Löw mit sechs Neulingen gegen Polen
Mindestens sechs Akteure ohne bisherige Länderspiel-Minute werden gegen die ebenfalls mit einem Ersatzteam antretenden Polen in der Startelf stehen.
Gegen das Nachbarland hat das DFB-Team noch nie verloren. Angst, dass dieses Mal mit der zweiten und sogar dritten Garnitur eine Niederlage droht, hat Flick nicht. "Es wird mit Sicherheit eine Mannschaft auf dem Platz stehen, die einen tollen Fußball spielt", entgegnete der Löw-Assistent den Sorgen der Fans, die am Dienstag (20.45 Uhr) keinen der großen Stars sehen werden.
Sogar Löw räumte ein, dass die Partie in der 51 500 Fans fassenden Hamburger Arena für seine WM-Mission, die am 13. Juli in Rio de Janeiro mit dem so lange ersehnten vierten Titel enden soll, nur eine untergeordnete Rolle spielt. "Das sind Gesichter mit Zukunft", sagte der DFB-Chefcoach.
Offen war für Löw der Einsatz von Lars Bender, nach dem Schalker Benedikt Höwedes (18 Länderspiele) der zweiterfahrenste Akteur im Polen-Aufgebot (17). "Wie es aussieht, ist er einsatzfähig", erklärte Flick zwar über Bender, der mit einer Oberschenkelprellung angereist ist. Allerdings wird er wahrscheinlich nicht in der Startformation stehen, denn der Leverkusener konnte am Montagabend nicht mit dem Team trainieren. Er absolvierte eine individuelle Einheit abseits vom Rasen.
Pokal-Endspiel wichtiger Test für die Nationalmannschaft
Ein viel wichtigerer Brasilien-Test wird es am Samstag im DFB-Pokalfinale in Berlin geben, wo gleich sieben WM-Kandidaten des FC Bayern und sechs von Borussia Dortmund aufeinandertreffen. "Ich möchte da schon von allen sehen, dass sie diese Titelchance unbedingt wahrnehmen wollen und um den Pokal fighten", erklärte der Bundestrainer im "Kicker": "Ich hoffe, dass da im positiven Sinne die Fetzen fliegen." Von der Stimmung dürfte das "deutsche Wembley" schon WM-Atmosphäre verbreiten.
In Hamburg läuft alles eine Nummer kleiner. Auch ein erwarteter Neulings-Rekord in der Ära Löw interessiert in der Hansestadt angesichts der Relegationssorge um den HSV eigentlich niemanden. Mindestens sechs Akteure ohne bisherige Länderspiel-Minute werden gegen die ebenfalls mit einem Ersatzteam antretenden Polen in der Startelf stehen. Aussichtsreiche Kandidaten: Shkodran Mustafi (Sampdoria Genua), Christian Günter (SC Freiburg), Leon Goretzka (Schalke 04), André Hahn (FC Augsburg), Max Meyer (Schalke 04) und Kevin Volland (1899 Hoffenheim). Weitere sechs stehen für Einwechslungen bereit. Die bisherige Höchstmarke unter Löw datiert vom 28. März 2007, als gegen Dänemark 0:1 insgesamt sechs Frischlinge zum Einsatz gekommen waren.
Kevin Volland zufrieden
Kevin Volland bei der Pressekonferenz vor dem Länderspiel auf dem Podium Platz nehmen und war sichtbar mit sich und der Welt zufrieden. Er ist eines der jungen, neuen Gesichter um Leon Goretzka, Max Meyer (beide Schalke), Matthias Ginter (SC Freiburg), Erik Durm (Dortmund), Shkodran Mustafi (Genua) oder André Hahn (Augsburg), die Joachim Löw in den erweiterten 30-köpfigen WM-Kader berufen hat. Einfach nur einmal dabei zu sein – das allein, sagt der 21-jährige Volland, sei für ihn die reine Freude. Die ist ihm anzusehen.
Allerdings werden erwartungsgemäß nicht alle DFB-Jünglinge mit im Flieger sitzen, wenn der 23er-Kader am 7. Juni nach Brasilien startet. Der Bundestrainer will nach dem Testspiel gegen Polen heute Abend (20.45 Uhr/ZDF) am Mittwoch bekannt geben, wer alles mit ins WM-Trainingslager nach Südtirol darf. Spätestens am 2. Juni muss Löw sein endgültiges WM-Aufgebot an den Weltverband Fifa melden.
Kevin Volland hat von den Jungen mit die besten Aussichten auf die WM. Der gebürtige Allgäuer ist Stürmer. Vertreter jener Gattung Fußballer, die hierzulande gesät ist, wenn gleichzeitig die Ansprüche hoch sind. Spätestens seit klar war, dass es der dauerverletzte Mario Gomez nicht nach Brasilien schaffen würde, lief alles auf Volland zu. Er selbst sagt: „Ich war sehr überrascht, als der Anruf kam.“
Volland hat sich selbst in Position gebracht
Es würde dem Hoffenheimer aber nicht gerecht, ihn auf die Rolle des Profiteurs zu reduzieren. Volland hat sich selbst in Position gebracht, und zwar schon im Sommer 2013. Am Ende der U-21-Europameisterschaft in Israel war Trainer Rainer Adrion von seinem Kapitän derart beeindruckt gewesen, dass er ihn öffentlich dem Bundestrainer empfahl. Nicht für irgendwann, sondern für Brasilien. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man ihn 2014 in Brasilien gebrauchen kann“, hatte Adrion erklärt.
Volland hat die Botschaft verstanden und der EM eine glänzende Saison in Hoffenheim hinterhergeschoben, mit zehn Toren und neun Vorlagen. Allein daraus lässt sich die Vielseitigkeit des 21-Jährigen herauslesen. Volland ist Vollstrecker und Vorbereiter. Einer, der viel auf dem Platz unterwegs ist, den Ball robust behaupten kann, ihn aber auch liebevoll zu behandeln weiß. „Ich bin technisch nicht so schlecht, dass ich nicht auch mal an einem Gegner vorbeidribbeln kann. Ich kann mal ein Tor schießen. Aber ich kann auch mal einen aus den Schuhen hauen“, sagt er selbstbewusst.
Das Raue in ihm könnte von Vater Andreas stammen, der als Eishockey-Profi sogar Nationalspieler war und als WM-Teilnehmer seinem Sohn noch einen Schritt voraus ist. Das Fußballtalent stammt von Mutter Anita, die lange selbst gespielt hat. Ihr hat er sein erstes Nationalmannschaftstrikot versprochen. Damals, als er noch ein kleiner Junge war, den Mama zum FC Memmingen ins Training gefahren hat. Über die TSG Thannhausen folgte der Weg ins Löwen-Internat. Keine einfache Zeit für den damals 15-Jährigen, „wenn du aus dem Allgäu kommst und keine Ahnung hast, wie man S-Bahn fährt“.
Das hat sich gegeben, wie alles andere. Nach 57 Spielen und 20 Toren für 1860 München kam der Karrieresprung zur TSG Hoffenheim. Heute folgt sein erstes Länderspiel. Nicht, dass Hansi Flick, der gestern neben ihm auf dem Podium saß, das bestätigt hätte. Andererseits ist es eine alte DFB-Tradition, dass Podiumsgäste eine Einsatzgarantie besitzen. Im Übrigen gilt die Partie als Vorspielen unter erschwerten Bedingungen. Schließlich ist es ein unabgestimmtes Provisorium mit elf Debütanten im 18er-Aufgebot, das es zusammengenommen gerade einmal auf 51 Länderspiele bringt. Nicht einmal halb so viele, wie Philipp Lahm (105) allein absolviert hat. Aber Lahm fehlt wie alle Bayern und Dortmunder, die am Samstag das Pokalfinale bestreiten, sowie die ebenfalls noch beschäftigten England-Legionäre Mertesacker, Podolski und Özil, Real Madrids Khedira und Lazios Klose.
Löw: Ergebnis gegen Polen nicht entscheidend
Unter diesen Voraussetzungen könnte jene Serie bedroht sein, derzufolge die Deutschen noch nie gegen Polen verloren haben. Andererseits treten auch die Gäste mit einem No-Name-Team an. Für den Bundestrainer spielt das keine Rolle. Das Ergebnis sei nicht entscheidend, er wolle Erkenntnisse über WM-Kandidaten sammeln. Das Hamburger Publikum hat offenbar einen anderen Blick auf die Partie. Bis gestern waren erst 39 000 Karten verkauft. Kevin Volland ist das egal: „Für mich ist wichtig, dass ich mich in den Tagen bei der Nationalelf gut präsentiere.“ Was, wenn ihn Löw doch aussortiert? Keine Angst vor einer Enttäuschung? „Ich hab nichts zu verlieren“, sagt Volland. Er schaut dabei so zufrieden, wie einer nur schauen kann.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Deutschland: Zieler (Hannover 96/25 Jahre/2 Länderspiele) - Höwedes (FC Schalke 04/26/18), Mustafi (Sampdoria Genua/22/0), Ginter (SC Freiburg/20/1), Günter (SC Freiburg/21/0) - Rudy (1899 Hoffenheim/24/0), Goretzka (FC Schalke 04/19/0) - Hahn (FC Augsburg/23/0), Meyer (FC Schalke 04/18/0), Draxler (FC Schalke 04/20/10) - Volland (1899 Hoffenheim/21/0)
Polen: Boruc (FC Southampton/34/56) - Olkowski (Gornik Zabrze/24/4), Szukala (Steaua Bukarest/29/5), Cionek (FC Modena/28/0), Wawrzyniak (Amkar Perm/30/37) - Krychowiak (Stade Reims/24/17), Klich (PEC Zwolle/23/7) - Peszko (1. FC Köln/29/28), Wolski (AC Florenz/21/3), Zyro (Legia Warschau/21/0) - Robak (Pogon Szczecin/31/8)
Schiedsrichter: Borbalan (Spanien) as/dpa
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