Startseite
Icon Pfeil nach unten
Sport
Icon Pfeil nach unten

11Freunde-Chefredakteur und Arminia-Fan Philipp Köster vor dem Pokalfinale: „"Der Bielefelder ist für Glück nicht zu haben“

Interview

Arminia-Edelfan Philipp Köster vorm Pokalfinale: „Der Bielefelder ist für Glück nicht zu haben“

    • |
    • |
    • |
    Der große Außenseiter Armina Bielefeld steht im Finale gegen den VfB Stuttgart - was soll jetzt noch kommen?
    Der große Außenseiter Armina Bielefeld steht im Finale gegen den VfB Stuttgart - was soll jetzt noch kommen? Foto: Friso Gentsch, dpa

    Herr Köster, Sie sind 11Freunde-Chefredakteur, Arminia-Fan – und leben in Berlin. Wie vielen Bielefeld-Fans gewähren Sie am Wochenende Unterschlupf, wenn das Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart ansteht?

    Philipp Köster: Also nächtigen wird bei mir niemand. Aber ich habe irgendwann aufgehört, die Ticketanfragen zu zählen. Es waren unendlich viele Leute, die auch ganz plötzlich ihr Herz für Arminia entdeckt haben – und das, obwohl sie teilweise seit 20 Jahren nicht mehr im Stadion waren. Ich habe nur einen Bruchteil der Leute glücklich machen können, schließlich ist es auch das Finale, zu dem es mit Abstand die meisten Ticketanfragen in den letzten Jahren gegeben hat. Fakt ist: Es werden sehr, sehr viele Bielefelder in Berlin sein. Und das wird sicher für die Hauptstadt eine ästhetische Zumutung werden.

    Tatsächlich werden 50.000 Bielefelder in der Hauptstadt erwartet, schon kurz nach dem Feststehen des Finales vermeldete die Bahn ein fast dreistelliges Plus an Zugreservierungen von Bielefeld nach Berlin. Das Hermannsdenkmal ist im Arminia-Trikot gekleidet. Wie groß ist dieses Pokalding für Arminia und die Fans?

    Köster: Man muss dazu wissen, dass der Pokalschrank von Arminia weitgehend leer ist. Es gibt zwei westdeutsche Meisterschaften aus den Jahren 1924 und 1925, die da zu Buche stehen. Und ansonsten hat Arminia noch nie irgendwas gerissen. Die größten Erfolge der Neuzeit sind Aufstiege in die zweite und manchmal auch in die erste Liga. Es gab noch nie ein Event dieser Größe, Strahlkraft und Wucht. Und man hat das Gefühl, dass ganz Bielefeld sich seit Wochen sammeln muss, um zu begreifen, was da eigentlich passiert. Ich glaube: Erst wenn 45.000 Arminia-Fans im Olympiastadion sind, dieses riesige Emblem in der Kurve liegt und das Marathontor voll ist, dann werden die Leute begreifen, wie groß das eigentlich ist.

    Arminia ist ja auch Drittliga-Meister geworden. Kann der Bielefelder, der jetzt nicht als lebenfrohster Menschenschlag bekannt ist, mit so viel Glück umgehen?

    Köster: Nein, eigentlich nicht. Der Bielefelder ist weder für Glück zu haben, noch ist er darauf vorbereitet. Es gibt eine ostwestfälische Grundhaltung, wonach die Gesamtlage als okay beurteilt wird, wenn nicht alles komplett schiefgegangen ist. Die Grundmentalität des Ostwestfalen ist es, dass er fragende Autofahrer wissentlich in die falsche Richtung schickt. Insofern denken sich alle: Es kann doch gar nicht sein, dass wir einmal derart Glück haben. Es ist allerdings auch so, dass man sich an diesen Zustand auch gewöhnen kann. Das hat man gemerkt, als Arminia Meister geworden ist: Mal wieder gewinnt das Team, mal wieder ist das Stadion ausverkauft und mal wieder steht Bielefeld auf der Sonnenseite des Lebens. Ich bin mal gespannt, wie lange dieses Glücksgefühl anhält und ob es auch eine 0:5-Klatsche gegen Stuttgart aushalten würde.

    Zuletzt erschien eine Ausgabe von 11Freunde erstmals mit der Arminia auf dem Cover. Wie sehr haben Sie da mit sich gerungen – denn die Keimzelle der 11Freunde war ja ein Arminia-Fanzine?

    Köster: Gar nicht. Mir war an dem Abend, als Arminia ins Finale gekommen ist, klar, dass das eine Geschichte ist, die wir auch in 11Freunde abbilden müssen. Weil sie so viel davon erzählt, was unser Heft ausmacht. Es geht um die Freude am Sieg des Underdogs und darum, dass der Fußball manchmal doch unberechenbar ist. Am Ende hat das Heft auch am Kiosk wirklich gut funktioniert – bundesweit, aber natürlich erst recht in Bielefeld. Arminia-Profi Julian Kania, der auf dem Cover zu sehen ist, hat noch ein paar Exemplare zusätzlich geordert, weil in Bielefeld einfach keines mehr zu bekommen war.

    Arminia ist nächstes Jahr Zweitligist, hat Millioneneinnahmen aus dem Pokal – ist das der Startschuss einer großen Erfolgsgeschichte?

    Köster: Ach was, nein. Ich weiß, dass wir spätestens in ein bis zwei Jahren wieder schmerzhaft zurückgerissen werden in den Sumpf des Misserfolgs. Es ist jetzt sehr schön, wieder in der zweiten Liga zu spielen. Es findet alles in den großen Stadien statt und nicht mehr gegen irgendwelche Zweitvertretungen. Es ist wunderschön, im Pokalfinale zu stehen. Aber uns allen ist klar, dass aus Arminia jetzt kein Durchstarter-Klub wird. Das ist jetzt nicht der Beginn von etwas Großem, ich kann es mir einfach nicht vorstellen.

    Aber dabei spielt Arminia doch auch tollen Fußball. Dass man im Pokalfinale steht, ist nicht das Ergebnis einer ultra-defensiven Ausrichtung, sondern einer mutigen Spielidee. Selbst im Halbfinale gegen Leverkusen war das zu sehen.

    Köster: Ja, das ist bemerkenswert. Offenbar gibt es eine Art Pokalmentalität, die die Mannschaft verinnerlicht hat. Sie ist diese besonderen Spiele mit so großer Konzentration angegangen, dass diese Unterschiede, die es sonst in puncto Spielkultur und Qualität gibt, auf einmal verwischt waren. Und dann gab es in diesen Spielen ein spezielles System mit einer derart guten Absicherung im Spiel gegen den Ball, dass es vielen Mannschaften wirklich schwierig gemacht hat gegen Arminia. Wahrscheinlich sind ja jetzt nicht alle ausgeschiedenen Mannschaften – also Leverkusen, Freiburg, Werder und Union – so hochnäsig nach Bielefeld gefahren und haben gedacht, da kommen sie ganz locker weiter. Die wussten schon, was sie erwartet, spätestens im Viertelfinale und Halbfinale. Und trotzdem haben sie kein Mittel gefunden. Ich war gegen Freiburg im Stadion und eigentlich hat man schon beim Aufwärmen gesehen: Die Freiburger sind so viel besser als wir. Aber im Spiel selbst war davon nichts mehr zu sehen.

    Philipp Köster ist Gründer, Geschäftsführer und Chefredakteur des Fußballmagazins 11 FREUNDE.
    Philipp Köster ist Gründer, Geschäftsführer und Chefredakteur des Fußballmagazins 11 FREUNDE. Foto: 11Freunde

    Beinahe schon legendär ist das Cafe Europa, in dem nach den Pokalsensationen die Post abging. Haben Sie als Bielefelder auch Erinnerungen daran?

    Köster: Ja, die gehen über Jahrzehnte zurück. Das ist, um es mal ganz direkt zu sagen, ein sehr konventioneller Abschleppschuppen. Also eine Großraumdisko, die auch längst geschlossen gehört. Aber das Cafe Europa war in der Geschichte von Arminia immer wieder mal wichtig, eine Vielzahl von Ereignissen rankt sich darum. Ansgar Brinkmann hat direkt gegenüber mal einem Hooligan das Gesicht neu gerichtet. Vor einem guten Jahr ist Kaito Mizuta, der diese Saison nach Essen ausgeliehen war, in Handschellen abgeführt worden, weil er betrunken randaliert hat. 300 Meter vom Eingang entfernt ist der damalige Trainer Ernst Middendorp mal im Auto eingeschlafen, das auf den Straßenbahnschienen geparkt war. Allgemein muss man aber auch sagen: Im Bielefelder Nachtleben ist es jetzt nicht so, dass man sagt: Da muss man unbedingt hin.

    Wie wird ihr Pokalfinale aussehen?

    Köster: Meine große Herausforderung ist es, nicht schon Freitagabend betrunken in der Ecke zu liegen und das nicht genießen zu können. Deswegen gilt für mich der Vorsatz: wenig Alkohol und ausreichend Schlaf. Es stehen natürlich diese Spreefahrten im Regierungsviertel an, bei denen man zeigen muss, dass nun aber mal wirklich sehr viele Bielefelder in der Stadt sind. Am Samstag kommt natürlich das Fanfest. Das wird alles richtig super und das Ding wird eben eher sein, sich die Kräfte einzuteilen. Denn eines ist klar: Das ist eine einmalige Sache im Leben sein. Das wird man nie wieder erleben. Und ich hätte auch niemals gedacht, dass so etwas mit Arminia überhaupt möglich ist.

    Wie sind Sie eigentlich zur Arminia gekommen?

    Köster: Meine Eltern lebten, als ich geboren wurde, in Augsburg. Ich bin in Bobingen, im Landkreis Augsburg, geboren, weil in der Stadt die Kliniken voll waren. Das hat dazu geführt, dass ich erst einmal Fan des VfB Stuttgart war. Auch, weil mir meine Mutter zum achten Geburtstag ein VfB-Trikot geschenkt hat. Karlheinz Förster war damals mein großes Idol.

    Das macht das Finale für Sie ja nochmal interessanter.

    Köster: Allerdings! Aber nach unserem Umzug nach Bielefeld war ich 1982 das erste Mal auf der Alm, bei einem Heimspiel gegen Mönchengladbach. Es war ein 5:0-Sieg, Jupp Heynckes war damals Gladbach-Trainer. Das war natürlich etwas Etikettenbetrug, weil die Arminia selten so hoch gewinnt. Das nächste Spiel ging dann schon mit 1:3 verloren, gegen Leverkusen. Aber da war es schon um mich geschehen, Arminia hatte mich richtig gepackt. Ich bin dann zu jedem Heim- und Auswärtsspiel gefahren.

    Sollte Bielefeld tatsächlich den Cup gewinnen – wäre das die größte Sensation im deutschen Fußball seit langer Zeit?

    Köster: Auf alle Fälle. Ich bin kürzlich nochmal die Außenseitersiege und allgemeine Überraschungen durchgegangen. Und das einzige, was einem Bielefelder Sieg nahe kommen würde, wäre die Meisterschaft von Kaiserslautern als Aufsteiger, in der Saison 97/98. Das ist halt auch schon eine Weile her. Es gibt eben keine Sensationsmeister mehr, keine dicken Überraschungen, weil die finanziellen Verhältnisse so sind, wie sie sind. Insofern: Ja, ein Sieg von Arminia wäre die größtmögliche Sensation. Aber ich glaube eher, dass es eine ordentliche Ohrfeige gibt. Da wäre aber auch okay.

    Zur Person: Philipp Köster ist Gründer, Geschäftsführer und Chefredakteur des Fußballmagazins 11 FREUNDE. Geboren ist der heute 53-Jährige in Bobingen. Als Köster drei Jahre alt war, zog die Familie von Augsburg nach Bielefeld. Im Jahr 2000 gründete der bekennende Arminia-Bielefeld-Fan mit dem Fotografen Reinaldo Coddou H. das Fußballmagazin 11 FREUNDE. Köster, der seit 2002 in Berlin lebt, ist Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga und wurde 2010 als „Sportjournalist des Jahres“ ausgezeichnet.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden