Es ist Folter, Qual und Rätsel zugleich – sagen die einen. Es ist das mysteriöseste, härteste und verrückteste Rennen der Welt - sagen die anderen. Recht haben sie alle, wenn es um den Barkley Marathon im US-Bundesstaat Tennessee geht. Jedes Jahr findet Ende März oder Anfang April das Rennen im Frozen Head State Park statt, bei dem in einem Waldstück etwa 210 Kilometer und 18.000 Höhenmeter zurückgelegt werden müssen. Wobei: Wie lange die Strecke, die sich jedes Jahr ändert und nicht wirklich markiert ist, so ganz genau ist, weiß eigentlich niemand. Vielleicht nicht einmal Gary Cantrell. Der Mann mit dem weißen Rauschebart, der eher unter seinem Künstlernamen „Lazarus Lake“ bekannt ist, hatte in den 80er-Jahren die Idee für den Lauf. Neben einem ausgefeilten, teils absurd wirkenden Regelkanon hat Lazarus Lake auch das Zeitlimit ersonnen, das bis heute gilt: 60 Stunden haben die Athleten für die Bewältigung der Strecke Zeit. Wer darüber liegt, scheidet aus. Bei der kürzlich beendeten Auflage schaffte es kein einziger Teilnehmer. Mal wieder.
Wahrscheinlich war der Barkley Marathon des Jahres 2025 besonders zerstörerisch, weil es im vergangenen Jahr ein Novum gegeben hatte: Gleich fünf Teilnehmer schafften es innerhalb der Zeit über die Ziellinie, darunter mit Jasmin Paris erstmals eine Frau. Die Engländerin blieb 99 Sekunden unter dem Limit. Die Bilder von der völlig erschöpften, im Zieleinlauf liegenden Frau gingen damals um die Welt. Aber gleich fünf Personen, die ins Ziel kommen – das ist eigentlich nicht vorgesehen in dem „Rennen, das „seine Kinder frisst“, wie der Titel einer 2014 erschienenen Dokumentation lautet. Insgesamt sind in nun 40 Auflagen insgesamt nur 20 Sportler ins Ziel gekommen.
Barkley Marathon: Wer sich anmelden will, muss dem Organisator einen Aufsatz zusenden
Und schon die Anmeldung ist alles, nur nicht einfach: Wer zu den 40 Auserwählten gehören will, die jedes Jahr maximal an den Start gehen dürfen, muss zwar nur eine Gebühr von 1,60 Dollar bezahlen. Wichtiger ist es aber, die Adresse von Gary Cantrell alias Lazarus Lake herauszufinden, um dorthin den Aufsatz mit dem Titel „Warum ich am Barkley teilnehmen darf“ zu schicken sowie andere, stets wechselnde Aufgaben zu erfüllen. Auch die Anmeldefrist kennt nur Cantrell. Wer es geschafft hat, erhält ein Kondolenzschreiben. Die Startnummer 1 bekommt derjenige, der nach Ansicht des Organisators die kleinste Chance hat, die erste Runde zu überstehen. All diese Torturen verhindern aber nicht, dass die 40 freien Plätze stets innerhalb kurzer Zeit vergeben sind.
Und dann gibt es eben das Rennen. Wann es genau losgeht, ist nicht bekannt. Klar ist nur: irgendwann zwischen Mitternacht und Mittag ertönt ein Schneckenhorn. Ab diesem Zeitpunkt haben die Sportler eine Stunde Zeit, um sich vorzubereiten. Los geht es dann, wenn Lazarus Lake sich an einer gelben Schranke, die als Start- und Endpunkt fungiert, eine Zigarette anzündet. Gelaufen wird zuerst im, dann gegen den Uhrzeigersinn. Statt GPS-Uhren gibt es Kompass und Karten. Um zu beweisen, dass sie an Checkpoints vorbeigekommen sind, müssen Teilnehmer dort postierte Bücher finden und daraus Seiten herausreißen, die ihren Startnummern entsprechen. Nur zwischen den Runden dürfen Läufer sich im Camp versorgen lassen oder Hilfe Fremder annehmen. Wer eine Runde abbricht, um zum Camp zurückzukehren, wird – erraten – disqualifiziert. Neben der Fitness kämpfen die Teilnehmer mit dem Schlafmangel, der Orientierungslosigkeit, der Einsamkeit.
Bleibt die Frage: Warum in aller Welt tut man sich das an? Jasmin Paris, die erste weibliche Finisherin aus dem Vorjahr, nannte im Interview mit dem Guardian den Reiz des scheinbar Unmöglichen: „Das Scheitern zieht mich an.“ Auch die Grenzerfahrung bei dieser Tortur werde sie nie vergessen: „Ich war so nah dran, ohnmächtig zu werden. Ich hatte das Gefühl, ich würde entweder das Ziel erreichen oder direkt davor zusammenbrechen.“ John Kelly, der das Rennen schon dreimal beendete, schrieb auf Facebook: „Viel zu oft haben die Leute keine Ahnung, wozu sie fähig sind, und denken, alles gegeben zu haben, obwohl es in Wirklichkeit nur leichtes Unbehagen war.“
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