Berlin, München, Brotdorf: Hier lernten die Nationalspieler das Kicken
Der Blick in den Kader der Nationalelf zeigt: Große Karrieren beginnen fast immer bei kleinen Vereinen. Welches Bundesland bei der Ausbildung vorne ist.
Nur Mats Hummels und Manuel Neuer haben direkt im Leistungszentrum eines großen Clubs begonnen. Alle anderen haben das Fußballspielen an der Basis gelernt. Auf Bolzplätzen und in kleinen Vereinen auf dem Dorf. Oder in Käfigen und auf Bezirkssportanlagen großer Städte.
Dort, wo in diesen Tagen die Kinder und Jugendlichen nach Corona voller Energie zurück auf die Plätze strömen. Zwei Dutzend von ihnen werden in 15 bis 20 Jahren selbst für Deutschland zu einem großen Turnier fahren.
Müllers erster Trainer lobt ihn als "Ausnahmetalent"
"Er war ein Ausnahmetalent", erinnert sich Alfred Greiner, Fußball-Abteilungsleiter des TSV Pähl, an den jungen Thomas Müller. "Er hat eine Saison in der Jugend gehabt, da hat er, wenn ich mich richtig entsinne, 120 Tore erzielt - in vielleicht 14 Spielen", sagt Greiner, der Müllers Weg "quasi von Geburt an verfolgt" hat. "Er spielt in jedem Fall recht frech", sagt Peter Hackl, sein erster Trainer - wobei er damit sowohl Müllers Auftreten auf dem Platz meint als auch seine Strategie beim Schafkopf, einem urbayerischem Kartenspiel.
Noch heute besucht Müller ab und an Spiele in Pähl, wenn sein Bruder Simon und seine Cousins in der A-Klasse Zugspitze 3 antreten - unangekündigt meist, um größere Aufläufe im 2400-Seelen-Ort zu vermeiden. Bis zur D-Jugend spielte Müller dort, ehe er zum FC Bayern München wechselte - ohne aber ins dortige Internat zu ziehen. Müller wohnte weiter zu Hause in der Gemeinde Pfaffenwinkel, machte im Nachbarort das Abitur, pendelte die gut 50 Kilometer zum Training in die bayerische Landeshauptstadt.
Im Jahr 2011, da war er längst Profi, organisierte er mit seinem Vater als langjährigem TSV-Vereinsmitglied ein Spiel seiner Bayern gegen die alten Freunde aus Pähl, das über 6000 Zuschauer verfolgten. Kürzlich haben sie dem Profi aus ihren Reihen die Ehrennadel für 25 Jahre Vereinsmitgliedschaft überreicht - ein Beleg für die tiefe Verwurzelung von Müller im malerischen Voralpenland.
Ilkay Gündogan unterstützt seinen Jugendverein finanziell
Auch Ilkay Gündogan hat seine fußballerischen Wurzeln nicht vergessen, auch wenn die völlig anders aussehen: Der Friedrich-Ludwig-Jahn-Platz in Gelsenkirchen ist eine typische Ruhrpott-Bezirkssportanlage mit einem Naturrasen und zwei Ascheplätzen, auf der sich seit den 70er-Jahren nicht viel verändert hat - bis gestern.
Da fiel der Startschuss für den neuen Kunstrasenplatz, maßgeblich mitfinanziert von Gündogan, der seine Meisterprämie von Manchester City investierte und so den Löwenanteil der 300.000 Euro trägt, den sein erster Club SV Gelsenkirchen-Heßler zum Bau beisteuern muss. "Als Ilkay hörte, dass sich viele Kinder abmelden, weil es keinen Kunstrasenplatz gibt, hat ihn das sehr getroffen", berichtete Ilhan Gündogan, Onkel und Manager des früheren Bundesliga-Profis, in Vertretung des in der EM-Vorbereitung befindlichen Profis beim Spatenstich.
Rüdigers Zeit im Berliner Käfig-Bolzplatz hat ihn geprägt
Gemein ist den Berichten über das frühe Wirken der Nationalspieler, dass diese schon in jungen Jahren herausgestochen seien: mit hohen individuellen Fähigkeiten, gutem Auge für die Mitspieler - und unbändigem Willen. Wie Antonio Rüdiger, den sein acht Jahre älterer Halbbruder Sahr Senesie zunächst nicht mitspielen lassen wollte im Käfig-Bolzplatz nahe der Sonnenallee in Berlin. "Auf solch einem Gummiplatz hilft dir keiner. Da gibt es keinen Schiedsrichter, du musst dich durchsetzen. Das habe ich früh gelernt, das hat mich geprägt, da bin ich stolz drauf", sagte Rüdiger im Rückblick auf die Zeit vor seinem ersten Vereinseintritt beim SC Sperber Neukölln. Heute ist Senesie, selbst einst Bundesliga-Profi bei Borussia Dortmund, Rüdigers Berater.
Baden-Württemberg stellt die meisten Nationalspieler
Erste Schritte auf hartem Großstadt-Pflaster sind, abseits der Ruhrpott-Kinder Leroy Sané und Leon Goretzka, aber eher die Ausnahme im aktuellen Kader von Joachim Löw. Auffällig ist die Herkunft-Ballung in der Südwest-Ecke der Republik: Begonnen bei Kai Havertz, dessem ersten Club Alemannia Mariadorf südwestlich von Köln auch die einstigen Bundesliga-Profis Rachid Azzouzi (heute Manager Greuther Fürth) und Hans-Peter Lehnhoff (einst Bayer Leverkusen) entsprangen. Mit acht vorwiegend ländlich geprägten Vereinen stellt das Bundesland Baden-Württemberg die meisten ersten Vereine der heutigen Nationalspieler - darunter RW Walldorf, wo der begnadete, aber übermütige Stürmer Niklas Süle in der Jugend einst zur Strafe in die Abwehr versetzt wurde, um dort sein volles Talent zu entfalten. Einziger "Niedersachse" im Aufgebot ist Marcel Halstenberg, der bei Germania Grasdorf vor den Toren Hannovers das Kicken lernte.
Lesen Sie dazu auch:
- Schlechtes Vorzeichen für DFB-Elf: Elefantenorakel sagt Frankreich-Sieg voraus
- Kompromisslos gut: Die Entwicklung des Antonio Rüdiger
- Kolumne: Wenn das schlechte Gewissen vibriert
- Jogi Löws selbst gemachtes Luxusproblem im Mittelfeld
Die Diskussion ist geschlossen.