Dopende Konkurrentin: Späte Genugtuung für Christina Obergföll
2008 gewann Christina Obergföll in Peking Olympia-Bronze im Speerwurf. Jetzt bekam sie Silber nachgereicht. Ein Gespräch über Doping und krasse Muskeln.
Frau Obergföll, Sie haben am Wochenende im Rahmen einer kleinen Zeremonie Ihre Silbermedaille von den Olympischen Sommerspielen 2008 nachträglich überreicht bekommen. Wie haben Sie den Abend erlebt?
Obergföll: Es war sehr, sehr schön. Es war eine würdige Veranstaltung und eine große Wertschätzung. DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat es persönlich gemacht. Thomas Bach (IOC-Präsident, Anm. der Red.) hat eine Videobotschaft geschickt und mich im Vorfeld auch persönlich angerufen. Das war wirklich nicht einfach nur abgehandelt nach dem Motto: Der Frau Obergföll müssen wir ja auch noch eine Medaille geben. Es war sehr schön und auch emotional, was ich mir im Vorfeld so gar nicht vorstellen konnte.
Die Zeremonie durften Sie ja relativ frei gestalten. Was halten Sie von derartigen „verspäteten Medaillenübergaben“, weil eine Konkurrentin bei Nachtests des Dopings überführt wird?
Obergföll: Ich habe mich für eine kleine Zeremonie entschieden, weil ich es schön fand, mit den Leuten, die mich in den Jahren begleitet haben, zu feiern – mit Familie und Freunden. Das war mir wichtiger, als es zum Beispiel im Rahmen einer deutschen Meisterschaft zu machen, wo das alles vielleicht ein bisschen untergegangen wäre.
Haben Sie eigentlich die Original-Medaille bekommen, die Ihre russische Konkurrentin vor elf Jahren in Peking erhalten hat?
Obergföll: Die Frage habe ich im Vorfeld auch gestellt. Es ist aber eine neue Medaille angefertigt worden, die genauso aussieht. Ich weiß nicht, ob die Abakumowa ihre Medaille überhaupt zurückgegeben hat. Die hätte ich aber auch gar nicht haben wollen.
Aber Sie haben Ihre alte Bronze-Medaille abgegeben?
Obergföll: Genau. Die musste ich im vergangenen Dezember abgeben. Da wurde ich vom DOSB angeschrieben und musste mich auch entscheiden, in welcher Form ich die neue Medaille bekommen will. Einzige Vorgabe war, dass es innerhalb eines Jahres über die Bühne geht.
War dieses Schreiben auch der Moment, in dem Sie von der Disqualifikation Ihrer Konkurrentin erfuhren?
Obergföll: Nein, das habe ich 2016 erfahren, unmittelbar nach den Spielen in Rio. Da wurden die Nachtests gemacht, bei denen es rauskam. Danach ist dann erst einmal nichts passiert von offizieller Seite, was aber wohl daran lag, dass Abakumowa beim Internationalen Sportgerichtshof Cas Einspruch eingelegt hat. Das hat dann noch einmal ewig gedauert. Anfang des Jahres rief mich dann Thomas Bach an und sagte, es sei offiziell.
Hatten Sie in Peking eigentlich schon einen Verdacht, dass bei Maria Abakumowa nicht alles mit rechten Dingen zugehen könnte?
Obergföll: Wenn man den Körper von Maria angeschaut hat und auch die Entwicklung, die sie körperlich genommen hat, war das schon auffällig. Ein Jahr vor Peking war sie noch ganz normal – natürlich austrainiert und athletisch, aber nicht so wie dann 2008. Bei Olympia sah sie aus wie eine Maschine. Muskulatur und Körperfettgehalt waren so krass, dass es eigentlich unmöglich ist, das auf normalem Wege zu schaffen. Da hat man dann schon gemunkelt. Sie hat auch immer in Jogginghose geworfen, denn wenn sie die ausgezogen hat, haben alle Angst bekommen. Die hatte Waden und Oberschenkel wie ein ganz krass austrainierter Mann. Es lag also schon immer ein bisschen auf der Hand, dass das nicht alles sauber war. Aber wenn ich keine Beweise habe, würde ich nie etwas sagen. Das gehört sich nicht. Nach so langer Zeit hat sich der Verdacht nun aber leider doch bestätigt.
Sie hatten immerhin den großen Vorteil, an der Siegerehrung teilgenommen zu haben. Für die viertplatzierte Britin Goldie Sayers ist dieser Moment nicht mehr wiederholbar.
Obergföll: Das stimmt. Für mich ist es natürlich schön, jetzt die richtige Medaille zu haben. Ich hatte damals meine Siegerehrung. Für Goldie Sayers ist es wirklich tragisch. Da bin ich noch ganz glücklich weggekommen.
Wie haben Sie die Siegerehrung von Peking in Erinnerung?
Obergföll: Eine olympische Siegerehrung ist natürlich etwas ganz Besonderes. Obwohl ich damals im ersten Moment schon etwas enttäuscht war, dass ich meine Leistung nicht ganz abrufen konnte. Aber es war eine Medaille und die muss man feiern – die Freude hat dann schon überwogen.
Glauben Sie als „Dopingopfer“ noch an einen sauberen Sport?
Obergföll: Ich würde mir wünschen, dass es die Ausnahme bleibt, wenn Medaillen nachträglich übergeben werden. Traurigerweise vermute ich aber, dass es in Zukunft häufiger vorkommen wird. Die ganze Thematik ist ein Fass ohne Boden. Die Analysemethoden werden zwar immer besser, aber trotzdem ist es schwer, allen auf die Schliche zu kommen. In dem Moment, in dem es um Geld und Prestige geht, gibt es auch immer Leute, die bescheißen. Das ist leider so – und wird im Sport wohl immer so bleiben. Ich hoffe aber zumindest, dass es abschreckend wirkt, dass man auch acht Jahre danach noch belangt werden kann.
Bleibt die Frage, inwiefern das nun zum Beispiel eine Maria Abakumowa überhaupt noch interessiert, dass sie ihre Medaille los ist?
Obergföll: Soweit ich das überblicke, interessiert sie das ungefähr gar nicht. Wenn ich auf Facebook verfolge, wie sie damit umgeht, dann ist das für sie alles ganz normal. Dort schreibt sie, dass sie ihrem Land für die Unterstützung danke und so weiter. Da frage ich mich dann schon, wie man noch stolz sein kann, wenn man gerade alle Medaillen aberkannt bekommen hat? Wie kann man sich da noch so äußern? Wenn man sie belangen könnte, wäre das vielleicht anders. Wenn sie zum Beispiel persönlich alles erstatten müsste, was mir damals entgangen ist. Aber dafür müsste ich sie quasi in Russland verklagen und das ist für mich natürlich undenkbar.
Diese späte Wiedergutmachung ist für Sie also eher ein zweischneidiges Schwert?
Obergföll: Dass das IOC mir jetzt diese Wertschätzung entgegengebracht hat, finde ich natürlich sehr schön. Besser spät als nie. Trotzdem bleibt immer ein Aber.
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