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Interview
27.10.2019

Ex-Bundestagspräsident Thierse: "Wir müssen sehen, was wir geleistet haben"

Wolfgang Thierse: "Ich hatte noch im Laufe des November 1989 keine Vorstellung davon, wie schnell die deutsche Einheit kommen würde."
Foto: Marijan Murat, dpa (Archiv)

Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse spricht über Helmut Kohls Versäumnisse bei der Vereinigung und das Minderwertigkeitsgefühl der Ostdeutschen.

Herr Thierse, Deutschland begeht den 30. Jahrestag des Mauerfalls, wie haben Sie den Abend des 9. November 1989 erlebt?

Wolfgang Thierse: Ich war zu Hause und habe einen Bericht von dieser ominösen Pressekonferenz gesehen. Das konnte ich zunächst aber gar nicht glauben. Ganz einfach weil wir uns angewöhnt hatten, nichts mehr zu glauben, was die SED-Führung mitteilt. Im Laufe des Abends sahen wir dann Bilder von der offenen Grenze an der Bornholmer Straße. Aber unsere kleinen Kinder schliefen, und wir dachten: Wenn das alles stimmt, wollen wir dieses glückliche Ereignis als Familie erleben.

Wann ging es dann rüber nach West-Berlin?

Thierse: Auch am nächsten Abend hatte ich keine Zeit, da musste ich zu einer Versammlung des Neuen Forum in der Gethsemanekirche. Also wurde es noch mal einen Tag später. Aber das war dann eine beglückende Erfahrung, von wildfremden Menschen in West-Berlin mit Sekt empfangen und in den Arm genommen zu werden. Das war eine Stimmung in der Stadt, die unwiederholbar ist.

Was war Ihre größte Hoffnung damals nach dem Mauerfall?

Thierse: Ich will mich im Nachhinein nicht belügen. Ich hatte noch im Laufe des November 1989 keine Vorstellung davon, wie schnell die deutsche Einheit kommen würde. Ich war gespannt darauf, wie sich das in der DDR verändert. Darin lag mein politisches Interesse. Deshalb war ich im Neuen Forum. Deshalb bin ich Anfang Januar 1990 in die neu gegründete sozialdemokratische Partei in der DDR eingetreten, um die DDR offen zu gestalten. Spätestens mit den Volkskammerwahlen im März 1990 war dann klar, das läuft auf eine schnelle Vereinigung zu. Deshalb galt es, die Interessen der Ostdeutschen im Prozess zur Einheit so vernünftig und energisch wie möglich zu vertreten.

Nach 30 Jahren, wo liegt Ihre größte Enttäuschung mit Blick auf die deutsche Einheit?

Thierse: Es herrscht jetzt diese eigentümliche illusionäre Kritik, im Nachhinein zu sagen, es wäre viel mehr möglich gewesen. Wir hatten im Jahr 1990 nicht die Chance, eine deutsche Vereinigung Schritt für Schritt über den Zeitraum von zwei bis vier Jahren zu gestalten, wie wir Sozialdemokraten das ursprünglich wollten. Die Beschleunigungsfaktoren waren zu erdrückend. Erstens: Die Ungeduld der DDR-Bürger, zusammengefasst in dem Satz: „Kommt die D-Mark nicht zu uns, dann kommen wir zu ihr.“ Zweitens: Der sich beschleunigende Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft. Drittens: Die außenpolitische Ungewissheit über die Zukunft von Michail Gorbatschow in der Sowjetunion. Wir hatten gar nicht die Zeit für eine Verfassungsdiskussion.

Sie haben Ihren Unmut früh geäußert. Was hat Sie damals irritiert?

Thierse: Was mich geärgert hat, habe ich schon 1991 im Bundestag erklärt: Die im Westen haben damals einfach nicht begriffen, dass das unerhörte Glück der deutschen Einheit uns die Chance und Verpflichtung gibt, das gemeinsame Land zu reformieren. Unumstritten ist: Das war keine Vereinigung von zwei Gleichen. Da kamen ein erfolgreiches System und ein gescheitertes System zusammen. Unter solchen Umständen sind die Gewichte klar verteilt. Da sind Schuldzuweisungen – zumal moralische – ziemlich unsinnig. Aber diese selbstverständliche Abwehr gegen jegliche Veränderung im Westen, das hat mich ungemein geärgert.

Der Weg zur deutsch-deutschen Einheit war von wirtschaftlichen und politischen Fragen geprägt. Was hat damals ideell gefehlt?

Thierse: Es hat zu wenig das gegeben, was ich damals auch gefordert habe: dass Ost- und Westdeutsche sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten erzählen. Dann wäre klar geworden, dass die im Westen nicht alle Erfolgsgeschichten aufweisen und die im Osten nicht alle Niederlagen und Schurkengeschichten zu erzählen haben. Das muss viel häufiger geschehen. Der weitere Prozess der Einheit muss auch jetzt noch vielmehr ein kultureller und kommunikativer Prozess sein.

Die Webfehler der deutschen Einheit schlagen sich heute auch in den Wahlergebnissen nieder. Wie lautet Ihre Analyse der Erfolge der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland?

Thierse: Wir erleben einen merkwürdigen Zwiespalt. Diejenigen, die in Ostdeutschland wütender Stimmung sind und AfD wählen, sind nicht allein jene, die arbeitslos sind. Das ist eine Mischung aus drei unterschiedlichen Gruppen. Erstens: Es hat im Osten Deutschlands, wie auch in anderen Ländern, immer einen bestimmten Prozentsatz von autoritär denkenden, staatsgläubigen, minderheitenfeindlichen Menschen gegeben. Die zweite Gruppe sind jene, die tatsächlich in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands leben, in denen häufig junge Menschen abwandern. Die, die zurückbleiben, tragen oft ihre Wut und Enttäuschung zur AfD.

Und die dritte Gruppe?

Thierse: Das ist der möglicherweise interessanteste Teil: Nach meiner Überzeugung führen nicht allein ökonomische und soziale Ursachen zur Wahl der AfD, sondern kulturelle Gründe. Angesichts der Dramatik der Veränderungen der Gegenwart – Globalisierung, Flüchtlingsbewegung, digitale Transformation, ökologische Bedrohungen, die Weltunordnung im Allgemeinen. Diese Veränderungsdramatik trifft in Ostdeutschland auf einen gerade unter Schmerzen bestandenen Prozess der Transformation von einer Diktatur in eine offene Gesellschaft. In Ostdeutschland ist die Verunsicherung durch diese Veränderungsdynamik ungemein größer und damit auch die Verführbarkeit der Menschen. Die Sehnsucht nach einfachen Antworten, die Sehnsucht nach einem starken Staat – das genau bedient die AfD.

Inwiefern kann die AfD dabei auf einem spezifischen DDR-Staats- und Gesellschaftsverständnis aufbauen?

Thierse: Da schwingt auch eine autoritäre Prägung mit. Alles von denen da oben zu erwarten, das beruht auf einer langen Erbschaft von 40 Jahren SED-Diktatur und noch älteren Prägungsschichten. Diese Stimmung ist 1989/90 von Helmut Kohl auch bedient worden. Er hat der deutschen Einheit eine patriarchale Prägung gegeben mit dem Versprechen der blühenden Landschaften. Die Mehrheit der Ostdeutschen wollte dieses Heilsversprechen glauben. Die Mehrheit der Menschen wollte sich damals in ihrer Unsicherheit schlicht unter das rettende Dach der Bundesrepublik flüchten. Aber je mehr man an die Versprechungen geglaubt hat, umso mehr folgen – mit unterschiedlichen Verzögerungen – die Enttäuschungen.

Verstellt das auch den Blick auf das Erreichte?

Thierse: Was ich beklage und mit großem Unwillen wahrnehme, ist die Unfähigkeit und Unwilligkeit zur positiven Selbstwahrnehmung bei einem großen Teil der Ostdeutschen. Nämlich zur Wahrnehmung dessen, was wir geleistet haben in 30 Jahren, eine gewaltige Transformation zu bewältigen – und zwar unter Schmerzen und unter Opfern.

Was meinen Sie damit konkret?

Thierse: Nicht alles ist erfolgreich gewesen, aber insgesamt ist doch vieles gelungen. Wir müssen endlich lernen, unser zählebiges Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem Westen abzulegen. Der Westen war immer der erfolgreichere Teil. Wir blicken immer nur nach Westdeutschland und stellen fest: Wir liegen immer noch zurück. Ich wünsche mir gelegentlich, dass wir auch zu unseren östlichen Nachbarn blicken und feststellen, dass wir im Osten Deutschlands doch einiges erreicht haben. Um den Maßstab ein bisschen zu relativieren.

Was liegt denn noch vor dem Land, um die Einheit zu vollenden?

Thierse: Vielleicht ist die Vollendung der Einheit ein asymptotischer Prozess. Aber es gibt für mich zwei Kriterien. Wenn die ökonomisch-sozialen Unterschiede zwischen Ost und West ungefähr so groß sind wie zwischen Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Es gab immer strukturelle Unterschiede in Deutschland. Das zweite Kriterium wäre, wenn die Lebensleistungen nach 1990 mehr zählen als die Biografieanteile von vor 1990. Zwei schlichte Kriterien, die in meinen Augen erfüllbar sind, in nicht allzu weiter Ferne. Das damit noch immer nicht alle Unterschiede und Unzufriedenheiten überwunden sind, ist selbstverständlich.

Zur Person: Wolfgang Thierse, 76, tritt im Januar 1990 der neu gegründeten ostdeutschen SPD bei. Nach der Einheit zieht er für die Partei in den Bundestag ein. Von 1998 bis 2005 ist er Präsident des Bundestags. Thierse ist zudem Mitglied des Zentralrats der deutschen Katholiken.

Unser Special "30 Jahre Mauerfall": Alle Artikel finden Sie hier in der Übersicht.

Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, stellt unsere große Sonderbeilage zu 30 Jahren Mauerfall in Print und Digital vor. Diese Geschichten finden Sie darin.
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