Doping-Affäre um Eiskunstlaufstar nimmt fast schon komödiantische Züge an
Kamila Walijewa darf starten, obwohl sie unter Dopingverdacht steht. Experte Fritz Sörgel findet das nachvollziehbar – ganz im Gegensatz zur Ausrede der Anwälte.
Er sei dann doch etwas verwundert gewesen ob der Verteidigungsstrategie von Kamila Walijewas Anwälten, sagt Fritz Sörgel. Der Pharmakologe ist einer von Deutschlands profiliertesten Dopingexperten und er hält die nun vorgebrachte Wasserglas-Theorie für absurd. Im Körper der Eiskunstläuferin war im Vorfeld der Winterspiele das verbotene Herzmittel Trimetazidin gefunden worden. Diese Nachricht erreichte die Öffentlichkeit allerdings erst, als die Wettbewerbe schon begonnen und Walijewa Gold mit der russischen Mannschaft gewonnen hatte. Es entbrannte ein juristischer Streit, den der Internationale Sportgerichtshof Cas vorerst beendete und Walijewas erlaubte, auch im Einzel anzutreten. Als Führende nach dem Kurzprogramm geht sie am Donnerstag in die Kür. Das Ergebnis werde nach IOC-Angaben aber als vorläufig gelten und mit einem Sternchen versehen. Dies gelte für den Zeitraum der laufenden Ermittlungen.
Angeblich, so behaupten es die Anwälte der Eiskunstläuferin, habe die Sportlerin verhängnisvollerweise aus einem Wasserglas getrunken, das zuvor auch ihr Großvater benutzt hatte. Da der das Herzmittel Trimetazidin nimmt, sei der Stoff über den am Glas haftenden Speichel in den Körper der Enkelin geraten. Diese Verkettung höchst unglücklicher Umstände hält Sörgel für mehr als unwahrscheinlich. „Da kann man eigentlich nur lachen. Es ist aber auch eine ganz hinterhältige Geschichte“, sagt der Dopingexperte. „Denn wenn ich das so darstelle, schütze ich mich natürlich als Verband vor dem Vorwurf des Dopings. Die arme Familie hat jetzt den Schwarzen Peter, weil die sind die Zeugen. Was sollen die jetzt machen? Alles abstreiten?“
Berühmt-berüchtigte Trainerin soll aus der Schusslinie genommen werden
Indem der Großvater als Schuldiger ausgemacht wurde, soll wohl auch die berühmt-berüchtigte Eiskunstlauf-Trainerin Eteri Tutberidse geschützt werden. Deren Markenzeichen ist gnadenloser Drill. Zahlreiche Karrieren zerbröselten unter ihrem Kommando schon zu Staub. Schmale und leichte Körper brauchen die Tutberidse-Mädchen, um Vierfachsprünge mit dieser unvergleichlichen Schwerelosigkeit und Eleganz zu zeigen. Es scheint nun aber so, dass auf dem Weg zu diesen Leistungen auch der Einsatz verbotener Medikamente ein probates Mittel war und ist. Passenderweise taucht im Umfeld von Wali-jewa und Tutberidse seit dem vergangenen Jahr der Sportarzt Filipp Schwetski auf. Er hat in seiner Vita das Geständnis stehen, im Jahr 2007 russischen Ruderern Medikamente intravenös verabreicht zu haben, und wurde deshalb vorübergehend gesperrt.
Für Sörgel ist Walijewa in diesem komplizierten Spiel ein „Opfer des Systems. Das ist so, wie es auch in der DDR schon war. Da wurden die Substanzen an die Sportlerinnen und Sportler verteilt und hier ist es nicht anders.“ Erstaunlich sei nur, dass eine derart exponierte Athletin erwischt worden ist. Vergleichbare Kaliber hätten normalerweise ausreichend qualifiziertes medizinisches Personal zur Hand, das die Medikation an den Kontrollen vorbeisteuere. Diesmal misslang das ganz offensichtlich und Walijewa darf nur noch unter Vorbehalt weiter starten. Der Cas argumentierte, dass man erst prüfen müsse, ob die Russin tatsächlich gedopt gewesen sei. Und solange die Möglichkeit eines Freispruchs besteht, dürfe man ihr nicht die Teilnahme verwehren.
Wahrscheinlich muss sie ihre Goldmedaille wieder abgeben
Vieles deutet aber darauf hin, dass sie ihre Goldmedaille aus dem Mannschaftswettbewerb und die mögliche Einzel-Medaille in einigen Monaten wieder abgeben muss. Trotzdem sei das Urteil nachvollziehbar, findet Sörgel. „Wenn sie jetzt gesperrt und später freigesprochen wird, dann wäre das fatal. Jetzt läuft es quasi so, wie es normalerweise läuft: Sie nimmt an dem Wettbewerb teil und nachträglich wird nachgewiesen, dass sie gedopt war.“
Einen nachträglichen Freispruch hält der Experte für nahezu ausgeschlossen. „Am ehesten vielleicht noch wegen einer Kontamination der Probe. Das hätte ich ohnehin als Verteidigungsstrategie erwartet und nicht so eine Story mit dem Wasserglas. Das ist ja schon fast komödiantisch.“ Pharmakologisch sei es nahezu ausgeschlossen, dass das Herzmittel Trimetazidin über minimale Speichelmengen an einem Glas übertragen wird.
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