Nach dem Abriss: Was geschieht mit der Seele von San Siro?
Eines der traditionsreichsten Stadien des Weltfußballs wird abgerissen: Das Mailänder San Siro. Es war Schauplatz legendärer Spiele.
Haben Räume Seelen? Offenbar. Dem menschlichen Körper werden sie zugeschrieben, auch dem tierischen. Bäume hätten Seelen. Verständlich, dass dann auch Bücher welche haben. Mancher, dessen Auto nur auf gutes Zureden anspringt, schwört, dass auch seine Karre eine Seele habe. Wiewohl ist sie doch ein Ort menschlichen Fühlens und Denkens.
Was aber wäre dann mehr ein Ort der Seele als das Fußball-Stadion, in dem sich jedes Wochenende menschliches Fühlen, garniert mit ein wenig Denken zigtausendfach ballt. Und glaube keiner, die Arena werde ihre Seelen los, wenn die Scharen von dannen ziehen. Es bleiben die Erinnerungen, die sich auf ewig in die Betonschüsseln kratzen. Aus ihnen saugt der Mensch sein Fühlen und Denken.
Das San Siro ist ein Mittelding zwischen Raumschiff und Ölplattform
Nehmen wir nur einmal das Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand im Stadtteil San Siro, weshalb viele Seelenwanderer vom San-Siro-Stadion sprechen. Es ist keine Schönheit. Ein Mittelding zwischen Raumschiff und Ölplattform, gelandet auf einem Mailänder Parkplatz. Eingeweiht 1926, 1939 erweitert, 1990 zur WM in Italien umgebaut, was sie den Denkmalschutz gekostet hat.
Vier Endspiele im Europapokal der Landesmeister und später in der Champions League haben hier stattgefunden, Frank Rijkaard Spuckattacke gegen Rudi Völler; 1990 erzielte Lothar Matthäus im Auftaktspiel der WM gegen Jugoslawien das dynamische 3:1 auf dem Weg zum Titel und 2001 hielt hier Oliver Kahn im Elfmeterschießen gegen den FC Valencia den Champions League-Triumph fest.
Die Seele des Stadions wird zwischen den Trümmern beerdigt
Das San Siro ist, wie jede große Arena, ein Ort der Fußball-Kultur, mit seinem eigenen Gesicht, seinem eigenen Klang und seiner eigenen Seele. Warum wir das betonen? Weil ihm das Sterbeglöckchen klingelt. Die Bürokraten haben sich seiner angenommen und verhandeln den Abriss mit dem Zartgefühl von Abrissbirnen. Zugegeben, der mittlere Ring des San Siro ist nicht mehr ganz fit. Er vibriert gelegentlich und ist jetzt schon gesperrt.
Aber muss man deshalb das ganze Stadion abreißen, um dort ein Neues zu bauen? Ja, man muss. Und was geschieht mit seiner Seele? Sie wird unter den Trümmern beerdigt. Tatsächlich aber stirbt sie nie.
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