Philipp Lahm: Das Ende der Postkarten-Idylle
Zu inhaltslos waren die Aussagen von Philipp Lahm, als dass die ARD auf eine Weiterbeschäftigung gedrängt hätte. Der Ex-Profi hat ohnehin andere Pläne.
Das hatten sie sich beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) so schön vorgestellt. Zuerst sollten die Mexikaner im Eröffnungsspiel schön abgefertigt werden, zwei Tage später hätte dann Philipp Lahm vor den versammelten Journalisten über die Vorzüge einer Europameisterschaft in Deutschland reden sollen. Überraschenderweise richtete sich der Weltenlauf nicht nach dem Willen des DFB. Die deutsche Mannschaft verlor und flugs verbreitete der Verband, dass das Treffen mit Lahm abgesagt wird. Lahm ist Botschafter der EM 2024. Als solcher sollte man nett über seinen Arbeitgeber reden. Das wäre Lahm freilich schwergefallen nach dem missglückten Auftritt gegen die Mexikaner.
Selbstverständlich wäre er gefragt worden, wie es denn nur sein kann, dass diese deutsche Mannschaft derart schlapp über das Feld schleicht. Eine ehrliche Beantwortung hätte möglicherweise weder Bundestrainer Joachim Löw noch den Spielern oder DFB-Präsident Reinhard Grindel gefallen. Statt also auf unbequeme Fragen Sinnvolles zu antworten, gab Lahm Kindern der Deutschen Schule Moskaus lange und freundlich Auskunft über das Leben eines Fußball-Pensionärs.
Die ARD hatte sich mehr Deutlichkeit von Lahm gewünscht
So schön wie der DFB hatte es sich auch die ARD vorgestellt. Der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft sollte Jessy Wellmer als Experte während der WM assistieren. Zurück aus Moskau setzten sich die beiden am Tegernsee vor eine Postkartenkulisse und redeten. Die Gespräche waren von überschaubarem Gehalt. Auch deshalb verzichtete die ARD nun darauf, Verhandlungen mit Lahm hinsichtlich einer Vertragsverlängerung aufzunehmen. „Philipp Lahm in unserem Team zu haben war aufgrund seiner Erfahrung sicher sehr belebend. Manchmal hätten wir uns aber noch mehr von diesem Erfahrungsschatz und noch deutlichere Einschätzungen gewünscht“, hatte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky bereits kurz nach der WM gegenüber der Sportbild gesagt.
Dass sich Lahm in der Öffentlichkeit nur selten kritisch äußert, wussten sie mit Sicherheit bei der ARD. Dass es derart viele Gründe geben würde, Negatives anzusprechen, war aber nicht zu erwarten gewesen. Vor allem aber ärgerte die Fernsehmacher Lahms Reaktion nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft. Statt sich nämlich weiter in blümelige Floskeln zu retten, griff Lahm offen den Bundestrainer an. „Ich bin überzeugt davon, dass Jogi Löw seinen kollegialen Führungsstil der letzten Jahre ändern muss, wenn er mit der neuen Generation von Nationalspielern wieder Erfolg haben möchte. Das ist kein Zeichen der Schwäche, sondern der Weiterentwicklung“, sagte er. Beziehungsweise: Schrieb er. Und zwar auf dem Onlineportal LinkedIn und eben nicht für die ARD.
Lahm ist Botschafter der der EM 2024 - und agiert auch so
Lahm war es plötzlich recht egal, dass er sich zuvor als Botschafter der EM 2024 zur Loyalität verpflichtet gefühlt hatte. Er fand jene offenen Worte, die sich die ARD-Verantwortlichen von ihm erwünscht hatten. Der 34-Jährige aber zeigte wieder einmal, dass er sich gut zu beherrschen weiß. Dass er Öffentlichkeitsarbeit nicht als Arbeit für die Öffentlichkeit, sondern als Eigenwerbung versteht. So kritisierte er 2009 vehement die Vereinsführung des FC Bayern für ihre fehlende Strategie und nahm zugleich Trainer Louis van Gaal in Schutz. Das Interview mit der Süddeutschen Zeitung kostete ihn 50.000 Euro und brachte ihm eine Schärfung des Profils. Ein Jahr später forderte er die Kapitänsbinde der Nationalmannschaft für sich ein. Michael Ballack hatte die WM verletzungsbedingt absagen müssen – und machte später kein Länderspiel mehr.
Lahm also weiß, wie er in den Medien wirken kann. Er ist clever, geschickt und hat in Roman Grill einen der besten Berater der Branche. Andere sagen: einen der gefürchtetsten. Grill begleitete Lahm auch nach Russland zur Weltmeisterschaft. Als der deutsche Botschafter in Moskau eingeladen hatte, mischte sich auch Grill unter die Fußball-Funktionäre. Lahm durfte dem Botschafter ein Trikot überreichen, redete anschließend über Presse- und Meinungsfreiheit – in Deutschland nicht verhandelbare Grundrechte. Immer schwingt mit: anders als in der Türkei. Die ist der einzige Mitbewerber um die Europameisterschaft 2024.
Lahm will sie unbedingt nach Deutschland holen und dann auch Teil der EM sein. Er hat sich in eine ausgezeichnete Position gebracht. Karl-Heinz Rummenigge brachte ihn unlängst als DFB-Vizepräsidenten ins Gespräch. Letztlich wird sich Lahm seine Rolle selbst aussuchen. So wie er sich auch dafür entschieden hat, als Experte möglichst wenig zu sagen. Vielleicht aber hätte er das der ARD vorher mal besser mitteilen sollen.
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