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Foto: Marcus Merk
Foto: Marcus Merk

Der Künstler Gunter Demnig verlegte 2022 in Langweid eine Stolperschwelle. Die Erinnerung an Zwangsarbeiter soll es jetzt auch in Bobingen geben.

Bobingen
06.03.2023

Eine Stolperschwelle soll an ein dunkles Kapitel der Geschichte erinnern

Von Maximilian Czysz

Plus In Bobingen wurden im Zweiten Weltkrieg über 1000 Zwangsarbeiter ausgebeutet. Eine neue Homepage erinnert an die Schicksale, die Lebensumstände und die Toten.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurden ihrer Heimat entrissen: Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie in Nazi-Deutschland ausgebeutet. Über 1000 Menschen mussten in Bobingen bei den IG Farbwerken, der Dynamit AG oder in der Landwirtschaft, im Gewerbe und bei der Bahnmeisterei arbeiten. An sie soll eine neue Stolperschwelle erinnern, die am Bobinger Industriepark verlegt werden soll. 

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Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurden aus dem Gebiet der Sowjetunion deportiert, viele kamen aus dem sogenannten „Protektorat Böhmen und Mähren“, aus Frankreich, Polen, Belgien, den Niederlanden, Griechenland und aus Jugoslawien. "Viele junge Menschen starben in Bobingen, noch mehr erlitten schwere gesundheitliche Schäden", hat der Historiker Bernd Lehmann aus Gersthofen auf einer neuen Homepage zusammengefasst. Sie soll in Kürze online gestellt werden. Allein in der Kunstseidenfabrik der IG Farben seien über 400 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eingesetzt worden.

"Ostarbeiter" mussten in die geheime Fabrik

Männer aus den Kriegsgebieten hätten auch in der Sprengstofffabrik bei extrem gesundheitsschädlichen Produktion arbeiten müssen. Die „Ostarbeiter“, die das Wort „Ost“ auf ihrer Kleidung tragen mussten, waren nach den Recherchen in einem umzäunten Waldlager in drei Baracken untergebracht. "Sie durften das Lager nur unter Bewachung zur Verrichtung ihrer Arbeit in der Fabrik verlassen. In diesem Lager gaben die hygienischen Verhältnisse oft zu Beschwerden Anlass. Die Ostarbeiter wurden in einer eigenen Kantine auf dem Werksgelände verpflegt. Der Koch unterschlug häufig genug Nahrungsmittel", so Lehmann. Fleisch habe es nie gegeben, oft sei das Gemüse verdorben gewesen. 

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Foto: Elmar Knöchel
Foto: Elmar Knöchel

In diesem Lagerbunker der ehemaligen Munitionsfabrik waren auch einige der Arbeiter eingesetzt.

Der Koch hatte nach dem Krieg fliehen müssen, weil er um sein Leben fürchten musste, weiß der frühere Kulturamtsleiter Reinhold Lenski aus Bobingen. Er beschäftigt sich in einem Arbeitskreis zusammen mit Edmund Mannes und dem Bobinger Archivar Wolfgang Bobinger intensiv mit dem Thema Drittes Reich. Die Initiative stieß nach Kontakt mit Bernd Lehmann das Projekt Stolperschwelle an. "Wir wollten diese Menschen dem Vergessen entreißen", sagt Lenski.

13 Zwangsarbeiter starben in Bobingen

13 Zwangsarbeiter verstarben nach den Recherchen von Lehmann in Bobingen, darunter zwei Kinder im Alter von neun und zehn Jahren. Keiner der Verstorbenen sei älter als 40 Jahre gewesen. Auf dem Bobinger Friedhof erinnern drei Holzkreuze an die Toten. Es gab auch Zwangsarbeiterinnen, die während der Zeit Kinder auf die Welt brachten. Valentina Voronkowa gehört zu ihnen. 2011 besuchte sie zum ersten Mal ihren Geburtsort Waldberg. Dort hatte sie im Krieg zeitweise in einer Gastwirtschaft arbeiten müssen. Im Matrikel der Pfarrei wurde die Geburt von Valentina Voronkowa aufgeschrieben: 12. Juni 1945 um 23 Uhr kam sie in der Kreuzangerstaße 7 zur Welt. Die Spalten für die Angaben zum Vater blieben leer.

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Nach der Rückkehr in ihre Heimat seien die Ukrainer und Russen häufig der Kollaboration mit dem Feind bezichtigt worden und hätten allenfalls als ungelernte Arbeitskräfte ihren Lebensunterhalt verdienen können, so Lehmann. Die noch lebenden Zwangsarbeiter seien von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ab 2001 mit symbolischen Summen entschädigt worden – für landwirtschaftliche Arbeiter wurden 750 Euro, für Arbeiter in der Industrie wurden 1500 Euro ausbezahlt. "Für den Verlust ihrer Jugend, der Geborgenheit des Elternhauses, ihrer Zukunftschancen, die freie Wahl ihres Arbeitsplatzes, für Angst und Verzweiflung, die erlittenen Demütigungen gab es allerdings keine Kompensation", so Lehmann. 

Von Bobingen aus ging es ins KZ

Auf der neuen Homepage zeigt der Historiker viele Dokumente. Er lässt auch Überlebende erzählen und gibt ihre Erinnerungen über Bobingen wieder. Lehmann besuchte zum Beispiel Alexander Bojko in der Ukraine. Er musste als junger Mann ab 1943 bei MAN in Augsburg und dann bei der Dynamit AG in Bobingen arbeiten. Seine Aufgabe: Rund um die Fabrik Gräben ausheben. Mit einem Landsmann türmte er, wurde festgenommen und in Augsburg verhört und ins Konzentrationslager geschickt. Als Häftling mit der Nummer 48080 kam er zunächst ins Außenlager Allach. Danach musste er nach Buchenwald, um dort nach zwei Bombardierungen des Lagers Bomben zu entschärfen. Die Nazis verlegten ihre Waffenproduktion in Stollen, Bojko arbeitete anschließend bei Eisenach in einer unterirdischen Abteilung.

Schließlich wurde er mit anderen Zwangsarbeitern über das KZ Natzweiler, Dachau, die Außenlager Kaufering und Allach in Richtung Süden getrieben. Er überlebte den Todesmarsch. Heimlich aß er Frösche und Kräuter. Im Interview mit Historiker Lehmann wünschte sich Alexander Bojko, dass es nie wieder zu einer Barbarei wie im Zweiten Weltkrieg kommen möge.

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