Wer aktuell Nachrichten zu Südkorea liest, stößt schnell auf das Wort „Staatskrise“, auf einen vermeintlich unversöhnlichen Clash zweier politischer Lager. Sie leben seit mehr als zwei Jahren im Land, leiten die deutschsprachige katholische Gemeinde. Wie macht sich die Situation im Alltag bemerkbar?
DR. EDGAR KRUMPEN: Es gibt sicherlich eine gesellschaftliche Spaltung. In Familien und Freundeskreisen werden zuweilen politische Gespräche vermieden, wenn Vertreter beider Lager anwesend sind. Das zeigt sich auch am Arbeitsplatz. Es ist eine etwas grobe Einteilung, die aber von der Tendenz her dennoch spürbar und zutreffend ist, dass der Konflikt sich auch zwischen den Generationen darstellt – die älteren sind eher pro Präsident, die jüngeren eher dagegen. Die Spaltung der Lager ist oft so tief, dass ein sachlicher Dialog zunehmend schwieriger wird. Auch in den sozialen Medien wird eher aggressiv und polarisiert diskutiert. Ich kann hier allerdings immer wieder auch einen feinen Humor erkennen, der mithilft, die Spannungen zu ertragen.
Wie groß ist das Thema aktuell in Gesprächen unter Expats, also Nicht-Koreanern? Betrifft die Situation Deutsche und Südkoreaner auf unterschiedliche Weise?
KRUMPEN: Artikel 17 des südkoreanischen Einwanderungsgesetzes verbietet es uns Ausländern, uns politisch zu engagieren. Dazu gehört die Teilnahme an Demonstrationen. Als katholische Kirche stehen wir auf der Seite der Menschen, die während der Demonstrationen Unterstützung benötigen, ohne Ansehen der politischen Ausrichtung. Am ersten Januarwochenende, mit einer großen Demonstration direkt auf unserer Straße, hat der Franziskanerorden, in dessen Räumen wir wohnen und unseren Gemeindesaal haben, seine Kirche als Aufwärmort mit Toiletten zur Verfügung gestellt. Auch wir als deutschsprachige katholische Gemeinde haben unsere Räume angeboten. Den demonstrierenden Koreanerinnen und Koreanern können wir dadurch unsere Solidarität zeigen. Die Diskussionen unter den Expats, die ich wahrnehmen kann, sind geprägt von der Frage, wie es zu dieser Krise kommen konnte. Auch die Frage nach der eigenen Sicherheit stellt sich inzwischen häufiger, wenngleich die Demonstrationen hier zwar sehr laut und emotional, aber friedlich und sozial verlaufen – bis hin zum Aufräumen und Müll entsorgen währenddessen und danach.
Inwiefern sind Ihre Reisen durchs Land als Seelsorger von der aktuellen Krise beeinflusst?
KRUMPEN: Reisen sind kein Problem, auch wenn ich zurzeit nur wenig im Land unterwegs bin. Ich habe viele Gespräche in Seoul und auch online oder telefonisch.
Präsident Yoon Suk Yeol hatte beim Ausrufen des Kriegsrechts im Dezember der Opposition Sympathien für Nordkorea vorgeworfen. Ist Nordkorea ein Thema?
KRUMPEN: Seoul ist etwa 40 Kilometer von der demilitarisierten Zone entfernt, die uns von Nordkorea trennt. Diese Nähe sorgt natürlich für Diskussionen. Es gab in den vergangenen Monaten Störaktionen wie das Versenden von Beuteln voller Müll mittels Ballons, die im Großraum von Seoul gelandet sind und immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt haben. In unseren Gottesdiensten wird immer wieder der Frieden auf der Halbinsel thematisiert.
Auch die Frage, ob Südkoreas Demokratie nun zu zerbrechen drohe, haben Journalisten in Europa schon aufgeworfen. Teilen Sie diese Angst?
KRUMPEN: Südkorea ist grundsätzlich ein sehr sicheres Land. Ich habe keine Angst, dass die Demokratie hier zerbricht. Vielmehr sehe ich ein großes Potenzial, dass gerade durch diese Krise das Land zu stabileren demokratischen Strukturen kommt, sich also positiv weiter entwickelt. 300 Meter von meinem Schreibtisch aus findet gerade wieder ein lautstarker Protest statt, der nach und nach auch den Straßenabschnitt vor dem Kloster hier erreichen wird, weil immer mehr Menschen daran teilnehmen. Gerade diese vielen großen Demonstrationen hier zeigen, dass das koreanische Volk sehr wach ist und eine tiefe Sehnsucht hat, dass der Rechtsstaat stabil bleibt.
Abseits der aktuellen politischen Lage: Wie gut finden Sie sich nach mehr als zwei Jahren in der südkoreanischen Gesellschaft und Kultur zurecht? Was schätzen Sie besonders? Was ist vielleicht immer noch gewöhnungsbedürftig?
KRUMPEN: Die Begegnung mit Koreanerinnen und Koreanern ist immer wieder geprägt von kulturellen Unterschieden, die durchaus zu Missverständnissen führen können. Deutschland kennt etwa eine direkte Kommunikation und es wird Kritik offen geäußert. Korea mag lieber indirekte Kommunikation – Respekt und Harmonie sind sehr wichtig. Kritik wird subtil geäußert, um Konflikte zu vermeiden. Korea ist außerdem stark hierarchisch organisiert – das macht manchmal Entscheidungsprozesse schwierig. Das sind Punkte, die ich gerne als Lernfeld bezeichnen möchte. Wir erleben immer wieder, dass Verabredungen mit Koreanern gerne in Ort und Zeit verschoben werden. Auch daran gewöhnt man sich aber. Südkorea ist ein interessantes, modernes Land mit einer reichhaltigen Kultur – und immer wieder für Überraschungen gut.
Zur Person Diakon Dr. Edgar Krumpen leitet seit Sommer 2022 die deutschsprachige katholische Gemeinde in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Mit seiner Frau Christine lebt der 59-jährige ehemalige Königsbrunner dort in einer Klosteranlage der Franziskaner. Mit kurzzeitig ausgerufenem Kriegsrecht, dem daraufhin suspendierten Präsidenten und zahlreichen Demonstrationen steckt Südkorea in einer Krise.
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