Kopf voraus zu Silber
Jacqueline Lölling rast mit 128 km/h durch die Eisrinne von Pyeongchang. Ein bisschen lahm, findet sie
Jacqueline Lölling muss erklären, warum sie ihren außergewöhnlichen Sport liebt. Insbesondere nach ihren Fahrten in der Rinne von Pyeongchang. Immerhin rast sie auf dem Schlitten zur Silbermedaille, insgesamt der dritten für Deutschland in der Geschichte der Olympischen Spiele.
„Mir macht es einen Riesenspaß, Kopf voraus mit einer Riesengeschwindigkeit hinunterzurasen“, sagt die 23-Jährige aus Brachbach im Siegerland. Wobei der Kurs in Pyeongchang vergleichsweise lahm sei. In der Spitze erreichen die Frauen 128 Stundenkilometer. Im kanadischen Whistler Mountain rasen sie mit 142 Sachen durch die Rinne – den Kopf nur wenige Zentimeter über dem Eis. Den Schlitten lenken die Skeletonis mit Gewichtsverlagerung und notfalls mit den Fußspitzen. Aber das bremst und kostet wertvolle Hundertstelsekunden.
Dramatik bietet das Finale in Südkorea. Ihre Halbzeit-Führung hatte die Weltmeisterin im dritten Lauf verspielt, doch sie schafft den Sprung vom dritten auf den zweiten Platz, auch weil die vor dem Finale führende Österreicherin Janine Flock auf den vierten Platz zurückfällt. „Das war bis zur letzten Sekunde Nervenkrieg“, meint Lölling, der 45 Hundertstel auf die alte und neue Olympiasiegerin Lizzy Yarnold fehlen. Bronze geht ebenfalls nach Großbritannien an Laura Deas. Ex-Weltmeisterin Tina Hermann aus Königssee und Anna Fernstädt vervollständigen mit den Plätzen fünf und sechs das starke deutsche Abschneiden.
Im Ziel umarmt die Skeleton-Pilotin zuerst ihre Familie, danach herzt sie die Rodlerinnen Natalie Geisenberger und Dajana Eitberger. „Ein Riesendruck ist von mir abgefallen. Nach dieser und der letzten Saison hat es jeder von mir erwartet, ich selbst auch“, sagt die Weltmeisterin und Weltcup-Siegerin. Auch die Eltern, ihre Schwester und der Freund jubeln im kleinen, aber stimmungsvollen Stadion an der Eisrinne. „Wenn jetzt nicht gefeiert wird, wann dann?“ Später tanzt Lölling ausgelassen in der Partyzone des Deutschen Hauses.
Durch Zufall kam die 23-Jährige vor elf Jahren zum Skeleton. Eine Lehrerin hatte interessierte Schülerinnen an die Bahn in Winterberg mitgenommen. Etwas später folgt die erste Fahrt: „Ich wusste nicht, wo oben und unten ist, aber danach wollte ich es immer wieder probieren.“ Bei den Jugendspielen 2012 steht sie oben auf dem Treppchen. Danach qualifiziert sie sich als Junioren-Weltmeisterin für die WM 2015 und fährt auf ihrer Heimbahn in Winterberg auf Rang zwei. Zwei Jahre später ist sie Welt- und Europameisterin. Zwischenzeitlich stand die Karriere jedoch auf der Kippe. Nach den schwachen Resultaten von Sotschi 2014 durften nur die Athleten im Weltcup mitfahren, die die vom Verband gesetzte Norm erfüllen. Da sie alles dominierte, wurde bei Lölling eine Ausnahme gemacht. Erst in diesem Winter schafft sie die Vorgabe.
„In der Vorbereitung trainieren wir sechsmal pro Woche, zweimal am Tag“, erzählt die 23-jährige Bundespolizistin. Im Winter kommen Einheiten auf der Bahn hinzu. „Skeleton ist ein Full-Time-Job.“
Mit Lölling jubeln die Funktionäre des Bob- und Schlittenverbandes. Ohne das Frauen-Resultat hätte die Förderung für den nächsten Olympiazyklus eventuell aus eigenen Mitteln bezahlt werden müssen. BSD-Präsident Trautvetter spricht vom „wichtigsten Rennen des Verbandes“.
Noch dominieren die Briten mit Yarnold und Deas. „Sie haben einen Vorteil am Start“, sagt die Silbermedaillengewinnerin. Das soll sich ändern bis zu den Winterspielen 2022. Jacqueline Lölling will sich steigern. Das wäre dann Gold in Peking. Milan Sako
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