Herr Hainer, am 27. Februar wird der FC Bayern 125 Jahre alt. Sie sind der Präsident des nach Zahlen größten Klubs der Welt, stehen fast 400.000 Mitgliedern voran. Wie fühlt sich das an?
Herbert Hainer: Für mich ist es eine Freude und Ehre, Präsident des FC Bayern München zu sein. Ich liebe Fußball, war als Kind schon im Grünwalder Stadion und dann im Olympiastadion, um die Bayern spielen zu sehen. Franz Beckenbauer war mein Hero. Dieser Club ist seit Jahrzehnten eine Identitätsschmiede – und alle Erfolge sind auch eine Verpflichtung. Mich hat dieser Verein immer fasziniert, das wird so bleiben. Wenn die Geschichte des FC Bayern uns eines lehrt, dann, dass er nie aufhört, weitere Kapitel zu schreiben.
Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre für ihren Verein?
Hainer: Ich habe schon öfter gesagt, dass der FC Bayern niemals ein kickender Konzern werden darf. Wir sind ein Verein, der neben seinen sportlichen Erfolgen für die Nähe zu den Fans und Mitgliedern steht. In der Hinsicht unterscheiden wir uns von vielen anderen internationalen Topklubs. Wir sind eine Familie und das sieht man in ganz vielen Dingen. Der FC Bayern hilft, wenn jemand in Not geraten ist. Das darf gerne in den nächsten 125 Jahren so weiter gehen.
Sind von ihrem Bruder Walter eigentlich auch Glückwünsche zu erwarten? Der spielte in der Bundesliga als Libero für den TSV 1860 München und ist als „Blauer“ jetzt nicht unbedingt auf der Glückwunschliste verortet.
Hainer: Ich bin sicher, dass er sich meldet. Er hatte damals mit Rudi Völler bei 60 eine Fahrgemeinschaft zu jedem Training und mehr Talent als ich – aber ich kann ihn heute im Scherz kontern, dass ich am Ende doch beim erfolgreicheren Verein gelandet bin (lacht).
Unter ihrer Präsidentschaft hat sich der Verein weiter gesellschaftlich positioniert, etwa mit der Aktion „Rot gegen Rassismus“. Wie wichtig werden solche Aktionen in der Zukunft werden – in Zeiten, in denen der Rechtspopulismus wieder erstarkt?
Hainer: Diese Initiative haben wir vor fünf Jahren ins Leben gerufen, weil wir nachhaltig für Vielfalt, Diversität und Inklusion sensibilisieren wollen und den FC Bayern schon seit Zeiten von Beckenbauer und Uli Hoeneß sein sozialer Kern auszeichnet. In unserer Mannschaft spielen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion oder Kultur zusammen, um gemeinsam etwas zu erreichen. Unsere Mitglieder signalisieren uns, dass es ihnen immer wichtiger wird, gesellschaftliche Haltung zu zeigen, und Haltung zu zeigen, bedeutet manchmal auch, unter Umständen etwas auszuhalten. Wenn wir unsere Allianz Arena in Regenbogenfarben beleuchten, finden das nicht alle gut. Aber wir machen das. Bei „Rot gegen Rassismus“ wollen wir Vielfalt leben, uns inhaltlich damit auseinandersetzen – es ist mehr, als einmal im Jahr einen Slogan auf ein Shirt zu drucken. Wir veranstalten intern Workshops, gehen an Schulen und sorgen für Begegnungen. Erst neulich haben wir anlässlich des Holocaust-Gedenktags zum nun schon dritten Mal gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde ein Wochenende im Zeichen der Erinnerungskultur organisiert, um unter anderem unserer Vereinsgeschichte mit Kurt Landauer, einem unserer bedeutendsten Präsidenten, gerecht zu werden.
Wie bedenklich sehen Sie das Erstarken der AfD?
Hainer: Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft bereitet mir große Sorgen. Eine starke Demokratie hat uns die vergangenen 70 Jahre Frieden und Freiheit gesichert. Das ist ein unheimliches Privileg und wir sollten alles dafür tun, dieses Gut zu erhalten. Zudem müssen sich die etablierten Parteien Gedanken machen, warum so viele Menschen die AfD wählen. Da gibt es sicherlich einiges, was man aufarbeiten muss.
Zum Beispiel?
Hainer: Natürlich sind die schleppende Wirtschaft und die Migration ein Thema. Anschläge wie nun in München verunsichern die Menschen, aber hier möchte ich auf die Bitte der Familie der beiden Todesopfer verweisen, die explizit gebeten hat, den Vorfall nicht dafür zu nutzen, um Hass zu schüren. Was wir brauchen, ist ein fundierter Austausch – keine Hetze.
Der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser hat die AfD zuletzt wieder als Gefahr für die Wirtschaft bezeichnet, etwa hinsichtlich des geplanten Austritts aus der EU. Dieser führe dazu, dass Arbeitskräfte sich nicht mehr innerhalb der EU frei bewegen können, während der Fachkräftemangel sich schon jetzt bemerkbar macht. Wie sehen Sie das?
Hainer: Genauso. Wir sind auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen, nicht zuletzt im Gesundheits- und Pflegebereich herrscht ohnehin schon ein Mangel. Ein Austritt aus der EU würde Deutschland massive Probleme bereiten. Wir brauchen ein vereintes, starkes Europa - keine Grenzen, sondern Brücken. Gerade in der heutigen Zeit. Die Aufgabe von uns allen ist es, insbesondere jungen Menschen vorzuleben, dass Miteinander, offener Austausch und Freiheit die Schlüssel zu Stärke sind. Wir als FC Bayern sagen klar: Hass und Hetze sind nicht unser Spiel. Der FC Bayern steht für ein Deutschland, das sich nicht spalten lässt.

Ein wohl wenig erfreulicher Abend für Sie als Präsident war die eskalierte Jahreshauptversammlung 2021. Auslöser war damals das Katar-Sponsoring. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Hainer: Wir haben sehr intensiv darüber nachgedacht, diskutiert und seitdem unterschiedlichste Dialogformate eingeführt. Es gibt Workshops, Stammtische oder sogenannte Wohlfühlformate wie Schafkopfturniere oder Quiz-Abende. Vor zwei Jahren haben wir unsere Mitglieder im Vorfeld einer weitreichenden Satzungsänderung einbezogen, in der wir unsere gesellschaftlichen Werte verankert haben. Das alles kommt sehr gut an: Wir verzeichnen Rekordzuwächse bei den Mitgliedern, und das, obwohl wir sportlich im vergangenen Jahr unsere Gegner nicht gerade aus dem Stadion geschossen haben. Die Menschen spüren, dass wir sie ernst nehmen, dass sie hier Teil einer Familie sind. Unser Verein steht mehr denn je für Dialog. Damit trifft der FC Bayern den Zeitgeist und wird nie aus der Mode kommen – auch nicht in den nächsten 125 Jahren.
Trotzdem war es nicht einfach, ausgebuht zu werden, oder?
Hainer: Damals kamen aber auch viele Dinge zusammen, und wir haben vor allem im Vorfeld den Fehler gemacht, nicht ausreichend mit unseren Mitgliedern kommuniziert zu haben. Dann ist das Ganze eskaliert. Aber wir haben die richtigen Schlüsse gezogen.
Ende des Jahres stehen Wahlen beim FC Bayern an. Können Sie sich eine weitere Amtszeit – es wäre die dritte - vorstellen?
Hainer: Jetzt warten wir erstmal die Saison ab. Wir haben eine Menge hoher sportliche Ziele. Am Ende der Saison ist dann ein bisschen Luft. Dann mache ich mir meine Gedanken.
Wie schwierig ist es eigentlich allgemein, einen Verein wie den FC Bayern als Präsidenten zu führen? Es gibt es ja die Trennung zwischen Verein und AG, deren Vorsitzender Jan-Christian Dreesen ist. Doch zugleich gibt es Hoeneß und Rummenigge, deren Wort weiterhin Gewicht hat – und die sich immer zu Wort melden.
Hainer: Für alle, die beim FC Bayern Führungsaufgaben haben, gibt es immer nur ein Ziel: Was ist das Beste für den Verein? Ganz egal, ob das ein Uli Hoeneß ist, ein Karl-Heinz Rummenigge, ein Jan-Christian Deesen, ein Max Eberl oder Christoph Freund. Ich bin erst heute Vormittag wieder mit Uli Hoeneß zusammengesessen. Er und Rummenigge haben eine unheimliche Expertise im Fußball, von ihrem Rat und ihrer Erfahrung kann der Verein nur profitieren.

Diese Ratschläge kommen oft auch öffentlich und ungefragt. Ist es eigentlich möglich, Uli Hoeneß auch mal zu sagen: „Uli, sag zu diesem Thema bitte lieber mal nichts“?
Hainer: Ach, ich will gar nicht, dass der Uli Hoeneß ruhig ist. Er hat ja aufgrund seiner einzigartigen Erfahrung was zu sagen, das ist ganz klar. Und wenn er was sagt, hört die Republik zu. Eines ist dabei immer klar: Bei allem, was er unternimmt und sagt, hat er stets das Wohl des FC Bayern im Sinn.
Ist es vielleicht sogar gut, wenn es ein bisschen kracht und raucht beim FC Bayern?
Hainer: Hier braucht jedenfalls keiner Angst zu haben, seine Meinung zu sagen. Es gehört doch dazu, dass man auch mal unterschiedliche Auffassungen hat – durch Reibung entsteht Energie. Und letztlich finden wir immer eine Lösung, die alle mittragen.
Rein sportlich war es in der vergangenen Saison für den FC Bayern nicht immer zum Besten bestellt: Nach elf Jahren gab es erstmals keinen Titel, die Trainersuche zog sich lange hin. Kann man da als Präsident noch gut schlafen?
Hainer: Es gab schon die ein oder andere unruhige Nacht. Wir sind es hier nicht gewohnt, so viele Spiele zu verlieren. Alleine in der Rückrunde waren das sechs Bundesliga-Partien, das ist außergewöhnlich. Klar, dass dann Unruhe reinkommt. Das alles hat mir richtig große Sorgen bereitet. Aber wir haben gut darauf reagiert, indem wir unseren Kader gezielt verstärkt haben. Max Eberl und Christoph Freund bauen jetzt an der Zukunft des FC Bayern, Jamal Musiala hat einen neuen Vertrag unterschrieben, genauso Alphonso Davies, auch Manuel Neuer bleibt ein weiteres Jahr als Stütze. Mit Aleks Pavlovic und Josip Stanisic haben wir zwei junge Spieler, die beim FC Bayern ausgebildet wurden und das „Mia san Mia“ in sich tragen, Tom Bischof und Jonas Urbig sind Verstärkungen für die Zukunft. Wir können zuversichtlich nach vorne schauen.

Wie sehen Sie das Wirken von Trainer Vincent Kompany?
Hainer: Sehr positiv. Und das nicht nur, weil wir sportlich gut dastehen. Auch wie er den FC Bayern nach außen vertritt, gefällt mir: Er ist ein sehr ruhiger, besonnener Typ, der ganz klare Vorstellungen davon hat, wie wir spielen. Vincent stellt zudem nie seine eigene Person nach vorne, sondern hat die Interessen des Vereins im Auge. Zugleich schöpft er aus seiner eigenen Erfahrung. Er war selbst ein Weltklassespieler, war sieben Jahre lang Kapitän bei Manchester City. Er weiß, wie es in einer Kabine zugeht und schafft es, den Spielern seine Inhalte mit Freude zu vermitteln. Vincent Kompany: Ein Mann, ein Wort. Das strahlt er aus.
Zugleich haben sich die Bayern immer wieder mal unerklärliche Aussetzer geleistet, etwa gegen Rotterdam. Auch das Weiterkommen in der Champions League war knapp.
Hainer: Celtic Glasgow ist keine schlechte Mannschaft, und wir haben in einer Saison um die 50 Pflichtspiele, da wird es immer wieder mal eine kleine Delle geben. Aber ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, dass wir für die K.o.-Spiele sicher etwas draufpacken müssen. Wollen wir etwas erreichen, muss jeder bereit sein, an sein Limit zu gehen.

Wie wichtig war die Vertragsverlängerung von Jamal Musiala?
Hainer: Jamal ist weltweit einer der begehrtesten Spieler. Er ist bei uns großgeworden und inzwischen internationale Ausnahmeklasse. Um zu verdeutlichen, wie wichtig sein Verbleib für uns ist, möchte ich eine Anekdote erzählen. Im Jahr 1964 hatte der FC Bayern ein Problem: Der Aufstieg in die Bundesliga wurde verpasst. Im Verein gab es die Angst, dass die talentierte Mannschaft um Franz Beckenbauer und Sepp Maier auseinanderbrechen würde. Der damalige Manager Robert Schwan hat sich den Routinier Werner Olk geschnappt und ihn gefragt: Werner, was müssen wir tun, damit die Mannschaft nicht auseinanderfällt? Olks Antwort: Wenn der Beckenbauer bleibt, bleiben alle anderen auch. So war es damals und so ähnlich sehe ich es bei Jamal. Dass er bei Bayern bleibt, ist ein starkes Zeichen für viele andere Spieler: Dass die Qualität der Mannschaft hoch bleibt. Dass sich der FC Bayern so einen Spieler leisten kann. Und dass wir jeden möglichen Titel gewinnen wollen. Jamal hat selbst große Ziele. Er will Weltfußballer werden. Und er ist davon überzeugt, das beim FC Bayern schaffen zu können. Das sehen wir auch so.
Dann ist Musiala auch ein Zeichen für Spieler, die kommen sollen – etwa für Florian Wirtz?
Hainer: Florian Wirtz ist ein exzellenter Spieler. Uli Hoeneß hat gesagt, es wäre sein Traum, dass er zum FC Bayern kommt. Träumen wird man ja noch dürfen (lächelt).
Zugleich wird Wirtz – wenn er wechselt – innerhalb der Bundesliga doch nur zum FC Bayern wechseln.
Hainer: Er ist ein Spieler von Bayer Leverkusen. Wir kümmern uns um unsere Spieler.

Zum Beispiel um Joshua Kimmich. Sein Vertrag läuft im Sommer aus.
Hainer: Es wäre schön, wenn Josh verlängert und seine Karriere beim FC Bayern beendet. Er ist als junger Spieler zu uns gekommen, hat sich hier zu einem internationalen Topspieler entwickelt, wurde Kapitän der deutschen Nationalmannschaft.
Max Eberl gab sich mal als Ziel, dass alle wichtigen Personalien vor den entscheidenden Spielen der Saison geklärt sein sollen. Das bedeutet: Die Zeit drängt bei Kimmich. Wann gibt es eine Entscheidung?
Hainer: Unsere sportliche Leitung ist intensiv mit Joshua Kimmich im Austausch. Es wird auch nicht mehr allzu lange dauern, bis eine Entscheidung fällt.
Auf der jüngsten Jahreshauptversammlung haben sie die Verlängerungen von Davies, Musiala und Kimmich gefordert. Diese sollen sich an die Vereinslegenden wie Beckenbauer, Hoeneß, Lahm oder Schweinsteiger einfügen. Leroy Sané, dessen Vertrag ebenfalls ausläuft, haben Sie da nicht erwähnt. Warum nicht?
Hainer: Ich habe die drei deswegen genannt, weil das Spieler sind, die alle jung zum FC Bayern gekommen sind und hier zur Weltklasse gereift sind. Leroy ist erst später gekommen, hat zuvor bei Schalke und Manchester City gespielt. Das muss man in dem Kontext sehen, wie ich es in meiner Rede dargelegt habe.
Sané wird immer wieder sehr kritisch gesehen. Wie blicken Sie auf ihn?
Hainer: Er ist ein exzellenter Fußballer, schnell, hat eine tolle Schussqualität, ist technisch unheimlich beschlagen. Wir sind froh, dass er Teil unserer Mannschaft ist.
Das erklärte Ziel des FC Bayern für diese Saison ist die Teilnahme am Finale der Champions League. Vorstandschef Jan-Christian Dreesen sagte dazu: „Dieses Mal nennen wir es Titel dahoam!“ Ist das realistisch?
Hainer: Unser erstes Ziel lautet immer, Deutscher Meister zu werden. Und natürlich wollen wir jeden Wettbewerb, in dem wir antreten, gewinnen, das gilt auch für die Champions League. Dass das Finale dieses Jahr in München stattfindet, ist noch mal ein besonderer Anreiz. Aber dieser Anspruch darf nicht zu einer Belastung werden. Um die Champions League zu gewinnen, reicht es nicht, nur gut sein. Man braucht auch das nötige Quäntchen Glück. Im Finale 2012 waren wir definitiv die bessere Mannschaft, dennoch haben wir verloren. Ein Jahr später haben wir gewonnen, aber es hat lange gedauert, bis Arjen Robben uns alle erlöst hat. Natürlich wollen wir die Champions League in unserer Stadt gewinnen. Aber jetzt konzentrieren wir uns erst einmal auf das Achtelfinale gegen Leverkusen.

Zudem gab es beim FC Bayern unlängst eine Geschichte, die den Fußball in den Hintergrund rückt: Die Krebserkrankung ihrer Torhüterin Mala Grohs. Wie haben Sie das erlebt?
Hainer: Ich war da von Anfang an involviert und habe ihr, als ich es erfahren habe, sofort einen Brief geschrieben, um ihr zu zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen. Mala ist eine tolle Persönlichkeit, sie ist diese Geschichte mit einer unglaublichen Kraft und großem Willen angegangen. Wie sie die Erkrankung öffentlich gemacht hat, hat hoffentlich vielen Betroffenen Mut gegeben, weil sie damit unter anderem gezeigt hat, dass es jeden treffen kann und man seinem Schicksal entgegentreten muss. Ich habe allerhöchsten Respekt vor ihr, wie sie diese Situation gemeistert hat. Wir sind stolz, dass Mala ein Teil des FC Bayern ist.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden