathlon betrieb. Auf unserem Hotel-Schießstand messen die Scheiben lediglich 1,5 Zentimeter (liegend) und 3,5 Zentimeter (stehend). Dafür dürfen wir bis auf zehn Meter heranrücken. Die Verhältnisse zu den echten Biathleten sind in etwa proportional, erklären unsere Trainer.
Grau ist alle Theorie. Ich will schießen. Die Mini-Gruppe beginnt im Liegen, weil es leichter ist, auch wenn die Scheiben kleiner sind als im stehenden Anschlag. Vorn packt die linke Hand den Gewehrschaft und stützt sich auf den linken Ellbogen auf. "Die Beine müsst ihr spreizen, um mehr Stabilität zu bekommen", korrigiert Leitner. Mit dem rechten Auge visiere ich über Kimme und Korn das Ziel an. Der erste Schuss trifft auf den Kasten, aber nicht das Innere der Scheibe – daneben. Auch der zweite Versuch misslingt. "Durchatmen und den Schuss komplett neu ansetzen", rät Leitner. Ich folge, und visiere die Scheibe neu an. Dann durchatmen, Luft anhalten, abziehen.
Die meisten Gäste der "Nordic Academy" sind Biathlon-Fans
Der erste Treffer. Die Scheibe klappt zu. Der erste Treffer, endlich. Auch der nächste Versuch sitzt. Geht doch. Purer Übermut. Der letzte Versuch im Fünfer-Magazin geht daneben. Gerhard und Anna loben dennoch. Später, als wir die Biathlon-Einlage bei einer Radtour nachbesprechen, wird Anna sagen: "Die meisten Gäste, die hier schießen üben, sind Biathlon-Fans. Sie versprechen, dass sie nie mehr schimpfen werden vor dem Fernseher, wenn ein Schuss daneben geht."
Anschließend üben wir die stehende Position, die deutlich schwieriger ist. Auch hier sind die Beine gespreizt, um einen festen Stand zu finden. Klingt schlüssig. In der Theorie von Gerhard Blaas. Das 3,5 Kilogramm schwere Gewehr, das über dem linken Unterarm auf dem Bauch liegt, eiert jedoch am Ziel umher. Lediglich für Sekundenbruchteile taucht die Scheibe in der Mitte des Zielfernrohres auf. Obwohl ich die Luft anhalte. Ich schieße fünf Fahrkarten – der Fachausdruck für Strafrunden. Es gelte schnell abzudrücken, sobald die Scheibe mittig im Sucher auftaucht, erklären die beiden Urlauber-Biathlontrainer. Mit dem zweiten Magazin treffe ich zumindest zweimal. Soweit die Trockenübung.
Fahrradtour zur Hoametzalm statt Langlauf
Laura Dahlmeier und Kollegen kommen jedoch nach mehreren Kilometern in der Loipe an den Schießstand, heftig schnaufend. Auch das simulieren wir am Schießstand in einem Wettkampf. Wir drehen in Turnschuhen eine Runde um das Fairhotel und zielen dann auf die Scheiben. Mit erhöhtem Pulsschlag ist es deutlich schwieriger die Scheiben über Kimme und Korn ins Visier zu bekommen. Ich lande im Wettkampf dennoch auf dem Stockerl, als Dritter. Bronze sozusagen. Man muss ja nicht an die große Glocke hängen, dass es nur drei Teilnehmer gab.
Nach der Mittagspause folgt der zweite Teil unseres Biathlon-Nachmittags. Als Ersatz für den Langlauf bieten Leitner und Blaas im Sommer ihren Gästen eine Fahrradtour zur Hoametzalm an, dem Aussichtsberg hinter Hochfilzen. Klingt anstrengend, doch dank E-Bikes ist es eine leichte Tour. Außerdem steht auf der 15 Kilometer kurzen Runde wieder der Deutschen Lieblings-Wintersport im Mittelpunkt. Auf einem WM-Pfad bietet die sportbegeisterte Gemeinde einen detaillierten Einblick in den Biathlon. Auf 16 Tafeln werden die Geschichte, die Disziplinen oder das Gewehr erklärt. Wer mag, kann an einer Rätsel-Rallye teilnehmen. Mit dem Mobilphone wird ein QR-Code gescannt. Wer mithilfe der 16 Schautafeln alle Fragen richtig beantwortet, kann sich in der Gemeinde seine persönliche WM-Medaille abholen.
Unsere Gruppe hatte genügend Wettkampf. Wir genießen die Auffahrt mit den E-Bikes über breite Forstwege auf die Hoametzlalm. Dank Elektroantrieb sind auch die etwas steileren Passagen gut zu meistern. Bevor es zur Brotzeit geht, sind wir mit einem Mann verabredet, der viele Talente hat: Hans Eder. Der Hochfilzener ist Hotelchef, Landwirt und Waldbesitzer in einer Person. Bereits vor zehn Jahren hat er beim Bau seines Hotels auf das Thema Nachhaltigkeit gesetzt.
Fairhotel verbraucht 90 Prozent weniger CO₂
Als erstes Passivhaus-Hotel Tirols verbraucht das Fairhotel 90 Prozent weniger CO₂ als herkömmliche Betriebe. "Ich bin damals von vielen belächelt worden, als ich auf die Themen Nachhaltigkeit und Energiesparen gesetzt habe", sagt Eder. Weitsichtig auch, dass er auf ein Hotel-Restaurant verzichtete. Das Haus bietet ein Frühstück an, abends ist die Bar mit Snacks geöffnet. "Wir haben keine Köche, weil du heute auch kaum noch Köche bekommst", erzählt der Hotelchef, der morgens selbst die Brotkörbe auffüllt.
Mittags treffen wir ihn bei unserer Radrunde an seinem Stall nahe der Hoametzlalm. 40 Jungtiere und 23 Milchkühe weiden auf 60 Hektar Weiden hier oben. Wir starten zu einer knapp 40-minütigen Wanderung zum Jakobskreuz an der Buchensteinwand. Zu Fuß geht es über blühende Almwiesen zu dem auffälligen Bauwerk in den Alpen. Das größte begehbare Gipfelkreuz der Welt bietet mit einer Höhe von 30 Metern eine Panorama-Aussicht über die umliegende Bergwelt. Bienen und Scharen grüner Junikäfer schwirren an diesem heißen Sommertag um unsere Köpfe. Vier Tagungsräume des Kreuzes können für Seminare gebucht werden. Als wir zu Besuch sind, hängen Gemälde verschiedener Künstler aus. Der Trubel ist groß. Wir wandern mit Eder zurück zur nicht so stark frequentierten Hoametzlalm und lassen den Sporttag mit Käsespatzen und Saftschorle ausklingen. Hinter dem Haus steht, wie kann es anders sein in Hochfilzen: ein Biathlon-Schießstand, auf dem mit einem Wasserstrahl die Scheiben anvisiert werden. Ein Kinderspiel, wir sind ja schließlich keine Anfänger mehr.
Reise-Informationen
Anreise: Auch per Bahn möglich,Hochfilzen hat eine eigene Station.
Übernachten: Fairhotel im Ortszentrum, DZ ab 155 Euro.
Kulinarik: Das Restaurant im Hotel Großlehen in Fieberbrunn bietet im Sommer eine großzügige Terrasse inklusive Ausblick auf die Bergwelt. Die Küche ist bodenständig mit Tiroler Spezialitäten. Manchmal bedient die Chefin selbst.
Eine Eckbank sucht man in diesem außergewöhnlichen Hotel-Restaurant vergeblich: Das Mama Thresl in Leogang bietet eine alpine Küche in einem urbanen Ambiente an. Aus einer offenen Küche mit Grill serviert der Küchenchef ausgefallene Kreationen, aber auch Burger und Steaks.
Ausflugstipps nahe Hochfilzen: Die bewirtschafte Schießlingalm ist zu Fuß (mit dem Auto bis zum Wiesensee oder Jausenstation Grieseltal) bequem auf einer breiten Forststraße zu erreichen. Auffahrt auch gut mit dem Mountainbike möglich.
Von Hochfilzen geht es zu Fuß auf einer Forststraße zur Tödlingalm (bewirtschaftet) unterhalb von Sonnkogel und Schreckkopf. Auffahrt auch mit dem Mountainbike gut möglich.
Biathlon in der Nordic Academy: Das Sportgeschäft ist direkt im Fairhotel untergebracht ist. Die Biathlon-Kurse für jedermann werden im Sommer meist Dienstag und Donnerstag (10 bis 11.30 Uhr) angeboten. Am Nachmittag (15 bis 17 Uhr) geht es für zwei Stunden mit dem E-Bike auf den Biathlonthemenweg. Jeweils 33 Euro pro Person.