Zu schade für die Mülltonne
Für den Naturschutzbund sammelt Ulla Hazijenko alte Korken. Was mit dem vermeintlichen Müll weiter passiert - und wer alles davon profitiert.
Mitten im neuen Wohngebiet am Reesepark steht ein Reihenhaus – weiß-grau wie jedes andere. Davor streckt ein kahler Baum seine Äste über den Eingangsbereich. Nur durch genaues Hinsehen fällt eine grüne Box vor dem Zaun auf. Die mit Milchglas versehene Haustüre öffnet sich. Ulla Hazijenko kommt heraus. Bei einem Kaffee am Wohnzimmertisch gerät sie einige Minuten später in Plauderlaune.
Sie erzählt, dass sie den Tag gerne mit ihren Freunden bei einem guten Gläschen Wein ausklingen lässt. Sie ist eine richtige Weinliebhaberin. Lange landeten die Korken bei ihr im Keller. Beim Hausputz fand Hazijenko im vergangenen Jahr die Sammlung wieder. All die Verschlüsse wegzuwerfen kam für sie nicht infrage.
Korkampagne des Deutschen Naturschutzbundes
Sie will die Umwelt schützen, ohne sich völlig zu verbiegen. Mit einem Lächeln beschreibt sie die Geburtsstunde ihrer Idee: „Viele Visionen fangen damit an, dass sich jemand denkt: Da muss es was Besseres geben.“ Im Internet fand sie die sogenannte „KORKampagne“ des Deutschen Naturschutzbundes. Das Konzept sagte Hazijenko zu: Jeder kann Korken bei Sammelstationen abgeben. Von dort aus bringt der Paketdienst Hermes sie kostenlos in Werkstätten. Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderung zerkleinern die Verschlüsse, aus denen Dämmmaterial hergestellt werden kann. Das beim Verkauf des Granulats eingenommene Geld kommt dem Deutschen Naturschutzbund und SEO Birdlife zugute. Beide retten damit Kraniche. Je tiefer sich Hazijenko informierte, desto begeisterter war sie.
Nun gab es aber keine Sammelstelle in der näheren Umgebung der Augsburgerin. Darum beschloss sie, selbst eine zu eröffnen. Sie kontaktierte Guido Teenck, den Leiter der „KORKampagne“, und erhielt Infomaterial. Mit dem Sammelbehälter – einer grünen Box – begann es dann im Juni 2018. Rund um die Uhr kann seitdem jeder Naturkorken von Wein- und Sektflaschen in die Kiste legen. Sobald es genug sind, holt der Paketdienst die Korken ab.
Ein Umzugskarton voll Korken pro Monat
„Der Fahrer und ich kennen uns inzwischen schon, das ist jedes Mal lustig. Er kann gar nicht fassen, dass es so viele Korken sind“, erzählt Hazijenko und grinst dabei. Verwunderlich ist die Reaktion des Mannes aber nicht. Mittlerweile füllt sich ein Umzugskarton innerhalb eines Monats. Ein großer Erfolg, wenn man die Situation zu Beginn betrachtet: „Jeder guckte hin, laß das Plakat und runzelte kritisch die Stirn“, berichtet Hazijenko von den Anfängen.
Es hat sich herumgesprochen und die Augsburgerin beobachtet immer öfter Nachbarn, die Verschlüsse einwerfen. Ab und zu sieht sie von ihrem Homeoffice aus auch Fremde, die mit gefüllten Säcken im Auto vorfahren. Seit August sind es insgesamt elf Kisten. Die Sammlerin ist stolz und amüsiert zugleich: „Wenn Sie sich die Flaschen zu all den Korken vorstellen ...“ Ein nachdenklicher Moment folgt.
Der Ehrgeiz ist geweckt
Vor einigen Monaten standen sowohl Hazijenko selbst als auch ihr Bekanntenkreis der Sammelstation skeptisch gegenüber. „Einmal wurde die Kiste über Nacht geklaut und blieb weg. Auch mal interessant, habe ich gedacht, aber habe mich davon nicht entmutigen lassen.“
Umso besser, dass solche Erfahrungen Einzelfälle sind. In guter Erinnerung bleibt ihr ein älteres Ehepaar, das mit Rollatoren kam: „Sie hatten ein paar Korken in einem Gefrierbeutel. Und das in dem Alter. Es gibt Hoffnung“, verkündet Hazijenko mit einem Leuchten in ihren Augen.
Sie könnte sich nun zurücklehnen. Doch dabei möchte sie es nicht belassen. Neuerdings kooperiert sie mit einer Volkshochschule in Altomünster. Dort holte sie – mit ihrem der Umwelt zuliebe kleinen Auto – die erste Korken-Ladung bereits ab. Außerdem plant sie, Restaurants und Hotels miteinzubeziehen. „Ich werde da ein bisschen ehrgeizig. Täglich werden so viele Weinflaschen verkauft. Es muss auf jeden Fall mehr gehen.“
Umweltsünder sehen anders aus
Nach wie vor sind Naturkorken die beliebtesten Deckel. Weinliebhaber verbinden mit ihnen Qualität. Umweltsünder sind sie deshalb nicht. Es werden für die Produktion von Kork zwar Korkeichen geschält. Braucht man die Bäume jedoch nicht mehr, werden sie gefällt. Das Problem: Ein Großteil der europäischen Kraniche überwintert in Korkeichenwäldern. Wenn keiner mehr Naturkorken kauft, verlieren sie ihr Zuhause.
Die Verschlüsse sind also nicht von Grund auf schlecht. Trotzdem leiden Kraniche unter der Produktion. Entsprechend haben sie verdient, einen Teil zurückzubekommen. Wie die Vögel ist auch der Leiter der Kampagne, Teenck, auf Unterstützung angewiesen: „Ohne Menschen wie Frau Hazijenko wäre die „KORKampagne“ nicht denkbar. Nur durch ihren Willen kann ein rein ehrenamtlich organisiertes Projekt so erfolgreich sein.“
Mit der Eröffnung Augsburgs erster Korken-Sammelstelle realisierte Ulla Hazijenko also nicht nur ihre Vision, die Verschlüsse sinnvoll loszuwerden, sondern verbessert seitdem mit einer Kleinigkeit die Welt. Sie gibt jedem im Umkreis die Möglichkeit, auch zu helfen und die Umwelt zu schützen: „Einfach vorbeikommen, Korken einwerfen und dadurch Gutes tun.“
Kontakt: Familie Hazijenko, Reeseallee 19, 86156 Augsburg, Telefon: (08 21) 45 09 68 98
Weitere Infos:
- 1994 rief der Hamburger Naturschutzbund die „KORKampagne“ mit 60 Sammelstellen ins Leben. Seitdem haben sich zwar die Zahlen geändert, das Konzept ist aber geblieben. So sieht es heute aus:
- fast 1200 private, öffentliche und firmeninterne Sammler sind es offiziell.
- Jährlich bringt die Kampagne über 2000 Euro ein.
- Insgesamt wurden rund 540 Tonnen Korken gesammelt.
- Das entspricht über 110 Millionen Korken und 4300 Kubikmetern.
- Bisher flossen über 60 000 Euro in den Kranichschutz.
- Nur 15 Prozent Kork werden recycelt.
- Rinde der Korkeichen lässt sich frühestens ab dem 25. Lebensjahr des Baumes ernten.