Als Justinian Jessup vor nicht ganz einem Jahr seinen Vertrag verlängerte, da begründete er seine Entscheidung damit, dass er den Job als noch nicht erledigt betrachtet. Ratiopharm Ulm war zuvor bereits in der Viertelfinal-Serie an Würzburg gescheitert. Als amtierender deutscher Meister enttäuschend früh. Am Samstagabend wurde endgültig klar, wie Jessup das damals gemeint hat. Der 27 Jahre alte Amerikaner war der entscheidende Mann beim 81:79-Sieg der Ulmer im Münchener SAP-Garden. Zwei Jahre nach der ersten deutschen Meisterschaft der Vereinsgeschichte, nach der Fahrt auf der offenen Ladefläche eines Trucks durch die Innenstädte von Ulm und Neu-Ulm, nach der Feier auf dem proppevollen Münsterplatz, steht die Tür zur zweiten Meisterschaft sperrangelweit offen. Ulm führt in der Endspielserie gegen Bayern München mit 2:1 und hat am Dienstag (20 Uhr) im mit 6000 Besuchern und Besucherinnen ausverkauften Hexenkessel Ratiopharm-Arena den ersten Matchball.
In ihrem Heimspiel am Samstag führten die Bayern drei Minuten und 21 Sekunden vor dem Ende der Partie noch mit 77:71. Es sah nach einem nicht unbedingt glanzvollen, aber doch sicheren Arbeitssieg für den Titelverteidiger aus. Aber dann regelte Jessup die Sache für die Ulmer quasi im Alleingang. Zunächst sorgte er mit zwei Dreiern nacheinander für den 77:77-Gleichstand eine Minute vor dem Ende, dann warf er seine Mannschaft erneut von draußen mit 80:79 in Führung, gleich anschließend schnappte sich Jessup hinten auch noch einen Rebound und wurde dabei gefoult. Von den beiden folgenden Freiwürfen traf er zwar nur einen, aber seine zehn Punkte in Folge in zweieinhalb Minuten reichten letztlich auch. Nick Weiler-Babb vergab die letzte Wurfchance für die Bayern, die vielen Ulmer Fans auf den Tribünen des SAP-Gardens waren aus dem Häuschen, die Ulmer Spieler stürmten auf Jessup zu und feierten ihren Matchwinner. Sein Trainer Ty Harrelson schwärmte: „Was er in der Crunchtime geliefert hat, das war der pure Wahnsinn.“ Mannschaftskollege Philipp Herkenhoff stellte fest: „So einen Spieler brauchst du, um Meister zu werden.“
Die Ulmer sind jetzt plötzlich in der Favoritenrolle gegen einen Gegner, der einen geschätzt dreimal so hohen Etat zur Verfügung hat. Die Arena in Neu-Ulm gilt schließlich als die Festung schlechthin im deutschen Basketball. Ein einziges Spiel haben die Ulmer in der kompletten Hauptrunde in ihrem Wohnzimmer verloren, in den Play-offs sind sie dort noch ungeschlagen.
Nachdem die Finalserie in ein viertes und vielleicht sogar in ein fünftes Spiel am kommenden Donnerstag geht, dürfte allerdings der Konflikt abseits des Parketts zwischen den Ulmern auf der einen sowie den Bayern und der Basketball-Bundesliga (BBL) auf der anderen Seite wieder hochkochen. Die Ulmer Megatalente Noa Essengue und Ben Saraf gelten als sichere Kandidaten für die NBA. Die Draft-Zeremonie in New York findet am frühen Donnerstagmorgen deutscher Zeit statt. Da die Bayern und die BBL eine Verlegung der Final-Termine abgelehnt haben, müssen der 18-jährige Franzose und der 19-jährige Israeli sich entscheiden zwischen den entscheidenden Spielen um die deutsche Meisterschaft und der Teilnahme am Festakt. Den umschreibt Ty Harrelson mit den Worten „once in a lifetime“. Also als Erlebnis, das man nur einmal im Leben hat. Gleichzeitig bekräftigte der Ulmer Trainer, dass die Spieler diese schwierige Entscheidung selbst treffen dürfen und dass ihr Arbeitgeber ihnen nicht drein redet.
Bayern München droht eine komplett verkorkste Saison
Bayern München hat derweil ganz andere Sorgen. Vor der Saison wurde der deutsche Weltmeister-Trainer Gordon Herbert verpflichtet und die Euphorie war riesengroß. Jetzt droht aus einer sowieso höchstens mittelmäßigen Saison eine gänzlich verkorkste zu werden. Den Pokal haben die Bayern schon mal nicht gewonnen und in der europäischen Königsklasse Euroleague haben sie die Play-offs verpasst. Aus den Worten der Münchener Protagonisten spricht auch ein bisschen Ratlosigkeit. So sagte etwa der frühere Nationalspieler Niels Giffey: „Wir müssen tough sein und jetzt reagieren. Keine Frage.“ Gordon Herbert erinnerte vor der Mammutaufgabe in der Ratiopharm-Arena mit einer Art Durchhalteparole an vergangene Heldentaten: „Wir haben schon große Spiele auswärts gewonnen.“
Das am Dienstag werden die Bayern nicht gewinnen, wenn es nach den Ulmern geht. Die haben sich schon im ersten Heimspiel der Finalserie gegen München mit 79:64 durchgesetzt und in der Hauptrunde mit 109:94. Der 2,09-Meter-Mann Philipp Herkenhoff bekräftigt: „Wir spielen diese Serie nicht, um Zweiter zu werden.“
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