Malaika Mihambo holt Gold nach Nervenschlacht
Platz drei nach dem fünften Durchgang, leise Selbstzweifel: Es sprach nicht viel für Malaika Mihambo. Dann aber zeigte die Weitspringerin die wohl größte Leistung ihrer Karriere.
Es begann wie die x-te Wiederholung einer Seifenoper im Vormittagsprogramm. Ganz nett, aber im Kern dann doch eher langweilig. Die besten Weitspringerinnen der Welt ließen es vermeintlich locker angehen im olympischen Finale von Tokio. Malaika Mihambo hatten die Experten im Vorfeld zur Favoritin erklärt. Dabei wusste niemand so genau, wo die Weltmeisterin von 2019 steht. Nicht einmal sie selbst. Die wenigen Wettkämpfe in Zeiten von Corona hatten mittelmäßige Ergebnisse gezeitigt. Probleme im Anlauf habe sie, war zu hören. Das Timing stimme nicht. Erst lief sie kürzer an, um dann wieder zur alten Anlauflänge zurückzukehren. Im Vollsprint auf einen kleinen Balken zuzustürmen und diesen dann beim Absprung zu treffen ist genau so schwierig, wie es sich liest.
Da Mihambo aber vor zwei Jahren in Doha überlegen Weltmeisterin geworden war, galt sie nun eben auch in Tokio als Favoritin auf Olympiagold. Davon war anfangs aber wenig zu sehen. Die Nigerianerin Ese Brume und die Amerikanerin Brittney Reese setzten sich an die Spitze der Konkurrenz. Dahinter lauerte Mihambo.
Malaika Mihambo muss auf den sechsten Versuch setzen
Entspannt hatte sie die Tartanbahn betreten. Keine Spur von Nervosität. Im engen, brütend heißen Olympiastadion blieb sie cool. Im zweiten Versuch landete die Deutsche nach 6,95 Metern. Gut, aber war es auch gut genug? Der dritte Sprung: nicht weiter. Der vierte: durchgelaufen. Der fünfte: übertreten.
Und plötzlich war aus der lauen Seifenoper ein knallharter Thriller geworden. Ein letzter Sprung blieb Mihambo noch. Bronze hatte sie in diesem Moment schon sicher. Als Drittplatzierte musste sie direkt vor Brume und Reese springen. "Für mich ist es die Position, die ich am wenigsten mag. Weil man nichts mehr machen kann. Ich mag es lieber, wenn ich im letzten Versuch die letzte bin und weiß: Okay, ich schau mir jetzt an, was die anderen machen – und weiß dann, dass ich schon habe, was ich will. Oder dass ich mich noch anstrengen muss", erzählte Mihambo später.
Mihambo spricht nach Gold von "innerer Stärke"
Trotzdem habe sie ein gutes Gefühl gehabt. "Ich wusste, ich habe jetzt nur noch diesen letzten Versuch und muss mein Bestes geben. Aber es war auch das Gefühl: Ich will mein Bestes geben. Ich weiß, dass ich es besser kann." Sie habe einen starken Glauben daran gehabt, es doch noch zu schaffen, nach ganz vorne zu springen. "Ich habe diese innere Stärke gefühlt."
Nun ist es im Sport aber oft so, dass Athleten voll innerer Stärke an den Start gehen und danach erklären müssen, warum es nicht geklappt hat. Das ist auch den größten Favoriten schon passiert. Druck kann lähmen. Erwartungen erfüllen zu müssen kann die Muskeln bleiern machen. Nicht zuletzt die Turnerin Simone Biles hat der Weltöffentlichkeit gerade erst vor Augen geführt, wie sehr selbst die besten Athletinnen und Athleten unter diesem Druck leiden.
Auch Mihambo hatte diese inneren Kämpfe zu führen. Aber dann habe sie für sich herausgefunden, dass sie niemandem etwas beweisen müsse. "Dass ich nichts zu verlieren habe. Ich muss nicht nach Tokio reisen, um Gold zu holen. Ich kann mich auch ohne Gold wohlfühlen. Ich bin eine gute Sportlerin und mag mich als Mensch. Ich bin glücklich mit dem, was ich erreicht habe." Das zu realisieren habe ihr die Lockerheit gegeben, bis zum Schluss an sich zu glauben.
In dem Moment, als Mihambo zum Flug ansetzte war klar, dass er zu Gold reichen würde. 19,5 Zentimeter hatte sie am Absprung verschenkt und landete trotzdem bei 7,00 Metern. Es sollte der einzige Sieben-Meter-Sprung an diesem Vormittag bleiben. Erst aber musste Mihambo noch die letzten Versuche ihrer härtesten Konkurrentinnen abwarten. Mit geschlossenen Augen saß sie da. "Für mich war das ein schlimmer Moment. Ich wusste ja, dass sieben Meter geschlagen werden können. Das kann jede von den beiden auch springen. Und ich konnte nichts mehr machen. Nur warten."
Dann brach es aus ihr heraus. Ein wilder Schrei hallte durch das leere Rund. Der Rest war Freude. Weil der Weg zu Gold so hart und steinig gewesen sei. Weil sie immer wieder Selbstzweifel gequält hätten, "als ich nicht mehr daran anknüpfen konnte, wo ich in Doha aufgehört habe". Damals war sie 7,30 Meter gesprungen.
Weitsprung-Gold bei Olympia: Viel mehr geht nicht
Diesmal reichten 30 Zentimeter weniger zum größten Sieg ihrer Karriere. Europameisterin, Weltmeisterin, Olympiasiegerin. Was soll denn jetzt noch kommen? Erst einmal Urlaub, sagte Mihambo in den weitläufigen Katakomben des Stadions in Tokio, eine Deutschlandfahne über den Schultern. Und dann wolle sie herausfinden, wie weit sie noch springen könne. "Klar, dieses Jahr habe ich noch keine neue Bestleistung aufstellen können. 7,30 Meter muss man auch erst mal wieder schlagen. Aber ich weiß, dass ich das kann." Druck machen will sie sich nicht mehr. Warum auch? Mihambo hat alles gewonnen, was man gewinnen kann. Vor allem den Kampf gegen sich selbst.
Die Diskussion ist geschlossen.