Bradl fährt auf der richtigen Linie
LCR-Teamchef Lucio Cecchinello über seine anfänglichen Zweifel gegenüber dem Zahlinger Stafen Bradl, die Arbeit mit ihm und die Zukunft in der MotoGP.
Nach Platz fünf zuletzt auf dem Sachsenring folgt bereits am Sonntag der nächste Lauf im italienischen Mugello. Wie zufrieden sind Sie bisher mit Stefan Bradl?
Cecchinello : Wir alle im Team sind positiv überrascht, dass wir einen Fahrer mit so viel Reife haben. Er kann mit jedem umgehen, egal, ob es der Boss ist oder ein Fan. Das ist das Ergebnis einer wunderbaren Erziehung. Wir sind auch überrascht, in wie kurzer Zeit er so schnell fährt.
Als Sie ihn Ende vergangener Saison in Valencia zum ersten Mal ein MotoGP-Motorrad testen ließen, waren Sie skeptisch. Eigentlich wollten Sie keinen MotoGP-Neuling. Warum?
Cecchinello: Schon 2010 mit Randy de Puniet war nicht einfach, er hatte sich ein Bein gebrochen. 2011 ist Toni Elias für uns gefahren. Aber er ist ein kleiner Fahrer, der mit seiner Fahrweise nicht genügend Druck auf die Reifen gebracht hat. Sie sind nicht auf Betriebstemperatur gekommen. Die Saison war hart, das Team hat an Glaubwürdigkeit verloren. Deshalb wollte ich 2012 ein Ausrufezeichen setzen.
Würden Sie Ihre Situation als dramatisch bezeichnen, bevor Bradl in Ihr Team kam?
Cecchinello: Nein, das Verhältnis zu unseren Sponsoren war intakt. Aber ein weiteres Lehrjahr konnten wir uns nicht leisten. Nicht, dass ich an Stefans Qualitäten gezweifelt habe, aber normalerweise braucht ein Neuling Eingewöhnungszeit, bis er schnell fährt. Wir waren in Verhandlungen mit Andrea Dovizioso, aber er ist zu Yamaha gegangen. Dann wollten wir Alvaro Bautista, er ist für den tödlich verunglückten Marco Simoncelli zu Gresini Honda gegangen. Nummer drei war Stefan. Wir haben den Test in Valencia organisiert und danach war auch ich überzeugt: Bradl ist unser Mann.
Sie hatten vor Jahren den aktuellen MotoGP-Weltmeister Casey Stoner im Team. Wie fällt der Vergleich mit Bradl aus?
Cecchinello: Zwei ganz verschiedene Typen. Stoner will nicht gestört werden. Interviews oder Sponsorentermine sind eine lästige Pflicht für ihn. Aber leider ist das ein Teil unseres Jobs. Wir alle werden nicht nur dafür bezahlt, dass das Motorrad so schnell wie möglich fährt. Stefan ist intelligent, er weiß, dass das zu seinem Job gehört. Er weiß, dass er auch mal zu einem Sponsorentermin nach Italien kommen muss, anstatt die Freizeit zu genießen. Wir müssen auch unsere Werbepartner zufriedenstellen, nur sie ermöglichen es uns, dass wir eines der schnellsten Motorräder der Welt fahren können.
Warum ist es so schwierig, einen deutschen Sponsor für Bradl zu finden?
Cecchinello: Die meisten unserer Sponsoren vertreiben Motorrad-Zubehör. Ihnen ist es egal, ob ein Japaner oder Engländer auf der Maschine sitzt. Wichtig ist, wie das Team abschneidet. Bevor wir einen deutschen Geldgeber gewinnen können, müssen wir den Athleten kreieren, der der Botschafter seines Sports ist.
Wie sind Sie in den Motorradsport gekommen?
Cecchinello: Es war schwierig, meine Familie hat Motorradsport total abgelehnt und mich nicht mit einer Lira oder einem Euro unterstützt. Ich habe spät mit 19 Jahren und mit nichts angefangen. Bis ich konkurrenzfähig war, war ich schon 25 oder 26 Jahre, also relativ alt.
Wie wurden Sie Teamchef von Lucio Cecchinello Racing (LCR)?
Cecchinello: Irgendwann habe ich entschieden: Bevor ich für einen Hinterbänkler fahre, gründe ich ein eigenes Team. Am Anfang waren wir drei Leute: zwei Mechaniker und ich. 1996 war ich Teambesitzer und Fahrer. 1998 habe ich mein erstes Rennen gewonnen. 2003 lag ich Mitte des Jahres in der WM vorne. Dann hatte ich eine Reihe schlechter Rennen und dachte mir: Das ist ein Zeichen Gottes, dass ich aufhören soll. Außerdem hat mich mein damals 17 Jahre alter Teamkollege Casey Stoner in der zweiten Saisonhälfte besiegt. Mit 33 Jahren war Schluss.
Was macht an Ihrem Job am meisten Spaß, das Coaching von Bradl?
Cecchinello: Um ehrlich zu sein: Weil ich nie MotoGP gefahren bin, kann ich ihm wenige Tipps geben. Ich kümmere mich eher darum, wie Stefan mit dem Druck umgeht, ob er genügend schläft, das Richtige isst oder auch trainiert.
Wo kann sich Bradl verbessern?
Cecchinello: Im Winter müsste er mehr Moto-Cross fahren, um bestimmte Muskeln in der Hand, den Armen und den Schultern zu trainieren. Aber keine schnellen Fahrten und auch keine Sprünge, sonst steigt die Verletzungsgefahr.
Das Honda-Werksteam von Weltmeister Casey Stoner und Dani Pedrosa bekommt das beste Material. Welche Teile erhält LCR mit Bradl?
Cecchinello: Hinter dem Repsol-Werksteam stehen die Honda-Ingenieure. Honda will die Weiterentwicklung des Motorrads kontrollieren. Neue Sachen werden also nur bei Stoner und Pedrosa getestet. Wenn Honda sicher ist, dass sie eine Verbesserung bringen, dann bekommen auch wir die entsprechenden Teile oder Informationen. Das ist eine ideale Situation auch für Stefan, denn er muss nun nicht ein neues Fahrgestell auf einer Strecke testen, auf der er noch nie mit einem MotoGP-Bike gefahren ist. Das würde ihn nur verwirren. Außerdem: Honda ist beeindruckt von Bradls Entwicklung und wie er die Schwächen der Maschine beschreiben kann.
Wie sieht die Vertragssituation von Stefan Bradl mit LCR aus?
Cecchinello: Wir haben einen Zweijahresvertrag mit ihm. Wir haben eine Ausstiegsklausel für den Fall, dass er in dieser Saison nicht überzeugt hätte. Das ist nicht der Fall.
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