Ich spanne den Bogen, ziele und schieße.... direkt in die Mitte. Nicht nur in den mittleren Kreis, sondern genau durch das kleine Kreuz, das das Zentrum markiert. Ein „X-er“, wie mir Klaus Möritz, Vereinsvorstand des Bogenschießvereins BSC Lindach später erklärt. „Na, das hab’ ich auch noch nicht erlebt“, sagt er, als wir zum Pfeil laufen, um das Unerwartete zu begutachten. Denn das war nicht nur ein Volltreffer, sondern auch der allererste Schuss, den ich mit Pfeil und Bogen auf eine Zielscheibe abgegeben habe.
Das Vereinsheim des BSC Lindach liegt etwas außerhalb des kleinen Ortes nahe Dinkelscherben. Hinter der Einfahrt steht ein kleiner Pavillon, dahinter eine Wiese mit Zielscheiben und ein Waldstück. Ganz wie man einen Bogenschießplatz eben erwartet. Besonders macht den BSC Lindach aber eine blaue Halle rechts am Gelände.
Beim BSC Lindach können Vereinsmitglieder in einer Schießhalle üben
„Wir sind die einzigen hier in Schwaben, die eine eigene Schießhalle haben“, erzählt Möritz stolz. Und das, obwohl der Verein mit etwa 108 Mitgliedern verhältnismäßig klein sei. Darin wird das Training beginnen, sagt er, während er und seine Frau, Jugendtrainerin Renate Lehmberg, mich nach drinnen führen.
„Rechts- oder Linkshänder?“, fragt Möritz. „Rechtshänder“, sage ich. „Auge?“, fragt er weiter. „Eher rechts“, vermute ich. Er schaut mich kritisch an und lächelt. „Na, das testen wir erst mal.“ Er reißt ein Loch in ein Blatt Papier. Ich soll es mit ausgestreckten Armen so halten, dass ich die Uhr an der Wand durch das Loch sehe. Dann bewege ich das Blatt langsam zum Gesicht.

Das Auge, zu dem sich das Loch ausrichtet, ist mein dominantes Auge. „Ah, doch links“, sagt er. „Also solltest du entweder mit der linken Hand schießen oder das linke Auge immer geschlossen halten. Sonst entsteht eine Kreuzdominanz. Das heißt, du schießt mit der rechten Hand, aber dein linkes Auge zielt.“
Zur Ausrüstung zählt ein Unterarmschutz und ein Schießhandschuh
Ich entscheide mich für die linke Hand. Dann werde ich ausgestattet. Ich bekomme einen Armschutz. „Wenn die Sehne vor schnellt und der Arm nicht sauber gedreht ist, schlägt sie gegen den Unterarm“, erklärt der Vorsitzende. Einen Schießhandschuh für Ring-, Mittel- und Zeigefinder. Zuletzt den Bogen.

Weiter geht es mit der richtigen Grundhaltung. Die Füße stehen schulterbreit, die Hüfte ist senkrecht zur zehn Meter weit entfernten Schießwand. Mein rechter Arm hält ausgestreckt den Bogen. Möritz legt den ersten Pfeil ein. Mit den linken drei Fingern soll ich die Bogensehne bis zum „Anker“, meinem Kieferknochen, spannen, der Ellbogen geht gerade nach hinten. Ich löse aus, indem ich die Finger ausstrecke und den ersten Pfeil auf die leere Schießwand abfeuere.
Beim Schießen spürt man, wie viel Energie in so einem Pfeil steckt.
Ich höre den dumpfen Einschlag und muss direkt kichern. Erst jetzt merke ich, wie viel Adrenalin ich im Körper habe. Man spürt die Geschwindigkeit und Kraft, die in so einem Pfeil steckt, während man ihn abschießt. Und es ist anstrengend. Ein Schuss und meine Armmuskeln pochen. Dabei schieße ich mit einem Bogen, den normalerweise ältere Kinder verwenden.

Mein sogenannter Blankbogen wiegt 600 Gramm und hat ein Zuggewicht von 16 englischen Pfund, also 7,26 Kilogramm. „Die Erwachsenen fangen bei 18 bis 22 an. Wenn man mal aktiv ist, schießt man 35–40 Pfund“, erklärt Möritz. Ich behaupte einfach mal, ich benutze den Kinderbogen wegen meiner Körpergröße – nicht, weil mein Bizeps eher dekorativ ist.
Wie schnell die Pfeile werden, hänge von der Art des Bogens ab. Traditionelle Bogenarten, wie der Reiter-, Lang-, Primitiv-, Blank- oder Jagdbogen seien langsamer: „Unsere Jagdbögen haben nicht ganz 200 km/h“, sagt Möritz. Umso technischer der Bogen wird, umso mehr Power hat der Pfeil: „Der Compoundbogen kommt auf 320, 330 km/h.“

Der bekannteste Bogen ist der olympische Recurvebogen. Mit diesem Bogen werden auch die meisten Teilnehmer der deutschen Meisterschaft, die der BSC Lindach diesen September ausrichtet, schießen. Mit traditionellen Bögen schießt man auf 18 Meter, bei den technischen Bögen seien es 50 beziehungsweise 70 Meter.
Selbst der Anfängerbogen könnte durch eine Schweinehälfte schießen
Wie viel Gewalt hinter so einem Pfeil steckt, erklärt mir Möritz, als wir diese auf der Wand ziehen. Sie stecken etwa 15 Zentimeter tief in der Kunststoffmischung Ethafond. „Das hat die Konsistenz von einer Schweinehälfte.“ Genau wegen dieser Durchschlagskraft seien Sicherheit und Disziplin oberstes Gebot im Bogenschießverein, schärft er mir ein. Dann hängt er die Zielscheibe auf und ich gehe zurück zum Platz.
Nach meinem ersten glorreichen Schuss zeigt sich leider, dass ich kein außergewöhnliches Naturtalent bin. Je weiter ich zurückgehe, desto seltener treffe ich die inneren Ringe. Aber es macht immer mehr Spaß und die richtige Technik zu verwenden, fällt mir von Mal zu Mal leichter. Nach etwa einer Stunde erfahre ich dann, worauf der Bogenschießverein neben seiner Halle noch besonders stolz ist. Ich darf in dem im Wald gelegenen 3D-Parkour üben.

Auf etwa auf der Fläche eines halben Fußballfeldes sind Tierattrappen verteilt. Die Figuren baut und gestalte ein Vereinsmitglied aus alten Ethafond-Platten, sagt Möritz. Dort kann man über Sträucher und zwischen Bäumen durch, Abhänge hoch oder von Vorsprüngen herunter schießen.
Durch die unterschiedlichen Attrappengrößen ist noch mehr Abwechslung geboten. Im Wald „erlege“ ich einen Kunststoffbären-Bären, schieß einem falschen Adler durch den Fuß und verfehle den Ethafond-Raben nur knapp. Dort draußen im Wald, wo der Wind geht und die Vögel zwitschern, gefällt mir das Bogenschießen sogar noch besser – auch wenn ich keinen Volltreffer mehr lande.
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