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„Erinnerung an den Todesmarsch: Befreiung der Häftlinge Augsburg-Pfersee im Fokus“

Landkreis Augsburg

Todesmarsch vor 80 Jahren: 600 Menschen kämpfen ums Überleben

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    Über Bergheim, Burgwalden, Reinhartshausen schleppte sich der Elendszug von über 600 ausgemergelten und erschöpften Häftlinge bis nach Klimmach, wo sie von der US-Armee befreit und nach Schwabmünchen gebracht wurden.
    Über Bergheim, Burgwalden, Reinhartshausen schleppte sich der Elendszug von über 600 ausgemergelten und erschöpften Häftlinge bis nach Klimmach, wo sie von der US-Armee befreit und nach Schwabmünchen gebracht wurden. Foto: Reinhold Forster

    In einem Gastbeitrag beschreibt der ehemalige Lehrer am Gymnasium, Reinhold Forster, den Todesmarsch vor 80 Jahren.

    In einer Aufstellung des KZ Dachau vom 3. April 1945 sind für das KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee 1391 Häftlinge registriert. Am 17. April erreichte der Evakuierungsmarsch aus dem Arbeitskommando Lauingen mit 198 Häftlingen das Lager, um die gleiche Zeit erreichten wohl auch 148 Häftlinge aus dem Waldwerk „Blechschmiede“ bei Horgau das Lager, sodass die Zahl der Häftlinge auf etwa 1740 anstieg.

    In Klimmach endete der Todeszug: Die KZ-Häftlinge wurden von US-Soldaten befreit.
    In Klimmach endete der Todeszug: Die KZ-Häftlinge wurden von US-Soldaten befreit. Foto: Reinhold Forster

    Nachdem die US-Armee am 22. April die Donau überschritten hatte und auf dem Weg Richtung Augsburg war, wurde eine größere Gruppe von Häftlingen auf einen „Evakuierungsmarsch“ Richtung Süden getrieben. Er begann vermutlich am 23. April und führte über Bergheim, Burgwalden, Hardt bei Reinhartshausen und Waldberg nach Klimmach, insgesamt eine Wegstrecke von knapp 25 Kilometer. Dort wurden sie am 27. April von der US-Armee befreit und am nächsten Tag nach Schwabmünchen gebracht.

    In Burgwalden erinnert ein kleines Grabmal an die schrecklichen Eriegnisse.
    In Burgwalden erinnert ein kleines Grabmal an die schrecklichen Eriegnisse. Foto: Reinhold Forster

    Wie viele Häftlinge auf diesen Evakuierungsmarsch getrieben wurden, ist unklar, die meisten Zeitzeugen sprechen von etwa 1.200 Häftlingen, in Schwabmünchen wurden am 28.4.1945 aber nur knapp 500 (nicht-deutsche) Häftlinge registriert. Nachdem es auf dem Marsch anscheinend keine Erschießungen gab und auch nur wenige Häftlinge an Erschöpfung gestorben sind, liegt es nahe, von einer Gesamtzahl von etwa 600 Häftlingen auszugehen.

    Eine Liste mit den Toten hat der Schwabmünchner Pfarrer Johann Högel 1946 angefertigt
    Eine Liste mit den Toten hat der Schwabmünchner Pfarrer Johann Högel 1946 angefertigt Foto: ITS Bad Arolsen
    Auf dieser Skizze wurde festgehalten, wo die Toten auf dem Koen-Gelände in Schwabmünchen beerdigt wurden.
    Auf dieser Skizze wurde festgehalten, wo die Toten auf dem Koen-Gelände in Schwabmünchen beerdigt wurden. Foto: ITS, Archiv Bad Arolsen

    Während des Marsches starben nachweislich ein Häftling bei Bergheim, drei bei Burgwalden und zwei in Klimmach, in der Folge starben im Krankenhaus Schwabmünchen mindestens weitere 25 Häftlinge, vor allem an Tuberkulose, Fleckfieber und Typhus.

    Vor einigen Jahren reiste Witold Scibak in seine Vergangenheit: Zur Halle 116 im Augsburger Stadtteil Pfersee. Er hatte den Todesmarsch überlebt
    Vor einigen Jahren reiste Witold Scibak in seine Vergangenheit: Zur Halle 116 im Augsburger Stadtteil Pfersee. Er hatte den Todesmarsch überlebt Foto: Marcus Merk
    Diese Zeichnung hinterließ Witold Scibak bei einer Familie in Schwabmünchen, die ihm wieder auf die Beine half.
    Diese Zeichnung hinterließ Witold Scibak bei einer Familie in Schwabmünchen, die ihm wieder auf die Beine half. Foto: Repro Czysz
    Im Album der Familie hielt ein anderer Überlebender im Juli 1945 in wenigen Worten fest, was er erlebt hatte.
    Im Album der Familie hielt ein anderer Überlebender im Juli 1945 in wenigen Worten fest, was er erlebt hatte. Foto: Repro Czysz

    KZ-Außenlager Pfersee wurde Ende April befreit

    Die im Außenlager Pfersee verbliebenen Häftlinge wurden wohl im Laufe des 27. und 28. April befreit. Den unmenschlichen Haftbedingungen und den daraus resultierenden Krankheiten waren über 100 Häftlinge zum Opfer gefallen. Sie wurden auf dem Westfriedhof begraben und 1950 in den neu eingerichteten KZ-Ehrenhain umgebettet. Die meisten Häftlinge des KZ-Außenlagers Augsburg-Pfersee stammten aus Polen sowie aus „Sowjetrussland“, darunter vor allem auch aus der heutigen Ukraine. Die Mehrzahl von ihnen waren Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene, die wegen „Bummelns“ oder Fluchtversuchen in ein KZ eingewiesen wurden.

    Viele Resistance-Kämpfer aus Frankreich in Pfersee

    Die anderen Häftlinge kamen aus ebenfalls von Deutschland besetzten Gebieten, insbesondere aus Frankreich. Unter den französischen Häftlingen befanden sich viele Resistance-Kämpfer, die in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ aus französischen Gefängnissen in deutsche Konzentrationslager deportiert worden waren, so nach Natzweiler oder nach Sachsenhausen. Von dort wurden sie dann zur Arbeit bei den Messerschmitt-Werken nach Augsburg überstellt. Eine größere Gruppe der französischen Häftlinge stammte auch aus dem Rabodeau-Tal im Departement Vosges zwischen Belfort und Nancy: Dort waren bei einer Racheaktion der Deutschen für Widerstandsaktionen sämtliche Männer verhaftet und deportiert worden. Allein aus dem Ort Senones kamen so 27 der Augsburger Häftlinge, von denen elf die Befreiung nicht mehr erlebt haben. An sie erinnert heute noch in Senones ein Deportationsdenkmal.

    Sie wollten in Slowenien den deutschen Nachschub verhindern

    Viele Häftlinge des Augsburger Außenlagers stammten auch aus Slowenien: Die „Oberkrain“ um Jesenice und den Bleder See sowie die „Untersteiermark“ um Maribor waren 1941 von deutschen Truppen besetzt und in der Folge einer rigorosen Germanisierungspolitik unterworfen worden. Wer Widerstand leistete, wurde entweder sofort liquidiert oder in ein deutsches Konzentrationslager deportiert. Zu den slowenischen Häftlingen zählte auch der Priester Franc Puncer aus der Untersteiermark, der sich wie viele slowenische Geistliche für die Beibehaltung der slowenischen Sprache und Kultur eingesetzt hatte. Eine größere Gruppe slowenischer Häftlinge stammt zudem aus dem im September 1943 von dem Deutschen besetzten Ljubljana: Sie waren als „Eisenbahner“ tatsächlich oder auch nur vermeintlich an Sabotageakten gegen slowenische Eisenbahnstrecken beteiligt waren, um so deutsche Truppen- und Nachschubtransporte zu verhindern.

    Heute ist die Halle 116 ein Erinnerungsort. Früher war sie Teil des KZ-Außenlager Pfersee.
    Heute ist die Halle 116 ein Erinnerungsort. Früher war sie Teil des KZ-Außenlager Pfersee. Foto: Reinhold Forster

    Wenig bekannt ist, dass es auch etliche italienische KZ-Häftlinge gab: Sie kamen meist aus den Regionen Friaul, Triest, aber auch Istrien, wo sie Widerstand gegen die deutschen Besatzer geleistet hatten. Schließlich kamen auch viele Häftlinge aus Ungarn, das – obwohl mit dem NS-Staat verbündet – im März 1944 von den Deutschen besetzt worden war, um auch dort die „Endlösung der Rassenfrage“ rigoros umzusetzen. Betroffen hiervon waren neben der jüdischen Bevölkerung auch die zahlreich in Ungarn lebenden Roma. Während die ersten Deportationszüge noch in das Vernichtungslager Auschwitz fuhren, wurden spätestens ab Ende 1944 Juden und Roma zur Zwangsarbeit in deutsche Konzentrationslager deportiert, so auch nach Pfersee. Unter den 300 ungarischen Häftlingen waren 200 jüdische Ungarn sowie 30 Roma-Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren. Von diesen starben an Krankheit und Erschöpfung, nachdem sie wegen „fehlender Eignung“ in das Stammlager Dachau „rücküberstellt“ worden waren.

    Nach der Befreiung kehrten die deutschen und westeuropäischen Ex-Häftlinge in ihre Heimat zurück, die meisten polnischen und sowjetrussischen Häftlinge wurden durch die sowjetische Besatzungsmacht zwangsweise repatriiert und erlitten dabei häufig erneut Verfolgung als vermeintliche „Kollaborateure“. Einigen osteuropäischen Ex-Häftlingen, insbesondere aus der Ukraine und aus dem Baltikum, gelang es, sich dieser Zwangsrepatriierung zu entziehen: Sie blieben zunächst als „Displaced Persons“ in Deutschland, so auch in Augsburg, etwa im DP-Lager Hochfeld, bis sie nach Übersee, insbesondere in die USA auszuwandern konnten, um sich dort ein neues Leben aufzubauen.

    Gedenkfahrt zu den Orten des Geschehens

    Um an die Befreiung der Häftlinge des KZ-Außenlagers Augsburg-Pfersee zu erinnern, findet am Sonntag, 27. April, eine Gedenkfahrt auf den Spuren des Evakuierungsmarsches statt. Beginn ist 11 Uhr an der Halle 116. Um auch an die Befreiung des KZ-Außenlagers Pfersee zu erinnern, wird am Samstag, 3. Mai, ein Gedenkweg von der Halle 116 zum KZ-Ehrenhain auf dem Augsburger Westfriedhof statt organisiert. Beginn: 15 Uhr

    • Der Historiker Reinhold Forster war Lehrer am Gymnasium und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Augsburger Geschichte. Er gründete die Geschichtsagentur Augsburg, die sich kritisch mit der aktuellen Geschichts- und Erinnerungspolitik in Augsburg auseinandersetzt.
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