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Sichtschutz für den Mitspieler: Während der am Boden liegende Christian Eriksen behandelt wird, postieren sich Yossuf Poulsen, Simon Kjaer, Thomas Delaney, Andreas Christensen und Jonas Wind sichtlich bewegt um den 29-Jährigen.

Fußball-EM 2021
14.06.2021

Ein Land im Schockzustand: Wie Dänemark auf den Eriksen-Kollaps reagiert

Von Florian Eisele

Der Kollaps Eriksens während der Partie gegen Finnland überschattet die Fußball-EM. Einen Tag danach kritisiert Trainer Kasper Hjulmand, dass weitergespielt wurde.

Das Sportliche vorab: Die Dänen wollen weiter an der Fußball-EM teilnehmen. Selbst ein freiwilliger Verzicht stand bis Sonntagnachmittag im Raum. In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz betonte Sportdirektor Peter Møller aber, dass es für die Skandinavier weitergehen wird: "Wir wollen weitermachen. Wir wünschen uns, dieses Turnier fortzusetzen."

Eine Mannschaft, die sich nach dem ersten Spiel bei einem großen Turnier genötigt fühlt, dies verlauten zu lassen, muss Extremes erlebt haben. Tatsächlich dürfte es wenig vergleichbare Situationen geben für das, was der dänischen Nationalmannschaft am Samstag in Kopenhagen widerfahren ist.

Der Ex-Wolfsburger Simon Kjaer wird als "Held von Kopenhagen" gefeiert

Geschehen ist das: Bei einem Einwurf kurz vor der Halbzeitpause bot sich Christian Eriksen an. Der Ball kam, Eriksen ging in dessen Richtung. Doch er erreichte ihn nicht. Stattdessen sank er einfach zu Boden und blieb regungslos liegen. Die finnischen Gegenspieler erkannten, wie ernst die Lage ist, riefen Sanitäter und Ärzte.

Eriksens Freund und Mitspieler, der Ex-Wolfsburger Simon Kjaer, reagierte geistesgegenwärtig. Er brachte Eriksen in die stabile Seitenlage. Mit einem Griff in den Mund verhinderte er, dass der Bewusstlose seine Zunge verschluckt. Kjaer sprintete an die Seitenauslinie zu Sabrina Kvist Jensen, der Partnerin von Eriksen, um sie zu beruhigen.

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Foto: dpa
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Dänemarks Kapitän Simon Kjaer tröstet Eriksens Partnerin.

Der Arzt der Dänen sagte über Eriksen: "Er war weg"

Vor den Augen der Zuschauer und der Weltöffentlichkeit rang der Star von Inter Mailand, mit einem Marktwert von 40 Millionen Euro wichtigster Spieler der Skandinavier, um sein Leben. Wie eng es tatsächlich war, sagte Team-Arzt Martin Boesen am Sonntag. Als die Frage gestellt wird, wie nahe Eriksen dem Tod war, antwortete Boesen: "Er war weg." Das Herz des 29-Jährigen – es hatte wirklich für einige Zeit aufgehört zu schlagen. Erst die Ärzte holten Eriksen mit einem Defibrillator zurück.

Den Überlebenskampf des Mittelfeldspielers erahnen die Spieler und Zuschauer einen Tag davor nur, doch selbst das reichte. Erneut ist es Kjaer, der in seiner Heimat seither als Held gefeiert wird, der seine Mitspieler dazu anweist, sich auf dem Platz kreisförmig aufzustellen, um einen Sichtschutz zu bieten. Das Entsetzen war einigen mehr als deutlich anzusehen. Einige, wie der Chelsea-Profi Andreas Christensen, verbargen immer wieder ihren Kopf im Trikot. Eriksen wird schließlich abtransportiert und das Spiel zur Halbzeit unterbrochen – ob und wie es weitergeht, war unklar.

Letztlich ist es Eriksen selbst, der entscheidet. Im Krankenhaus stabilisieren die Mediziner den Profi, der per Videotelefonie mit seinen Mitspielern spricht. Eriksen äußert offenbar einen Wunsch, der wohl gut gemeint, an diesem Abend aber deplatziert ist: Die Dänen sollen weiterspielen. Es ist eine von zwei Möglichkeiten, die die Regularien der Uefa den beiden Teams für einen solchen Fall bieten: Entweder das Spiel geht am selben Tag weiter – oder am nächsten Tag um 12 Uhr mittags.

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Foto: Friedemann Vogel, dpa
Foto: Friedemann Vogel, dpa

Pierre-Emile Hojbjerg vorne von Dänemark scheitert mit einem Elfmeter an Torhüter Lukas Hradecky von Finnland.

Dänemark konsterniert: Höjbjerg verschießt, Kjaer lässt sich auswechseln

Wie sehr die Dänen mit den Nerven fertig waren, offenbarte sich in mehreren Situationen. Etwa, als Pierre-Emile Höjbjerg den Elfmeter kläglich vergibt. Nach einer Stunde Spielzeit verlassen auch den Helden von Kopenhagen die Kräfte: Simon Kjaer bittet um seine Auswechslung. Am Ende steht eine 0:1-Niederlage gegen Finnland. Selbst der Torschütze, Joel Pohjanpalo von Union Berlin, freut sich nur sehr verhalten über seinen Treffer.

An der Entscheidung, weiterspielen zu lassen, gibt es nun massive Kritik. Peter Schmeichel, der Vater des aktuellen Keepers Kaspar Schmeichel, sagte der BBC: "Es ist absolut lächerlich, dass die Uefa mit einer Lösung wie dieser dahergekommen ist." Die Uefa hätte ein anderes Szenario finden und "ein bisschen mehr Mitgefühl" zeigen können. Druck vonseiten des Verbandes habe es, das betonen beide Teams, nicht gegeben. Letztlich haben es beide Teams, wie Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand sagte, "hinter sich bringen wollen". Mittlerweile denkt der Coach anders. Das bekräftigte er am Sonntag unmissverständlich: "Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass wir wieder auf dem Platz hätten sein sollen."

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Foto: Oliver Dietze/dpa
Foto: Oliver Dietze/dpa

DFB-Mannschaftsarzt Tim Meyer.

Laut DFB-Arzt Tim Meyer gibt es ein engmaschiges Präventionsnetz

Eine der Fragen, die nun offen bleiben: Wie konnte es zu dem Kollaps von Eriksen kommen? Laut Tim Meyer, dem Teamarzt der deutschen Nationalmannschaft, gibt es in Europa ein engmaschiges Präventionsprogramm. Damit werden Leistungssportler regelmäßig auf Herzprobleme untersucht. Das System aus Italien, wo Eriksen bei Inter Mailand unter Vertrag steht, gelte sogar als besonders vorbildlich und habe "als Blaupause für verschiedene Empfehlungen im europäischen Bereich" gegolten. Auch in Deutschland werden große Anstrengungen unternommen. Meyer betont aber auch: "Wir können versuchen, mit einem gesunden Kosten-Nutzen-Verhältnis so viele Fälle wie möglich zu vermeiden."

Die Anteilnahme, die aus allen Bereichen für Eriksen kam, war überwältigend: Schon während des Spiels hatten finnische und dänische Fans zusammen den Namen Eriksens skandiert. Auch die deutsche Nationalmannschaft sendete über die sozialen Medien Genesungswünsche. Der Schock bei der DFB-Auswahl war ebenfalls groß, wie Antonio Rüdiger sagte: "Es war ein Schock für uns alle, das zu sehen. Gott sei Dank ist er wieder in einem stabilen Zustand."

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