Die Österreicher kommen
Die Alpenkicker stellen die größte Spielerfraktion in der Bundesliga. Nun rücken auch die Trainer von dort nach. Hüttner sorgt mit Frankfurt für Furore, Glasner soll das mit Wolfsburg gelingen. Es werden weitere kommen
Das deutsch-österreichische Verhältnis ist, na ja, sagen wir vielschichtig. Der Ösi bestaunt den Piefke, aber er mag ihn nicht, während der Piefke noch immer nicht weiß, was er vom Ösi halten soll. Österreicher gelten als goscherte Pessimisten, die ständig den Weltuntergang vor Augen sehen, um in geselliger Runde ein allerletztes Viertel auf das Ende zu trinken. Weicheier, lästert der schwerblütige Deutsche, der aber als harter Hund gelten möchte.
Nun ist es bekanntlich so, dass sich das Leben im Fußball besonders wahrheitsgetreu widerspiegelt. Was das betrifft, haben die Deutschen die Österreicher nie für voll genommen. Die Österreicher mögen die besseren Skifahrer sein, aber dort, wo es wirklich zählt, sind sie bedauernswerte Amateure. Mit dieser Haltung hat Fußball-Deutschland schon immer auf die Nachbarn heruntergeschaut. Auch bei der WM 1978 in Argentinien. Ein furchtbarer Fehler. Die Ösis gewannen 3:2 und noch heute wummert Ohrenzeugen das ekstatische „Tor, Tor, Tor, i wer narrisch“ des Radioreporters Edi Finger in den Ohren.
Unter diesen Umständen, könnte man meinen, hätte es nie ein Österreicher über die deutsche Fußballgrenze schaffen dürfen. Einer aus den Bergen und Tälern, in denen kein gerader Pass zu spielen ist. Wie sollte ein solcher Fußball-Hinterwäldler den Nachfahren der Helden von Bern die hohe Schule des Schalker Kreisels vermitteln?
Tatsächlich aber war die Zeit in den deutsch-österreichischen Fußball-Beziehungen 1978 schon viel weiter gewesen. Geprägt von einem Trainer, in den die Bundesliga regelrecht vernarrt war. Der Wiener Max Merkel heuerte in der Gründungssaison der Bundesliga bei den Münchner Löwen an und gewann mit ihnen 1966 den bis heute einzigen Meistertitel des TSV 1860. Damit hatte Merkel allen österreichischen Fußball-Trainern ein Denkmal gesetzt.
Zwei Jahre später wiederholte er mit dem 1. FC Nürnberg den Erfolg. Er erweiterte ihn sogar um ein Kunststück, das bis heute einmalig geblieben ist. In der Folgesaison stiegen die Franken als einziger amtierender Meister der Bundesliga-Geschichte ab. Was Merkel der Liga hinterließ, war prägend für die Sicht der Deutschen auf den österreichischen Trainertypus: Schnoddrig-grantige Typen mit hohem Unterhaltungswert, die Respekt für eine Beleidigung hielten und dem Land bei ihrem Abgang gerne eine Sprüche-Sammlung hinterließen.
Die längste stammt von Merkel mit Preziosen wie „Das Intelligenteste an Bruno Labbadia ist sein Weisheitszahn“ oder vom Spielverständnis Mario Baslers: „Er ist die teuerste Parkuhr der Welt. Steht rum – und die Bayern stopfen das Geld rein.“
Wer gute Laune im Verein haben wollte, verpflichtete Merkel. Wer Titel wollte und schlechte Laune ertragen konnte, holte Ernst Happel. Der Grantler gewann mit dem Hamburger SV sogar den Europapokal der Landesmeister. Die Nachfolger Merkels und Happels rissen dann keine Bäume mehr aus, wiewohl immer mal wieder ein Österreicher den Weg über die Alpen nahm.
Für kommende Saison aber ist Nachzug angekündigt. Neben Adi Hütter, der Eintracht Frankfurt gerade ins Halbfinale der Europa League geführt hat, haben sich auch andere Bundesligisten im Alpenland umgesehen. Von RB Salzburg kommt Marco Rose nach Mönchengladbach. Der 42-Jährige löst Dieter Hecking ab, unter dem zuletzt Stillstand eingetreten war. Rose ist zwar gebürtiger Leipziger, zum begehrten Trainer aber hat er sich in Salzburg entwickelt.
Der VfL Wolfsburg dagegen tendiert zum Original. Oliver Glasner, gebürtiger Salzburger, trainiert bislang noch den Erstligisten Linzer ASK und soll die Lücke schließen, die der Abgang von Bruno Labbadia in Wolfsburg hinterlässt. Labbadia und Manager Schmadtke konnten nicht miteinander. Das war auch durch die ordentliche sportliche Bilanz nicht zu kaschieren gewesen. Warum aber vertrauen die Wolfsburger ihr reichweitenstärkstes Marketinginstrument einem namenlosen Österreicher an?
Weil unter den Headhuntern der Bundesligisten ein Rennen um verborgene Perlen stattfindet, die gar nicht namenlos genug sein können, aber Belege als Taktiker und Spieler-Entwickler vorweisen können. Wenn sie, wie Glasner noch 44 Jahre jung sind, und zudem nur durch die gemeinsame Sprache voneinander getrennt sind, wie Österreicher und Deutsche gerne betonen, können rot-weiß-rote Kandidaten inzwischen unter Bundesliga-Angeboten auswählen. Was ihnen den Einstieg bei den Piefkes zudem erleichtert: Viele ihrer Landsleute sind schon da. 28 Österreicher spielen aktuell in der Bundesliga. Die größte Fraktion vor den Franzosen (24) und den Schweizern (17). Umgekehrt besteht die Hälfte der österreichischen Nationalelf aus Bundesliga-Legionären.
Warum die Wanderbewegung in den Norden? Weil österreichische Kicker, wie Bayern Münchens David Alaba, schon als junge Talente von europäischen Großklubs verpflichtet und ausgebildet werden. Und wer über Umwege in die Bundesliga kommt, lässt sich über Sprache und Mentalität leichter integrieren als ein junger Brasilianer, der noch nie Schnee gesehen hat.
Weil etliche Bundesligaklubs zur nächsten Saison neue Trainer suchen – vorneweg Hertha BSC, der FC Schalke, Hannover 96 oder der VfB Stuttgart – und sie dabei ihre Blicke ins Nachbarland schweifen lassen, dürfte der Prozess der Annäherung zwischen Fußball-Deutschen und Fußball-Österreichern nicht mehr aufzuhalten sein. Die Deutschen haben sich übrigens bereits an herausragender Stelle revanchiert. Teamchef der rot-weiß-roten Nationalelf ist seit 2017 der Mainzer Franco Foda, zweifacher deutscher Nationalspieler.
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