Die nächste Generation
Giulia Gwinn, Klara Bühl und Lena Oberdorf haben viel mehr Spielminuten gesammelt, als sie dachten
Die Essens- und Trinkgewohnheiten im doch eher betulichen Golfresort Domaine de Cicé-Blossac könnten aktuell unterschiedlicher kaum sein. Während die einen, die hier ihr Handicap verbessern, zur Mittagszeit auf der Terrasse die französische Küche und dazu ein Glas Wein genießen, sind die anderen, die sich auf die Spiele einer Fußball-Weltmeisterschaft vorbereiten, darauf bedacht, die Empfehlungen zur gesunden Verköstigung bei herannahender Hitzewelle zu befolgen.
„Viel trinken, gut ernähren und im Schatten bleiben“, zählte Giulia Gwinn auf. Der Shootingstar der deutschen Fußballerinnen blickte vom Pressepodium erstmals in voll besetzte Stuhlreihen, weil zahlreiche schwedische Reporter den Weg nach Bruz angetreten hatten. Der Klassiker im WM-Viertelfinale Schweden gegen Deutschland in Rennes (Samstag 18.30 Uhr/ARD) elektrisiert eben eine stolze Frauenfußball-Nation, die mit diesem Gegner so traumatische Erfahrungen hat, dass sich sogar der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven äußerte. „Deutschland ist nicht mehr das Deutschland, das es noch vor ein paar Jahren war.“ Und die Zeitung Aftonbladet spottete: „Das Beste, was die deutsche Mannschaft bislang gezeigt hat, war ihr Werbefilm.“ Doch wer einen deutschen Konter erwartet hätte, weilte zur falschen Zeit am falschen Ort. Mit der 19-jährigen Gwinn und der 18-jährigen Klara Bühl äußerten sichdie„Next Generation“,die trotz abgeschalteter Klimaanlage ziemlich cool blieb. „Wir fokussieren uns auf uns und möchten Kritiker vom Gegenteil überzeugen“, entgegnete Gwinn ohne größere Regung.
Die vom SC Freiburg zum FC Bayern wechselnde Überfliegerin wirkt abgeklärt auf und außerhalb des Platzes. Die bereits hinter Melanie Leupolz im Instagram-Ranking zweitbeliebteste deutsche Spielerin (114000 Follower) braucht keine kessen Sprüche, um noch mehr aufzufallen. Die Schweden-Bilanz interessierte sie angeblich ebenso wenig („es geht bei 0:0 los“) wie der Testspielsieg Anfang April in Solna („beide Teams haben sich weiterentwickelt“). Neben ihr nickte Vereinskollegin Bühl häufig. Die beiden, auf dem Teamposter als „Flügelflitzerin“ (Gwinn) und „Sturmflitzerin“ (Bühl), bezeichnet, sind mit der erst 17-jährigen Lena Oberdorf die Überraschungen im deutschen Kader. Weil schon viel häufiger eingesetzt, als sie selbst dachten. „Wir sind mit unserer Spielzeit echt zufrieden“, sagte kürzlich „Küken“ Oberdorf.
Gwinn gehört mit Almuth Schult, Sara Doorsoun, Marina Hegering, Sara Däbritz und Alexandra Popp zu dem Sextett, das bislang in den vier WM-Partien keine einzige Minute gefehlt hat. Oberdorf spielte in drei Partien 130 und Bühl sogar 156 Minuten. Das Trio hat zusammen erst 23 Länderspiele auf dem Konto, aber zehn davon stammen schon von dieser WM. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg belässt es nicht bei lobenden Worten für die Talente, sondern setzt den Nachwuchs einfach ein. Schmerzliche Erfahrungen eingeschlossen, wenn es anders zugeht als im Alltag der Frauen-Bundesliga. „Die Spielerinnen müssen wissen, dass sie in bestimmten Situationen nicht mit fünf Kontakten spielen können, weil es sonst Aua macht oder der Ball weg ist.“ Die 51-Jährige sieht einen „Prozess“ ihrer Mannschaft. Damit ist nichts anderes als die Blutauffrischung mit diesen unverbrauchten Gesichtern gemeint, um in Zukunft noch stärker zu werden. Bei Turnierbeginn lag das Durchschnittsalter der DFB-Frauen bei 25,8 Jahren. Das im Vorjahr so kläglich bei der WM in Russland gescheiterte Männer-Aufgebot war zwar im Schnitt nur knapp ein Jahr älter, aber 17-, 18- oder 19-Jährige kamen unter Bundestrainer Joachim Löw nicht zum Einsatz. Sein bestes Talent, Leroy Sané, ließ er zu Hause.
Bühl findet, dass die jungen Spielerinnen „Unbekümmertheit, Frechheit und Spielwitz“ einbringen. Umso wichtiger wäre es für die Entwicklung der Youngster, dass in Rennes noch ein entscheidender Schritt folgt: Sollte sich die USA am Freitag im Viertelfinale gegen Frankreich durchsetzen, wäre der deutsche Halbfinaleinzug gleichbedeutend mit der Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Stichwort Japan: Das klingt deshalb als Warnung, weil die DFB-Delegation am Vortag das unglückliche Ausscheiden des Vizeweltmeisters gegen die Niederlande (1:2) im Roazhon Park live verfolgt hatte. „Da haben wir gesehen, wie schnell es vorbei sein kann“, räumte Gwinn ein. Auch das war jetzt keine brandheiße Erkenntnis an einem Tag, an dem auch in der bretonischen Provinz die Sonne erstmals vom Himmel brannte.
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