FIFA-Boss Sepp Blatter: Sonnengott und Mittelpunkt des Weltfußballs
Sepp Blatter ist unpopulär und herrscht wie ein Sonnengott in seinem Reich der Korruption. Doch der Schweizer wird immer wieder zum Präsidenten der Fifa gewählt. Ein Porträt.
Der schwere Mercedes, eine S-Klasse, stoppt unter den Palmen der Bahamas. Ein kleiner grauhaariger Mann klettert aus dem Fond. Sepp Blatter knipst ein breites Lachen an, plaudert, schüttelt Hände. Kumpelhaft, gönnerhaft. Irgendwie einnehmend. So ist es immer, wenn sich der Präsident des Weltfußballverbandes Fifa die Ehre gibt. In Asien, in Afrika vor allem, wo sie ihn vergöttern. Oder eben beim Regionalverband für Nord- und Zentralamerika und die Karibik. Es ist eine der letzten Stationen auf seiner Werbetour, die für Blatter am Freitag in Zürich triumphal enden soll. Der 79-jährige Schweizer will sich dann zum fünften Mal von den mehr als 200 Mitgliedsverbänden zum Fifa-Präsidenten wählen lassen. Er will seine 1998 begonnene „Mission“ als mächtigster Mann des populärsten Sports der Welt fortführen. Er will weitere vier Jahre über die „Familie“ der Fifa herrschen. Uneingeschränkt.
Blatters Sieg auf dem Verbandskongress, der morgen in Zürich beginnt, gilt als sicher. Er hat nur noch einen Gegenkandidaten, den jordanischen Prinzen Ali bin al-Hussein, dem allerdings so gut wie keine Chancen eingeräumt werden. Das liegt zunächst daran, dass sich Blatter, dem wie kaum einem anderen Sportfunktionär Korruption und Vetternwirtschaft vorgehalten wird, auf eine große Zahl von Günstlingen verlassen kann. Die sitzen vor allem in Afrika, aber beispielsweise auch in der Karibik.
Osiris Guzman ist so einer. Der Chef des Fußballverbandes der Dominikanischen Republik bricht, sobald der Name Blatter fällt, in Huldigungen aus. Blatter sei eine Lichtgestalt wie Jesus Christus, Nelson Mandela oder Abraham Lincoln, sagt er. Ähnlich bizarr anmutende Treueschwüre nimmt Blatter gerne auch bei anderen Fifa-Mitgliedern entgegen. Als Gegenleistung fließt Geld, viel Geld, ganz offiziell.
Fifa-Boss Blatter: Gutmensch, Machtmensch
Das nennt man dann Aufbauhilfe für den Fußball in Entwicklungsländern. Seit Blatter Präsident ist, hat der Weltverband weltweit rund 2,5 Milliarden Dollar in hunderte Projekte gesteckt, berichtet der Spiegel. Blatter pflegt die Rolle des Gutmenschen, der mit seiner Fußball-Regierung die Welt verbessern will. Punktuell, was einzelne Projekte betrifft, ist ihm das gelungen.
Blatter war auch die treibende Kraft für die erstmalige Austragung einer Weltmeisterschafts-Endrunde auf dem afrikanischen Kontinent. Die war 2010 in Südafrika. Zudem schiebt er jedem nationalen Verband rund eine Viertel Million US-Dollar im Jahr zu. Das sind die bekannten Zahlungen. Dass es auch andere Kanäle im Verband gibt, die inoffiziellen, gilt mittlerweile als offenes Geheimnis. Nur hat man dem Schweizer selbst bislang nie nachweisen können, damit in Verbindung zu stehen. Nach seiner ersten Wahl gab es Gerüchte, es seien 20 Briefe mit je 50000 Dollar an afrikanische Delegierte gegangen. Als Bestechungsvorwürfe laut wurden, bezeichnete Blatter die Ausgaben als vorab vereinbarte Zahlungen für „Verbände in schwieriger Lage“. So funktioniert das System Blatter. Eine Hand wäscht die andere.
Dass die neuerliche Wiederwahl des Schweizers praktisch eine ausgemachte Sache ist, hängt mit einem weiteren Umstand zusammen. Zwar gibt es gerade unter den Europäern eine ganze Reihe von Mitgliedsländern, die Blatter kritisch gegenüberstehen oder ihn offen ablehnen, darunter Deutschland. Allerdings haben sie trotz ihrer fußballerischen Bedeutung, ihrer Mitgliederstärke oder Wirtschaftskraft nicht mehr Einfluss, zumindest wenn es um die Bestimmung des Präsidenten geht. 209 nationale Verbände sind wahlberechtigt, und jede Stimme zählt gleich viel – die des Deutschen Fußball-Bundes, mit fast sieben Millionen Mitgliedern größter Sportfachverband der Welt, genauso viel wie die von Lesotho oder den Amerikanischen Jungferninseln. Afrika hat unter den Kontinentalverbänden die meisten Stimmen, nämlich 54.
Die Lobhudeleien aus den Entwicklungsländern hinterlassen beim „Vater des Fußballs“ Spuren. Das zeigt Blatter mit Einlassungen, die zumindest eine Prise Größenwahn erahnen lassen. So feiert er seine Fifa mit „1,6 Milliarden Menschen“ als „größte Familie der Welt“. Oder er behauptet: „Die Fifa ist durch die positiven Emotionen, die der Fußball auslöst, einflussreicher als jedes Land der Erde und jede Religion.“
Es überrascht, dass auch sonst nüchterne Experten wie Ottmar Hitzfeld, einst Trainer bei Bayern München, Borussia Dortmund und der Schweizer Nationalmannschaft, Blatter beispringen. Der frühere Meistercoach sagt offen, er würde für den Schweizer stimmen. Blatter habe „sensationelle wirtschaftliche Erfolge erzielt, und die Fifa ist nun mal in erster Linie ein Unternehmen“, sagt Hitzfeld.
Blatter machte aus der Fifa einen gefürchteten Weltkonzern
Tatsächlich hat Sepp Blatter als Generalsekretär (ab 1981) und dann als Präsident (ab 1998) aus dem gemütlichen Altherrenklub einen gefürchteten Weltkonzern gemacht. Die Fifa, die immer noch als normaler Verein in Zürich eingetragen ist, entscheidet über die Vergabe der Weltmeisterschaften und kontrolliert rigoros den gigantischen Werbemarkt sowie die Fernsehrechte rund um das alle vier Jahre zelebrierte Spektakel. Vorgänger João Havelange sagte einmal halb bewundernd, halb schockiert zu Blatter: „Sepp, du hast ein Monster geschaffen.“ Ein Monster, das im vergangenen WM-Jahr einen Rekordumsatz von 2,1 Milliarden Dollar und einen Gewinn von 141 Millionen Dollar verbuchte.
Blatter demonstriert seinen Erfolg hoch über Zürich. Dort, in der Fifa-Straße 20, residiert der Weltverband in einer futuristischen Trutzburg aus Glas, Metall, Beton und Marmor. Mehr als 400 Menschen aus rund 40 Ländern mehren Einfluss und Vermögen des Verbandes. Der Chef thront in der „Home of Fifa“ genannten Zentrale ganz oben in einem weitläufigen Büro. Er lässt sich seine Dienste mit rund einer Million Euro pro Jahr vergüten. Und gibt seine Kommandos in sechs Sprachen, die er beherrscht.
Unten in dem gewaltigen Bau ließ der Patriarch eine Kapelle einrichten – für alle großen Religionen seines Fußball-Reiches. „Für mich ist es wesentlich, dass es in einem Gebäude mit dieser Größenordnung einen Ort gibt, wo man sich zurückziehen kann“, sagt der bekennende Katholik. Ob sich die Gedanken auch um seine Geschäftspraktiken drehen, wenn Blatter in seinem Andachtsraum mit sich selbst Zwiesprache hält? Es sind Methoden, die Kritiker immer wieder in die Nähe der Unterwelt rücken. Pünktlich zu seiner fest eingeplanten Wiederwahl hat die ARD mit einem Beitrag Empörung in der „Familie“ ausgelöst. Titel: „Der verkaufte Fußball. Sepp Blatter und die Macht der Fifa“.
Schmiergeldzahlungen und Bestechungen aufgedeckt
Die Autoren decken Schmiergeldzahlungen für die Vergabe der Weltmeisterschaften an Russland (2018) und Katar (2022) auf, berichten über Bestechungen im Zusammenhang mit der Inthronisierung Blatters und sonstige schmutzige Geschäfte. Die Dokumentation fügt sich nahtlos in Berichte über Blatters Machenschaften ein, etwa Thomas Kistners Buch „Fifa-Mafia“. Der Journalist zeichnet darin akribisch die „Kriminalgeschichte des weltgrößten Sportverbandes“ nach.
Doch Blatter überstand bisher alle Enthüllungen und auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Selbstredend brachten interne Untersuchungen seiner Fifa gegen ihn auch nichts ans Tageslicht. Details über mögliche Gaunereien tut Blatter als „ekelhaft“ ab, Schmiergelder verharmlost er als „Provisionszahlungen“. Politikern, die wegen des Krim- und Ostukraine-Konflikts eine Verlegung der WM 2018 in Russland fordern, blafft er an: Wer mit der Wahl nicht glücklich sei, der „soll zu Hause bleiben“.
„Napoleonische Züge“ durfte das offizielle Fifa-Magazin, eine Art Hauszeitung, dem Chef einst unwidersprochen zuschreiben. Das Harte, das Kalte im Charakter des dreimal geschiedenen Mannes bildete sich schon früh heraus. Joseph S. Blatter (S steht für Sepp – ein Zusatz, mit dem er später seinen Namen schmückte) kam am 10. März 1936 in Visp im deutschsprachigen Oberwallis zur Welt, nach nur sieben Monaten Schwangerschaft seiner Mutter Bertha. Damals gab es keine Stationen für Frühgeborene, der Säugling aus einfachen Verhältnissen musste kämpfen, „um zu überleben“. Die Entbehrungen in der schroffen Alpenwelt schärften seinen Willen, nach oben zu kommen. Blatter schloss ein Studium der Volkswirtschaftslehre ab, stürzte sich als Mittelstürmer ins Getümmel, schaffte es bis in die höchste Schweizer Amateurliga und brachte es auf 1400 Diensttage als Kommandant eines Versorgungsregimentes.
Schließlich heuerte der Vater einer erwachsenen Tochter 1975 bei der Fifa an. Nach vierzig Jahren soll nun die Ära Blatter in die Verlängerung gehen. Und dann? „Jetzt müssen wir zuerst schauen, dass ich am 29. Mai gewählt werde, und sollte das der Fall sein, dann habe ich vier Jahre Zeit, einen Nachfolger aufzubauen “, sagt Blatter. Der Boss des Weltfußballs spielt voll auf Sieg.
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