
„Neue Mobilität erfordert Mut und radikale Schritte“

In Städten ist die Belastung durch den Verkehr immens. Änderung tut dringend not, sagt Mobility-Experte Michael Brecht. Und macht Vorschläge.
Herr Brecht, warum ist ein Umdenken in puncto Mobilität so wichtig?
MICHAEL BRECHT: Nun, weil die Mobilität mit 25 Prozent unseres CO2-Ausstoßes zu tun hat. Und weil sie jeden von uns betrifft und deshalb jeder seinen Beitrag leisten kann. Wir bewegen uns nicht nur klimaschädlich, sondern auch höchst ineffizient fort, wenn wir das Auto benutzen – mit im Schnitt 1,3 Personen an Bord. Gerade in Städten sind die Auswirkungen zu spüren, schlicht Stillstand: in puncto Umwelt, in puncto Platz, in puncto Verkehrsfluss. Da wird auch der singuläre Umstieg auf alternative Antriebe wenig ändern. Wir brauchen Konzepte, die das Auto in der Stadt verzichtbar machen und die Menschen dennoch mobil halten. Und vor allem den urbanen Lebensraum wieder aufwerten.
Wie kann individuelle Mobilität ohne Auto in Städten aussehen?
Indem man einen Mix aus alternativen Fortbewegungsmitteln in einem ganzheitlichen System verbindet: ÖPNV samt P+R mit Carsharing und Mikromobilität wie E-Bikes, E-Scooter, E-Roller oder Light Electric Vehicles (eine Fahrzeugklasse unterhalb der PKWs) – wie der Schweizer Anbieter Microlino oder das Augsburger Start-up Hopper Mobility. Und tatsächlich auch, indem man radikale Schritte macht. Warum zum Beispiel ist es in Augsburg nach wie vor erlaubt, dass sich am Wochenende der Parkplatzsuchverkehr durch die verwinkelte, gemütliche Altstadt quält? Oder die Maximilianstraße – abgesehen von dem aktuellen Pilotprojekt – noch nicht ganz verkehrsberuhigt ist? Wo können wir besser deren historisches Flair mit urbanem Wohlgefühl zur Geltung kommen lassen?
"Jede Stadt gewinnt, wenn sich zum Einkaufen ein verkehrsberuhigter urbaner Raum gesellt."
Michael Brecht
Würden die Menschen denn radikale Schritte wie die Sperrung der Altstadt für den Autoverkehr akzeptieren?
Davon bin ich fest überzeugt. Wenn die Alternativen einfach, sicher und finanziell für alle tragbar sind. Und die Infrastruktur stimmt. Etwa für Radwege, die nicht nur aufgemalt, sondern von der Fahrbahn baulich getrennt sind – unterschätzen Sie die „empfundene Sicherheit“ nicht. Und ich denke, jede Stadt wird gewinnen, wenn sich zum Einkaufen das entspannte „Strollen“ durch einen verkehrsberuhigten, begrünten urbanen Raum gesellt. Selbst Bedenkenträger des innerstädtischen Einzelhandels lassen sich überzeugen, siehe das Beispiel Berlin-Mitte, Friedrichstraße. Hier wurden Autos ausgesperrt und dennoch ist der Umsatz – trotz Covid und mangelndem Tourismus – gestiegen. Die Menschen haben eine Stadt ohne Lärm und Abgase wertschätzen gelernt. Der Mut zur innovativen Entscheidung hat sich gelohnt. Von daher bin ich auch gespannt, was sich auf der Karolinenstraße in Augsburg ändert. Hier gibt es ja verstärkt den Wunsch, den Anschluss an die sanierte Fußgängerzone nicht zu verlieren, das schreit für mich nach einer Veränderung ohne Fahrzeuge mit begrünten Flächen.
Eine Einschränkung des Autoverkehrs in der Stadt bräuchte für die Menschen machbare Alternativen.
Auf jeden Fall. Wie schon gesagt, sie müssen einfach, sicher und finanzierbar sein. Beispiel: Anschließen der Außenbezirke. Sogenannte Mikromobilitätsservices verpflichten, nicht nur die lukrativen Stadtviertel, sondern alle Bezirke und die wichtigen Einzugsgebiete gleichermaßen anzubinden. Dazu Park- und Serviceräume bereitzuhalten, um zum Beispiel die wenig vertrauenerweckende Flut an wild abgestellten E-Scootern einzudämmen. Ebenso die Kosten im Zaum zu halten – in Paris etwa sind Fahrräder für schmale fünf Euro am Tag zu haben. Mit der Folge, dass sie vom Bankdirektor bis zum Arbeitslosen immer mehr Menschen nutzen. Mancherorts gibt es finanzielle Incentives, etwa bezuschusste elektrische Cargobikes für den Innenstadteinkauf.
In vielen Städten gibt es viele Initiativen, was aber oft nach Wildwuchs aussieht. ÖPNV neben E-Scooter oder Carsharing-Anbietern, kaum aufeinander abgestimmt. Bräuchte es da nicht eine Art Mastermind?
Natürlich. Ohne diesen geht es kaum. Wieder das Beispiel Paris: Noch vor einem Jahr gab es dort elf Mikromobilitätsanbieter, alles sehr chaotisch. Bis die Stadt vor Kurzem eine Ausschreibung startete und letztendlich drei Anbieter auswählte – die jetzt in Abstimmung mit dem ÖPNV ein reguliertes Angebot in allen Stadtbezirken vorhalten müssen. Ein erneut mutiger und wegweisender Schritt. Wichtig für eine solche „Zentrale“ ist, dass sich die Interessen von Bürgern, Wirtschaft und Kommune gleichermaßen wiederfinden. Aber ja, noch funktioniert es in vielen Städten nicht einheitlich.
Wie sehen Sie die Zukunft der Mobilität in Augsburg?
Wie erwähnt, einige mutige Schritte wie die Frage der verkehrsberuhigten Altstadt würde ich anraten. Großartig finde ich die Tatsache, dass Augsburg gemeinsam mit sechs weiteren Städten die „Städteinitiative Tempo 30“ angeht. Mit geringerem Tempo der Fahrzeuge bieten sich mehr Möglichkeiten für Gestaltung mit Bäumen oder Bänken und es gibt mehr Platz für Fußgänger. Ansonsten setze ich große Hoffnung in unsere Start-up-Szene, die dank Förderung durch Hochschule, Universität und anderer Initiativen gut gedeiht. Ich denke, wir werden noch so einige neue Beiträge zu nachhaltiger Mobilität hier entstehen sehen.

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