Von der Idee zum Hilfswerk
Ellinor Holland rief 1965 die Kartei der Not ins Leben. Ihre Töchter führen ihre Arbeitfort und konnten 2016 ein ganz besonderes Haus eröffnen.
Im Jahr 1965 wurde mit dem Mont-Blanc-Tunnel der damals längste Straßentunnel der Welt eröffnet. Bei den Bundestagswahlen erhielt die Union über 47 Prozent der Stimmen, die SPD landete bei knapp 40. Bob Dylan veröffentlichte den Song „Like a Rolling Stone“ und die Beatles brachten ihr fünftes Album „Help!“ auf den Markt. Auch die Geschichte der Kartei der Not geht bis in dieses Jahr zurück.
Zwei Jahrzehnte nach Kriegsende geht es den meisten Menschen dank des Wirtschaftswunders gut, die Arbeitslosenquote ist auf einem historischen Tiefstand. Doch nicht alle profitieren vom wachsenden Wohlstand, über manches Schicksal, etwa das von Kriegsversehrten oder Menschen mit Kinderlähmung, berichtet damals die Sozialredaktion der Augsburger Allgemeinen.
Mehr als 40 Millionen Euro für Bedürftige
In den Tagen vor Weihnachten schließlich wird die „Aktion Weihnachtsfreude für Gelähmte“ ins Leben gerufen. Zahlreiche Sachspenden von Lesern wie Kleidung, Spielsachen, Fernseher, Radios oder Bücher, die an Bedürftige weitergeleitet werden, gehen ein. Aus dieser Idee ist ein Hilfswerk entstanden, das seitdem Bedürftige mit bisher weit mehr als 40 Millionen Euro unterstützen konnte. Was so alles aus einer Vision der Nächstenliebe entstehen kann.
Ellinor Holland, die Tochter des Zeitungsgründers Curt Frenzel, war es, die die Kartei der Not ins Leben gerufen hat und als Kuratoriumsvorsitzende für das stetige Wachstum des Hilfswerkes verantwortlich war. Aus den anfänglichen Sachspenden wurden bald Geldspenden, zahlreiche Aktionen entstanden, die Gelder für die Kartei der Not einsammelten. Da sämtliche Personal- und Verwaltungskosten von der Augsburger Allgemeinen übernommen werden, kommen alle Spenden zu 100 Prozent auch bei den Bedürftigen an. Da gibt es beispielsweise den schon traditionellen vorweihnachtlichen Spendenmarathon von Hitradio RT1, bei dem im Dezember letzten Jahres über 360 000 Euro zusammenkamen – ein neuer Rekord.
Schnell und unbürokratisch
In der Vergangenheit wurde bei unzähligen kreativen Veranstaltungen gespendet, sei es bei Fußballspielen der Datschiburger Kickers, bei der Versteigerung von Werken regionaler Künstler, bei Konzerten, Basaren und Benefizläufen, bei einem Weihnachtsbaum-Weitwurf-Wettbewerb, dem Augsburger und dem Allgäuer Presseball oder einem Zwetschgendatschi-Verkauf: Der Ideenreichtum der Hilfsbereitschaft kennt keine Grenzen.
Rund 2500 Anfragen erhält die Kartei der Not jährlich, meistens kann sie schnell und unbürokratisch helfen. Doch die Töchter von Ellinor Holland, Ellinor Scherer und Alexandra Holland, die nach dem Tod ihrer Mutter 2010 den Kuratoriumsvorsitz und die Stellvertretung übernommen haben, hatten noch eine weitere Vision: Häufig kann ein Geldbetrag schon viel helfen, manchmal ist aber mehr Unterstützung notwendig. Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, wollten sie weiter unterstützen und ein vorübergehendes Zuhause geben.
Ellinor-Holland-Haus hilft auf dem Weg in die Normalität
2016 konnte das Ellinor-Holland-Haus im Augsburger Textilviertel seiner Bestimmung übergeben werden. Bis zu drei Jahre bekommen die Menschen hier Zeit, wieder zurück in die Eigenständigkeit zu finden. Die Einzelfallhilfe bleibt zwar weiterhin die wichtigste Säule der Stiftungsarbeit, doch im Ellinor-Holland-Haus ist Hilfe auf einer ganz anderen Ebene möglich. Alleinerziehende Mütter oder Familien, deren Leben durch einen Schicksalsschlag aus den Fugen geraten ist, werden von pädagogischen Fachkräften begleitet und können so in der Einrichtung ihren Weg in die Normalität starten.
„Die Not wird auch vor unserer eigenen Türe größer. Es ist unsere Aufgabe, uns für Menschen einzusetzen, die schwere Zeiten durchleben. Das war auch immer das Anliegen unserer Mutter“, sagte Alexandra Holland anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Kartei der Not mit Blick auf das neue Haus. Die Aufgaben werden der Kartei der Not sicher nicht ausgehen. „Fehlende bezahlbare Wohnungen etwa, oder Altersarmut und das Auseinanderbrechen von Familien sorgen dafür, dass die Hilfe durch die Kartei der Not weiterhin dringend benötigt wird“, ist sich Arnd Hansen, der Geschäftsführer des Leserhilfswerks, sicher. Eine Welt, in der die Kartei der Not nicht mehr nötig ist, das wird wohl eine Vision bleiben.
„Wir brauchen den Mut, größer zu denken“
Sonderbeilage "Visionen"
Lesen Sie hier unsere Sonderbeilage „Visionen“
Sonderbeilage "Visionen"
Lesen Sie hier unsere Sonderbeilage „Visionen“
Abi und jetzt?
Gerade Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien wagen den Schritt an Universität und Hochschule nicht. ArbeiterKind.de ermutigt zum Studium.