100 Medikamente: Die Doping-Tragödie der Birgit Dressel
Birgit Dressel wäre am 4. Mai 60 geworden. Dass die Leichtathletin diesen runden Geburtstag nicht mehr erleben durfte ist eine Doping-Tragödie des Sports.
"Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein." Diese Erkenntnis des Schriftstellers Bertolt Brecht ist genauso alt wie richtig. Hochleistungssport nennen wir, was Menschen treiben, um Olympiasieger oder Weltmeister zu werden. Sie setzen ihren Körper im Training extremen Belastungen aus, die extreme Anpassungsreaktionen provozieren. Dabei neigt der menschliche Körper zur Faulheit. Er will Energie sparen. Muskeln sind Energiefresser, nur widerwillig werden sie aufgebaut. No pain, no gain – heißt ein beliebter Spruch in Athletenkreisen. Kein Schmerz, kein Ertrag.
Schmerzen gehören also dazu, wenn es einer zu etwas bringen will im Sport. Was liegt da näher, als diesen Schmerz zu lindern? So war es auch bei Birgit Dressel. Die ehrgeizige Siebenkämpferin wäre am 4. Mai 60 Jahre alt geworden. Sie starb am 10. April 1987 in der Universitätsklinik Mainz.
Mehr als 100 Medikamente, 400 Injektionen
Der Spiegel gelangte einige Monate nach Dressels Tod an das rechtsmedizinische Gutachten. Wer es liest, dem graust. Mehr als 100 Medikamente – darunter auch Anabolika – und rund 400 Injektionen hatte Dressel in den Monaten vor ihrem Tod eingenommen und erhalten. Oft waren es Schmerzmittel. Sie machten Training auch dann noch möglich, als der Körper längst eine Pause brauchte. Seit 1981 hatte der umstrittene Freiburger Sportmediziner Armin Klümper sie betreut. Die über die Einnahmen nicht informierten Ärzte in Mainz behandelten die extremen Schmerzen (bei der Obduktion stellte sich heraus, dass die Nerven des Rückenmarks entzündet waren) mit hohen Dosen eines Schmerzmittels. Das führte zu einem multiplen Organversagen und tödlichen Schock.
Hier ein Pülverchen, dort eine Tablette
All das ist lange her. Ein Schuldiger wurde nie gefunden. Vielleicht gibt es den auch gar nicht. Einiges von dem, was damals noch erlaubt war, ist heute verboten. Die Medizin hat sich weiterentwickelt. Geblieben sind der Ehrgeiz und der Schmerz, den es zu überwinden gilt – und damit auch die Verlockung. Hier ein Pülverchen, dort eine Tablette. Das meiste davon ist unnützes Zeug, sagen Doping-Experten wie der Pharmakologe Fritz Sörgel. Der Weg zum Doper ist aber ein schleichender. Und er beginnt mit einem harmlosen Pülverchen.
Dressel, so schrieb der Spiegel damals, sei "eine chronisch kranke, mit hunderten von Arzneimitteln vollgepumpte junge Frau" gewesen. Der Sport habe sie längst zum Krüppel gemacht, ihre Gelenke zerstört, die inneren Organe vor der Zeit zerschlissen. Sie wurde 26 Jahre alt.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.