Herrmanns perfekter Tag
Einst war die 30-Jährige als Langläuferin Weltklasse. Dann wechselte sie zu den Skijägern – und tat sich lange Zeit schwer. Jetzt ist sie Weltmeisterin
Endlich Mutti anrufen. Nicht mal für einen Blick auf das Smartphone ist bisher Zeit geblieben. Erst geht es im Sauseschritt über die Strecke, danach kommt Denise Herrmann nur noch im Schneckentempo voran. Mit Dauergrinsen im Gesicht, beschreibt die Verfolgungs-Weltmeisterin von Östersund ihre Geschichte. Auf Deutsch. Auf Englisch. Immer aber geduldig und detailliert.
Im April 2016 wagt Denise Herrmann das mutige Experiment. Wohl überlegt – und doch nicht ohne Risiko. Sie steigt um. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht, als aus Deutschlands bester Langläuferin mit hohem Sprint-Potenzial die Biathlon-Novizin wird. Knapp drei Jahre später ist sie das erste deutsche Goldmädel der WM in Östersund.
Wie in Trance erlebt die 30-Jährige ihre Schlussrunde, hält beim Überqueren der Ziellinie ungläubig die Hände vors Gesicht und jubelt, ehe die Norwegerin TirilEckhoff im Schlussspurt um Silber einen deutschen Doppelerfolg verhindert. Laura Dahlmeier holt sich ihre 14. WM-Medaille. Wie schon im Sprint ist es Bronze. „Extrem stark. Es gibt nichts Schöneres als Weltmeisterin zu werden – und das aus eigener Kraft. Das hat sie sich verdient, sie hat viel dafür gearbeitet“, sagt Laura Dahlmeier.
Ihre eigene Gefühlswelt ist stimmig. „Es fühlt sich an wie eine richtig schöne WM-Medaille“, sagt Laura Dahlmeier. Kaputt ist sie, aber sehr zufrieden. Weil sie schnell spürt, „dass es läuferisch recht zäh geht“, konzentriert sich die Olympiasiegerin auf die vier Schießeinlagen. Ein Fehler als Basis für den Podestplatz, an den die 25-Jährige zwischendurch nicht mehr glaubt, weil sie auf ihren Schleifen Zeit verliert.
Ganz anders Denise Herrmann. Als im zweiten Stehendanschlag auch die fünfte und letzte Scheibe fällt, ist sie baff. „Ich war stolz, dass mir das so gut gelungen ist“, sagt sie. Dank ihrer Laufstärke hat sie die beiden Fehler in der dritten Schießeinlage bereits kompensiert und skatet ihrem Traum entgegen. Gold! Die Strahlefrau aus Sachsen umarmt alle. Konkurrentinnen. Trainer. Teammitglieder.
Gedrehte Gefühlswelt. Hat Herrmanns Saison doch holprig und zäh begonnen. Ergebnisse um die 60 nagen am Selbstbewusstsein, besonders am Schießstand fehlt das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Weil sie weiß, wie weit es nach vorne gehen kann, wenn sie trifft, will sie zu viel. „Ist man mal im Negativstrudel drin, ist es schwieriger das wieder auszukriegen“, gesteht Herrmann.
Doch Herrmann arbeitet beharrlich weiter – und siegt in Östersund. Jener Ort, den sie wegen der schönen Erinnerungen so mag. Hier gewinnt Denise Herrmann im Dezember 2017 ihre ersten beiden Weltcups als Biathletin. Hier feiert sie nun ihr Goldstück. Dieses Gefühl der Glückseligkeit geht auch nicht verloren, als sie auf den dunklen Fleck ihrer Karriere angesprochen wird. Als 18-Jährige nimmt den handelsüblichen Hustensaft SpasmoMucosolvan. Dieser enthält aber den verbotenen Wirkstoff Clenbuterol. Der Deutsche Skiverband sperrt seine Athletin für ein Jahr. „Das war die härteste Zeit in meinem Leben, aber es hat mich stärker gemacht“, sagt Denise Herrmann. „jeder weiß, was passiert ist und ich spreche offen darüber und mache kein Geheimnis daraus.“
Bei den Männern lief am Abend Erik Lesser in der Verfolgung als bester Deutscher auf Platz elf. Der 30-jährige Thüringer leistete sich drei Fehler und hatte nach 12,5 Kilometern 1:03,3 Minuten Rückstand auf den Sensationssieger Dmytro Pidruschni. Der Ukrainer verwies nach zwei Strafrunden den favorisierten Sprint-Weltmeister Johannes Thingnes Bö aus Norwegen, der fünf Fehler schoss, mit 8,3 Sekunden Vorsprung auf Rang zwei. Bronze sicherte sich wie im Sprint der Franzose Quentin Fillon Maillet (3/+ 17,7 Sekunden). (mit dpa)
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