Die Idee vom gemeinsamen Wohnen
Genossenschaft oder Syndikatslösung: Kooperative Bau- und Wohnprojekte könnten zukunftsfähige Lösungen sein - sofern man bereit ist, Kompromisse einzugehen.
Wer vom Wohnen spricht, ist schnell beim Thema Geld. Seit Jahren kennen Miet-, Haus- und Grundstückspreise nur noch eine Richtung: nach oben. Besonders in den Städten macht sich das bemerkbar. In den Ballungsräumen treffen hohe Wohnkosten auf zu wenig Wohnraum. Dieses Phänomen ist längst nicht mehr nur in Metropolregionen wie München und Berlin zu beobachten. Auch in Augsburg hat sich die Situation in den vergangenen Jahren verschärft.
Hilde Strobl lebt seit vielen Jahren in Augsburg und in München – zur Miete. Als Kuratorin im Architekturmuseum in München beschäftigt sie sich täglich mit der Frage: Wie wohnen wir? 2016 konzipierte sie eine Ausstellung mit dem Titel „Keine Angst vor Partizipation! Wohnen heute“. Schwerpunkt waren zwölf Projekte kooperativen Bauens mit unterschiedlichen Organisationsformen – unter anderem die Form der Genossenschaft. Strobl stellte sich die Frage, ob eine privat gegründete Genossenschaft auch in Augsburg umsetzbar wäre. „Mich fasziniert die Grundidee einer Genossenschaft“, sagt Strobl. „Ich bin nicht Eigentümer, sondern Anteilseigner. Das ist einer der Unterschiede zu Baugruppen, wo Menschen ihr Kapital zusammennehmen und so günstiger bauen können. Beim Konzept der Genossenschaft entziehe ich dem Markt quasi ein Stück Grund, da der Preis nicht marktüblich steigen wird.“
Vielseitige Wohnvision
Nach der Ausstellung in München blieb die Idee, eine Genossenschaft in Augsburg zu gründen. Zahlreiche Beispiele in Berlin, Zürich oder Wien machen vor, wie vielseitig so eine Wohnvision umgesetzt werden kann. „Die einen haben ein Schwimmbad im Keller, die anderen eine Bühne und Proberäume. Es lassen sich auch Ideen für altersgerechtes Wohnen mit einbeziehen“, sagt Strobl. Dabei geht es ihr nicht darum, in einigen Jahren sagen zu können „super, wir haben es jetzt billig und schön“. Viele bestehende Genossenschaften haben gezeigt, wie wertvoll das für ein ganzes Wohnquartier sein kann. Sei es, weil es dort eine Kita, Einkaufsmöglichkeiten oder ein kulturelles Angebot gibt.
Eine ähnliche Wohnvision lebt Stefanie Metzger. Sie ist im Oktober vergangenen Jahres umgezogen. In eine Wohnung, von der sie weiß, dass die Miete auch in zehn Jahren nicht steigen wird. Sie hat keine Nachbarn, sondern Mitbewohner, mit denen sie sich im Gemeinschaftsraum treffen kann. Sie hat keinen Vermieter, der Vorschriften macht. „Eigenbedarf“ und „Kündigung“ kommen in ihrem Wohnverhältnis nicht vor. Metzger und ihre elf Mitbewohner haben es geschafft und ihre Idee vom gemeinsamen Wohnen umgesetzt. Hinter ihnen liegen anstrengende und nervenaufreibende Jahre. Ende Februar sollen die vorerst letzten Bauarbeiten abgeschlossen sein.
Von bunten Treffen zur Vereinsgründung
Aber der Reihe nach: 2015 traf sich eine Gruppe junger Leute in Augsburg, die eine Sache besonders verband: Alle lebten in Mietwohnungen und für alle war das keine langfristige Lösung. „Unsere ersten Treffen waren sehr bunt“, erinnert sich Metzger. „Es musste sich erst herauskristallisieren, wer sich was vorstellen kann.“ Also diskutierten sie verschiedene Konzepte. Kommune, Wohngemeinschaften, einzelne Wohnungen. Von Treffen zu Treffen wurde die Idee konkreter und es bildete sich eine Kerngruppe, die kurz darauf den Verein „Unser Haus e.V.“ gründete. „Wir haben uns letztendlich für ein Syndikatsmodell entschieden“, sagt Metzger.
In den 1980er-Jahren entstand das Mietshäuser-Syndikat. Ein Verbund aus mittlerweile über 140 autonomen Hausprojekten in ganz Deutschland, die der Wunsch nach selbstbestimmten Wohnen und Leben verbindet – langfristig und in einem von den Bewohnern selbst entworfenem Konzept.
Die Augsburger bekamen über das Netzwerk des Mietshäuser-Syndikats Beratung und Unterstützung bei den ersten Schritten zum selbstbestimmten Wohnen. Dann ging alles sehr schnell. „Ein Grundstücksbesitzer meldete sich bei uns, dass er sein Grundstück mit zwei Gebäuden am Katzenstadel in Augsburg gerne verkaufen würde“, sagt Metzger. „Das Vorderhaus war vom Zustand her in Ordnung, das kleinere Hinterhaus kernsanierungsbedürftig.“ Nachdem die finanziellen Mittel aus Privatdarlehen und Krediten zusammengekratzt waren, kaufte der Verein das Grundstück. Die Bauphase begann.
Bis zum Schluss spannend
Wenn Stefanie Metzger über diese Zeit spricht, hört man deutlich heraus, dass es Nerven gekostet hat. „Besonders das Koordinieren der ganzen Baustelle und dann der Ärger mit den Firmen“, sagt sie. Für 800 000 Euro saniert der Verein die beiden Häuser – und schafft so Wohnraum nach den eigenen Vorstellungen. „Natürlich mussten wir Kompromisse machen“, sagt Metzger. „Aber im Großen und Ganzen sind wir sehr zufrieden.“
Trotzdem würde sie beim nächsten Mal einiges anders machen. „Wenn ich noch mal am Anfang stehen würde, dann würde ich mich nicht mehr auf ein so großes Bauvorhaben einlassen und mir die Firmen genauer anschauen.“ Vermutlich wird sie das aber nicht tun müssen, denn solange sie möchte, hat sie ihr Zuhause, ihre Wohnung am Katzenstadel. Insgesamt wohnen zwölf Leute in Einzelwohnungen und WGs auf dem Grundstück.
Grundstückskauf, Sanierung, Einzug – das alles ist für Hilde Strobl noch Zukunftsmusik. „Wir sind in der Vorgründungsphase“, sagt Strobl. „Das heißt, wir haben uns in einer offenen Gruppe getroffen und Ideen und Vorstellungen gesammelt. Im nächsten Schritt wollen wir ein Konzept erarbeiten.“
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