Warum vor allem kleine Orte zu Ringer-Hochburgen wurden
Hochburgen dieses uralten Sports sind vor allem kleine Orte wie die 1800-Einwohner-Gemeinde Westendorf im Allgäu. Wissenschaftler wissen, warum das so ist.
Den Menschen der Jungsteinzeit erschien es so wichtig, dass sie es an Höhlenwänden verewigten, es war ein unverzichtbarer Bestandteil antiker Sportfeste und während der Saison ist es heute das Thema schlechthin in vielen, vor allem kleineren deutschen Orten: das Ringen.
Westendorf im Allgäu ist eine Ringer-Hochburg in Schwaben
Eine wissenschaftliche Tagung der Schwabenakademie und der Deutschen Sporthochschule Köln im Kloster Irsee bei Kaufbeuren näherte sich diesem seit Urzeiten gepflegten Sport aus vielen Perspektiven an – und spannte den Bogen in die unmittelbare Gegenwart. Denn nur wenige Kilometer vom Tagungsort entfernt liegt die 1800-Einwohner-Gemeinde Westendorf. Der dortige TSV hat den Ort zu einer Ringer-Hochburg gemacht, Ende Mai richten die Westendorfer sogar eine deutsche Meisterschaft aus.
Dass das unmittelbare Kräftemessen nach bestimmten Regeln eine Grundkonstante des menschlichen Zusammenlebens ist und Ringen damit nicht nur eine Sportart, sondern ein „universelles Kulturgut“, diese These stützte die internationale Referentenschar vielgestaltig. Aber warum wird dieses Kulturgut – zumindest im deutschsprachigen Raum – vor allem in kleinen und kleinsten Orten gepflegt, während die großen Metropolen in den Tabellen der höheren Ligen nahezu völlig fehlen?
Kultureller Hintergrund: Das Ringen ermöglichte ein Mitmischen weit oben
Sebastian Knoll-Jung von der Universität Mannheim hat dazu geforscht und sieht eine Ursache in der Gründungsgeschichte der Schwerathletik-Vereine ab dem Ende des 19. Jahrhunderts. Diese seien von den meist bürgerlich geprägten städtischen Turnvereinen abgelehnt worden, mussten sich alternative Trainings- und Wettkampforte suchen und betrieben ihren Sport zunächst meist in (Dorf-)Wirtschaften. Durch diese unmittelbare Nähe zum Publikum habe das Ringen Popularität, Identifikation und Lokalpatriotismus erzeugt. Weil in größeren Städten zudem schnell der Fußball die Aufmerksamkeit der Massen sowie Sponsorengelder auf sich zog, hatten die Kicker in kleineren Orten kaum Chancen, in höhere Ligen aufzusteigen. In der Nische Ringen dagegen gab und gibt es auch für Dorfvereine weiterhin die Möglichkeit, weit oben mitzukämpfen.
Was der Politologe und Historiker Knoll-Jung theoretisch erörtert hat, bestätigten die Vertreter des TSV Westendorf deckungsgleich aus der Praxis. Als Ende der 1960er Jahre auch in Westendorf der Wunsch aufkam, einen Sportverein zu gründen, „gab es schon so viele Fußballvereine in der Umgebung“, berichtet der langjährige Vorsitzende Xaver Steiner. Da traf es sich gut, dass zu dieser Zeit Manfred Willnecker wieder in seine Allgäuer Heimat zurückkehrte. Der hatte nämlich in Merken-Düren bei Köln (heute rund 3000 Einwohner und immer noch Heimat eines Bundesliga-Vereins) das Ringen erlernt. So wies der TSV bei der Gründung 1969 eine Ringer-Abteilung auf.
Ringer des TSV Westendorf feiern 50-jähriges Bestehen
Nach einem „richtig schweren Anfang“, wie sich Hubert Heiß, Westendorfer Athleten-Urgestein und Oberhaupt einer Ringerfamilie, erinnert, wuchs der Verein zahlenmäßig, aber auch sportlich. 2017/2018 rangen die Westendorfer dann in der höchsten offiziellen deutschen Liga mit, nutzten im vergangenen Jahr aber ihr Abstiegsrecht. „Das tat uns nicht weh, weil wir andere Schwerpunkte haben“, sagt der aktuelle TSVW-Vorsitzende Robert Zech. Sportlich bestehen könne man in der Bundesliga nur mit zugekauften Profis. Das sei nicht im Sinne des auf Eigengewächse fixierten TSV.
Bevor im Herbst die Saison wieder startet, steht „Die Macht aus dem Allgäu“, so die Eigenwerbung, vor einer besonderen Herausforderung. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Vereins vergab der Deutsche Ringer-Bund die Ausrichtung der deutschen Einzelmeisterschaft der Männer im griechisch-römischen Stil an den TSVW. Ein elfköpfiges Organisationsteam bereitet die Großveranstaltung am 25. und 26. Mai vor. Die Kämpfe finden allerdings nicht wie üblich in der örtlichen Mehrzweckhalle, dem „Bürgerheim Alpenblick“, statt, sondern im neuen Kaufbeurer Eisstadion.
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